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Angst am Ruder

DMZ - Gesellschaft / Patricia Jungo ¦

#mittellaendische

 

Wir alle kennen das beklemmende Gefühl, wenn sich furchterregende Szenarien in unserem Kopf abspielen, Schweissperlen über unsere Wangen laufen, die Atmung schneller wird und unser Körper nur aus Spannung zu bestehen scheint; bereit zu flüchten oder zum Kampf anzutreten. Ja, die Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das aber unbestritten zum Leben gehört. Man darf es auch als lebensnotwendig bezeichnen. Die Angst warnt uns vor Bedrohlichem, spornt uns an, sofort Gegenmassnahmen zu treffen. Bestimmt ist es auch sie, die der Menschheit beim Überleben geholfen hat. (Leider hilft das Geschäft mit der Angst auch anderem „weniger Wünschenswertem“ zum Überleben!) So weit, so gut! Wenn Angst sich jedoch verselbstständigt und in extrem starker Form und über längere Zeit auftritt, wird sie hemmend, belastend und schliesslich krankhaft. Übernimmt die Angst gar bei Jugendlichen das Ruder, kann dies ihre Entwicklung stark einschränken. Experten sprechen in diesem Fall von Angststörungen, von welchen, so wird vermutet, etwa 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen sind. Führen Ängste zu erheblichem Leistungsdruck, beeinträchtigen sie anhaltend die Lebensweise und Entwicklung, dann besteht die Gefahr, dass sich Probleme in der „normalen“ Entwicklung, in der Familie, Schule und auch anderen Lebensbereichen häufen. Meist bestehen solche Ängste nicht in einem bestimmten Bereich, sind diffus und haben verschiedene Auslöser, die vor allem ein Jugendlicher nicht immer einordnen kann. In sehr schlimmen Fällen generalisiert sich die Angststörung und die Jugendlichen machen sich oft übermässig starke und in den Augen anderer unbegründete Sorgen über diverse alltägliche Dinge. Nicht kontrollierbare Sorgen über richtiges Verhalten, Ansehen in Schule, im Sport und bei Freunden sind ebenfalls häufig. Ein geringes Selbstwertgefühl liegt diesen Problemen oft zugrunde und die Jugendlichen schaffen es nicht mehr, aus sich heraus Kraft zu schöpfen. Probleme wie Verspannt sein, Schlaflosigkeit und mangelnde Konzentration gesellen sich dazu. Angststörungen haben viele Gesichter, sind komplex und haben auch nie eine einzige Ursache. Ihre genaue Entstehung ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Faktoren wie Veranlagung, Erziehung, Überbehütung, starke Kontrolle, mangelnde Nähe und natürlich der Leistungsdruck unserer Gesellschaft spielen eine Rolle. Für Eltern und Erzieher ist es nicht immer einfach, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Ängste ihres Jugendlichen seinem Alter entsprechen oder bereits krankhaft sein könnten. Viele Teenager versuchen auch, ihre Ängste zu verbergen und die Symptome lassen sich nicht immer von aussen erkennen. Versuchen Jugendliche immer wieder, bestimmten Situationen aus dem Weg zu gehen, reagieren sie aggressiv oder ziehen sie sich über längere Zeit total zurück, drängt sich bei Eltern begründet der Verdacht einer Angststörung auf. Ob sich Ängste dabei im normalen Bereich befinden oder nicht, ist dabei schwierig zu beurteilen. Wenn sich Jugendliche zum Gespräch mit den Eltern oder Erziehern öffnen, ist ein erster, wichtiger Schritt getan. Eltern, die ihrem Teenager echt zuhören und ihm Zeit schenken, ihn in seinem Sein wahrnehmen, werden auch eher eine Antwort auf die Frage erhalten und spüren, ob Hilfe von aussen geholt werden muss oder nicht. Wenn der Alltag vom Jugendlichen nicht mehr normal gelebt werden kann, braucht es in den meisten Fällen jedoch sicherlich Hilfe einer Fachperson. Entsprechende Therapien können Jugendlichen helfen, die Angstauslöser als weniger bedrohlich zu sehen und Strategien zu entwickeln, die ihnen ermöglichen, der für sie bedrohlichen Situation auch ins Auge zu sehen und sich ihr erfolgreich zu stellen. Entspannungstraining wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung und Atemtechnik kann die Therapie ergänzen und Erleichterung verschaffen. Ebenso ist es sehr wichtig, dass auch bei diesem Problem Familien und Schule oder Lehrbetriebe am gleichen Strick ziehen und die Jugendlichen gemeinsam begleiten. Angst wird immer zu unserem Leben gehören, aber sie soll an ihrem Platz bleiben und darf die Entwicklung unserer Kinder nicht hemmen und ihre Lebensfreude in den Schatten stellen. Mit Angst muss ein Jugendlicher nicht leben und dadurch seine Zukunft gefährden. In den meisten Fällen lässt sich eine Angststörung - vor allem, wenn frühzeitig erkannt - gut behandeln. Je früher man den Teufelskreis von Angst und Vermeidungsverhalten unterbricht, desto eher kann man verhindern, dass die Angststörung chronisch wird. Natürlich sind auch in diesem Bereich Verallgemeinerungen fehl am Platz. Eines darf jedoch betont werden: Selbstbewusstsein ist das wunderbarste Geschenk, das wir unseren Kindern machen können. Es wird sie nicht vor allem bewahren, ihnen aber in schwierigen Lebensphasen Schlüssel sein und bestimmt auch helfen, Ängste nicht das Ruder übernehmen zu lassen.