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Armutsrisiko höher in der Schweiz als in der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Tschechien, Frankreich, Österreich und weiteren Ländern Europas

DMZ - SOZIALES 

Patricia Jungo ¦ Quelle: conviva-plus.ch ¦

#mittellaendische ¦

 

In der reichen Schweiz über arme Menschen zu reden, ist eines der grossen Tabuthemen. Schliesslich wollen wir nicht am Image eines der reichsten Länder der Welt kratzen lassen. Mit den gut 535‘000 Franken, die der durchschnittliche Erwachsene in der Schweiz laut Statistik besitzt, würde auch niemand an Armut denken. Doch der Schein trügt leider. Zwar nennt das reichste Prozent 41 Prozent des gesamten Vermögens sein Eigen, jedoch besitzt jeder zweite Mensch in unserem Land weniger als 50‘000 Franken; dies sind 55,9% der Schweizer Bevölkerung. Unter der Armutsgrenze müssen 615‘000 Menschen leben und davon sind 100‘000 Kinder. Würden nicht Unterstützung von Staat und privaten Institutionen erfolgen, stiege diese Zahl auf traurige 1,3 Millionen Menschen.

 

Unter den Erwerbstätigen waren 2016 ganze 7,8% armutsgefährdet. Von den rund 290‘000 Personen sind 140‘000 sogenannte Working Poors. Sie haben eine Arbeit und leben dennoch in Armut. Es wird noch schlimmer: Für 22 Prozent der Schweizer Haushalte ist es kurzfristig nicht möglich ungeplante Ausgaben von Fr. 2‘500 zu stemmen. Die Realität gefällt nicht, ist aber nicht mehr zu leugnen: Die Schweiz hat ein höheres Armutsrisiko als Ungarn, Österreich, Slowenien, Frankreich, Slowakei, Niederlande, Norwegen, Dänemark, Finnland und Tschechien.

 

Die 300 Reichsten in der Schweiz leben mit ihrem durchschnittlichen Vermögen von 2,251 Milliarden Franken pro Kopf auf überaus hohem Fuss. Aber da sind all die armutsbetroffenen Menschen, die kein Geld für gesunde Ernährung haben und es nur mit Unterstützung mehr oder weniger schaffen. Laut Bericht der Zeitung „vorwärts“ ist die Nahrungsmittelverteilung «bei den Tafeln in der Schweiz innerhalb von zwei Jahren um 38 Prozent gestiegen. Bei mehreren zehntausend Menschen reicht das Geld nicht zum Essen. Täglich werden von der Schweizer Tafel knapp 16 Tonnen einwandfreie Lebensmittel gratis in zwölf Regionen der Schweiz an soziale Institutionen und armutsbetroffene Menschen verteilt.  In unserer reichen Schweiz gelten 7,5% resp. 615‘000 Menschen als arm. Die Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen ist sogar bei 14,7 Prozent und somit höher als in den folgenden europäischen Ländern: 

 

Armutsgefährdungsquote: 

Ungarn (14,5%)

Österreich (14,1%)

Slowenien (13,9%)

Frankreich (13,6%)

Niederlande (12,7%)

Slowakei (12,7%)

Norwegen (12,2%)

Dänemark (11,9%)

Finnland (11,6%)

Tschechien (9,7%)

Island (9,6%)

 

Die Europäische Union setzt die Armutsgefährdungsschwelle bei 60% des verfügbaren Medianäquivalenzeinkommens an. Hat man ein deutlich schwächeres Einkommen als die Gesamtbevölkerung und ist so dem Risiko des sozialen Ausschlusses ausgesetzt, gilt man als armutsgefährdet.

 

Die Schweiz sonnt sich im Wohlstandsbild, das sie geniesst. Doch im weltweiten Vergleich von 93 Ländern ist unser Land weitaus am teuersten, gleitet eher Richtung Schatten und kann sich dennoch nicht mehr verstecken: 145‘000 Menschen arbeiten und sind arm. Die Armutsgrenze ist bei 2247 Franken für eine Einzelperson und bei 3981 Franken für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern (unter 14 Jahren). Am Monatsende ist kein Geld mehr da und sparen ist für 37% unmöglich. Die Folge davon ist der steigende Anteil verschuldeter und auf Sozialhilfe angewiesener Personen. Am Beispiel von Genf kann man sich vom Ernst der Situation ein Bild machen: Dort hat sich die Zahl der Sozialhilfebezüger innert zehn Jahren verdoppelt. Schon seltsam, wenn man sich vorstellt, wie gut die wirtschaftliche Lage in Genf doch ist. Ja, mit ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) findet man die reiche Schweiz an der Tabellenspitze, gleich nach Luxemburg. Laut Prognosen darf die Schweiz im 2019 sogar ein Wachstum von +1,1% erwarten. Bei den prall gefüllten Staatskassen scheint auch alles zum Besten bestellt zu sein. Aber Tatsache ist trotz allem, dass es immer mehr arme Menschen gibt in der Schweiz und sich die Lage eher noch verschlechtern wird. Stagnierende Löhne, steigende Lebenserhaltungskosten und Krankenkassenprämien, Dominanz von Bundesratsparteien, die rigoros Sozialleistungen streichen; auf Bundes-. Kantons- und Gemeindeebene. Es ist klar eine politische Frage. Was wir brauchen, sind Parteien, die sich für eine höhere Besteuerung der „Oberen“ einsetzen und sich klar hinter die Schwachen der Gesellschaft stellen und sie verteidigen. Wir brauchen auch Stimmen, die Klartext reden und sich nicht davor fürchten, sich mit Tabuthemen wie Armut in der Schweiz anzulegen; zum Wohle aller Menschen, die betroffen sind und die es verdient haben, in unserem Lande ein würdiges Leben zu führen.

 

Quelle: https://www.conviva-plus.ch/?page=2781&fbclid=IwAR3LPrvWBJ0ZhC3TTXSdAvKeBR_b4ieNRBLtD9pWscrBZ2VHbVBzEmLCYXo