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Nah am Wasser gebaut: Der Konstanzer Klima-Notstand ist kein Zufall

DMZ - POLITIK / UMWELT ¦

#mittellaendische ¦

 

Anfang des Monats hat die 85.000-Einwohner-Stadt Konstanz als erste deutsche Kommune den "Klima-Notstand" ausgerufen - und zwar einstimmig. Wie kam es dazu? Weshalb ausgerechnet die Stadt am Bodensee? Und wie gelang es Klimaschützern, sämtliche Stadtratsparteien zu überzeugen?

 

Eine Spurensuche 

Seit dem 2. Mai gilt in Konstanz der "Klimanotstand". Der Stadtrat "erkennt damit die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe von höchster Priorität an", wie es in der Proklamation heisst. Im Gemeinderat der 85.000-Einwohner-Stadt stellen die Bündnisgrünen zehn Abgeordnete, die CDU neun, die SPD sechs, die restlichen 15 Sitze teilen sich Freie Wähler, FDP, Linke und das Junge Forum Konstanz. Doch im Falle des Klima-Notstands war die Sitzverteilung egal, der Beschluss fiel einstimmig.

 

Ab Juni muss nun jeder Stadtratsbeschluss unter Klimaaspekten geprüft werden: Hilft er der Erdatmosphäre oder schadet er? Ein Mobilitätsmanager soll den Verkehr klimaverträglicher machen, ein städtisches Anreizprogramm die energetische Sanierung des Gebäudebestands ankurbeln. Die Bundesregierung wird aufgefordert "eine sozial gerecht ausgestaltete CO2-Bepreisung" einzuführen.

 

Wie bitte, die Forderung nach einer neuen Klima-Abgabe mit den Stimmen der Union? "Je teurer ein Gut ist, desto bedachter wird es eingesetzt", sagt Stadtrat Heinrich Fuchs von der CDU. Fuchs, der seine Partei auch im Konstanzer Umweltausschuss vertritt, nennt das "ein marktwirtschaftliches Prinzip. Das Klimaversagen ist ja offensichtlich." Deshalb findet der Landwirt auch das bisherige Nein der Union auf Bundesebene "unverantwortlich". Er jedenfalls habe sich, wie seine Parteifreunde im Stadtrat, für die CO2-Bepreisung eingesetzt.

 

"'Fridays for Future' beginnt Wirkung zu entfalten"

Eingebracht hatte den Notstands-Antrag Oberbürgermeister Ulrich Burchardt (CDU). "Die Aktivisten von ‚Fridays for Future‘ haben das dem Bürgermeister vorgeschlagen", sagt Stadt-Pressesprecher Walter Rügert. Der habe dann mit der Verwaltung die Konsequenzen geprüft und sich nach reiflicher Beratung entschlossen, den Schritt zu gehen. Rügert: "Basel, Vancouver und das britische Unterhaus haben ja auch schon den Klimanotstand ausgerufen."

 

"Tatsächlich sind die Aktivisten von ‚Fridays for Future‘ in Baden-Württemberg besonders aktiv", urteilt Cora Sacher von der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung. Sie traten beispielsweise im Stuttgarter Stadtrat auf. "Mittlerweile haben die SchülerInnen eine beachtliche Unterstützung mobilisiert", sagt Stiftungsfrau Sacher. Auf sie gehe etwa die Initiative "Companies for Future" zurück, ein Zusammenschluss von Unternehmen, die den Schülerprotest mit der Übernahme eventueller Bußgelder fürs Schwänzen unterstützen wollen. Sacher: "Mein Eindruck: ‚Fridays for Future‘ beginnt Wirkung zu entfalten."

 

Auch in Konstanz hat der Extremsommer 2018 die Menschen bewegt

Ich bin nicht überrascht, dass ausgerechnet in Konstanz die erste deutsche Stadt war, in der ein Klima-Notstand ausgerufen wurde", sagt Sebastian Koos, Soziologie an der Universität Konstanz. Koos forscht zum "Klima-Aktivismus von jungen Menschen", seit März befragt er mit seinem Team Teilnehmer der Proteste. "‘Fridays for Future‘ geht in Konstanz sehr klug vor", sagt der Professor. Auf der Strasse würden die Schüler lediglich alle zwei Wochen demonstrieren, und nur einmal im Monat während der Unterrichtszeit. Dafür flankieren sie ihren Protest mit Aktionen während der Freizeit – Müllsammelaktionen, Fahrradkorsos, Polittalks. "Das hat den Schülern viel Sympathie in der Elternschaft und Bevölkerung gebracht", sagt Koos. Konstanz sei eine wohlhabende Stadt mit hohem Bildungsstand, "viele hier befürworten, wenn sich Heranwachsende für Nachhaltigkeit engagieren".

 

Der zweite Aspekt, der bei der Ausrufung des Klima-Notstands eine Rolle spielte, sei der Bodensee. "Im Hitzesommer 2018 war der Wasserstand extrem niedrig, im August lagen massenhaft tote Fische am Ufer." Die Menschen würden solche Erlebnisse viel stärker als früher mit dem Klimawandel in Verbindung bringen, sagt Koos. Zudem nerve die Verkehrsflut durch den kleinen Grenzverkehr mit der Schweiz die Konstanzer, Lärm und Abgase produzierten einen enormen ökologischen Handlungsdruck.

 

Eine gewisse Rolle wird die anstehende Kommunalwahl gespielt haben ...

Ein dritter Grund für den fortschrittlichen Stadtratsbeschluss ist sicherlich Ulrich Burchardt. Der Konstanzer Bürgermeister ist studierter Forstwirt und arbeitete einige Jahre in der Geschäftsführung von Manufactum, einem Versandhaus für hochwertige und langlebige Waren. Seit 2012 leitet CDU-Mann die Geschicke der Stadt, im selben Jahr erschien sein Buch "Ausgegeizt! Wertvoll ist besser. Das Manufactum-Prinzip". Nachhaltigkeit dürfte für Burchardt also eher Überzeugung sein als lästige Pflicht.

Und noch ein vierter Aspekt dürfte eine Rolle gespielt haben: Parallel zur Europawahl wird in knapp zwei Wochen in Konstanz ein neues Stadtparlament gewählt. "Die grüne Klientel ist bei uns in der Stadt überproportional stark vertreten", sagt der grüne Stadtrat Stephan Kühnle, Burchardts Vorgänger als Oberbürgermeister war Grüner. Und so kurz vor einer Wahl "konnte die CDU jetzt schlecht gegen den Klimanotstand votieren", so Kühnle.

 

Natürlich gibt es noch weitere Gründe, die geholfen haben, den Klima-Notstand auszurufen. "In den 70er, 80er Jahren wurde die Wasserqualität immer schlechter, der Bodensee drohte umzukippen", erinnert sich CDU-Stadtrat Heinrich Fuchs. Seitdem seien die Anwohner besonders sensibilisiert für den Schutz der Umwelt. Auch die grün-schwarze Koalition auf Landesebene wird beigetragen haben zur Ausrufung des Klimanotstandes: "In Baden-Württemberg sind die Schwarzen sicherlich mehr bereit, von den Grünen etwas zu lernen als im Rest der Republik", sagt die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, die 2016 an den Koalitionsgesprächen mit der Union beteiligt war.

 

Der Klimanotstand ist vor allem ein politisches Signal

"Der Konstanzer Gemeinderat erkennt, dass die bisherigen Massnahmen und Planungen nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen", heisst es in der Erklärung zum Klima-Notstand. Konkret bedeute dies, wie Stadtsprecher Rügert erläutert, dass "beispielsweise der neue Stadtteil, den wir planen, klimaneutral gebaut werden soll". Zudem solle die Konstanzer Energieversorgung klimafreundlich werden. "Doch der ausgerufene Klimanotstand hat keine direkten rechtlichen Folgen, er ist ein politisches Signal."

Allerdings ein starkes, wie Grünen-Stadtrat Stephan Kühnle findet. "Beim Kampf für mehr Fahrradstrassen, auf unserem Weg zur autofreien Innenstadt – wir werden den Klima-Notstand immer dann wieder auf den Tisch legen, wenn jemand im Stadtrat den Konstanzer Weg in die Zukunft blockieren will." Mit der Ausrufung sei ein für alle Mal dokumentiert: "Wir müssen etwas ändern, und zwar schnell! Dahinter kann keiner mehr zurück."

 

Andere Städte und Gemeinden sind dem Beispiel bereits gefolgt

Lässt sich der Konstanzer Beschluss andernorts wiederholen? "Auf jeden Fall", sagt Kühnle. Wichtig sei es, lokale Akteure ins Boot zu holen, den Schritt lange vorzubereiten, eine schlüssige Argumentation für die Ausrufung des Notstands zu erarbeiten und den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Kühnle: "Sichtbar ist der Klima-Notstand ja schon überall." Und in einigen Orten - etwa Kiel, Kleve oder dem  niedersächsische Weyhe - sind ähnliche Beschlüsse bereits gefallen oder in Vorbereitung.

In jedem Falle zeigt das Beispiel Konstanz: Wer glaubte, die freitäglichen Schülerproteste fürs Klima würden ebenso folgenlos abebben wie frühere Bildungsstreiks, sind nun eines Besseren belehrt. Ohne 'Friday for Future' wäre der Beschluss am Bodensee kaum zustande gekommen. Am kommenden Freitag streiken wieder Schülerinnen und Schüler in Dutzenden deutschen Städten, aufgerufen ist zu einem in "Globalen Klimastreik zur Europawahl". Die Chancen zur weiteren Nachahmung des Konstanzer Klima-Notstands bleiben also hoch.