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Vettel rastet aus. Das könnte schwerwiegende Folgen haben!

 

DMZ - SPORT ¦

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Lewis Hamilton gewinnt den grossen Preis von Kanada vor Sebastian Vettel. Dieser büsste eine Zeitstrafe von fünf Sekunden wegen gefährlichen Fahrens ein und landete nur noch auf Platz 2.

Quelle: Omnisport

 

Sebastian Vettel verliert beim Grand Prix von Kanada erst die Kontrolle über sein Auto und dann die Nerven. Der Deutsche fühlt sich betrogen und wütet. Nun muss er mit weiteren Konsequenzen rechnen.

 

Der Grand Prix von Kanada war gerade beendet, als Sebastian Vettel in der Boxengasse am ehemaligen Formel-1-Piloten Martin Brundle vorbeistürmte. Brundle führt nach den Rennen die Interviews mit den Fahrern, doch Vettel war wütend, er stapfte wortlos zur Siegerehrung. Ein Verstoss gegen das Protokoll – und nicht die erste umstrittene Aktion des Deutschen in Montreal.

Der 31-jährige Ferrari-Pilot hatte sich im Rennen einen Fehler geleistet und war mit einer Fünf-Sekunden-Strafe bestraft und damit um den Sieg gebracht worden. „Sie stehlen uns das Rennen“, hatte Vettel über den Boxenfunk geschimpft. „Nein, nein, nein. So nicht!“, tobte er. Er war als Erster über die Ziellinie gefahren, musste sich aber dennoch mit dem zweiten Platz hinter dem WM-Führenden Lewis Hamilton begnügen. „Man muss echt blind sein. Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagte Vettel. „Ich weiss nicht, wofür ich bestraft worden bin.“

Dabei war das ziemlich offensichtlich. In Runde 47 hatte der Heppenheimer die Kontrolle über sein Auto verloren, war von der Strecke abgekommen und lenkte seinen Ferrari ein Stück durchs Gras, bevor er ihn mit Mühe zurück auf die Strecke zurückbrachte. Dabei behinderte er den hinter ihm fahrenden Hamilton, der Brite musste bremsen, um eine Kollision zu vermeiden.

 

„Die schlimmste Entscheidung, die ihr je getroffen habt“

Während einige Motorsport-Grössen Vettel verteidigten („Sebastian hat einen Fehler gemacht, aber er hat diese Strafe nicht verdient“, sagte Ex-Weltmeister Jenson Button), werteten die Rennkommissare das Manöver als „gefährliche Rückkehr auf die Strecke“. Laut Paragraf 38.1 eine sanktionswürdige Aktion. In der Jury des internationalen Automobilverbands FIA sass mit Emmanuele Pirro ein erfahrener Formel-1-Pilot, der das Manöver massgeblich bewertete – ausgerechnet ein Italiener stürzte die Scuderia in die schlimmste Krise der bisherigen Saison.

 

„Ich empfinde kein Mitgefühl“

Kanada hätte der Wendepunkt für Ferrari werden sollen. Stattdessen wurde der Grand Prix zu einem weiteren Albtraum. Vettel wollte das alles nicht wahrhaben. „Ich konnte doch nirgendwo hin!“, schimpfte er. Er habe nach seinem Ausritt ins Gras gar nicht gewusst, wo Hamilton sei. Letzteres darf zumindest bezweifelt werden, schliesslich klebte ihm der Brite seit etlichen Runden förmlich am Heck. Noch Minuten nach der Rückkehr in die Boxengasse schäumte Vettel vor Wut. Er parkte sein Auto nicht wie vorgeschrieben im Parc fermé – noch ein Regelverstoss.

Sebastian Vettel witterte "Betrug". Der Deutsche polarisierte beim Grand Prix in Kanada mit seinen Äusserungen zu den Rennkommissaren.

Quelle: AFP/CHARLES COATES

Die nächste Provokation leistete er sich, als er kurz darauf die Schilder mit den Rennplatzierungen, die vor den Autos stehen, vertauschte. Die Ferrari-Fans an der Strecke feierten den Streich. Andere schüttelten den Kopf über Vettels Unbeherrschtheit. „Ich empfinde kein Mitgefühl, denn in diesem Sport werden keine Gefangenen gemacht“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.

 

Die FIA leitete Ermittlungen gegen Vettel ein. Dem Piloten könnte für sein aufmüpfiges Verhalten eine weitere Strafe drohen, von einem Bussgeld bis zur Startplatz-Strafe ist alles denkbar. Zudem bekam Vettel für sein Vergehen im Rennen schon zwei Punkte im persönlichen Fahrer-Strafregister aufgebrummt, dort liegt er nun bei sieben Punkten. Das Register funktioniert ähnlich wie das in Flensburg: Bei zwölf Punkten gibt es ein Fahrverbot für ein Rennen. Die Situation bei Ferrari ist in jeder Hinsicht verkorkst. Und so sprach die „Gazzetto dello Sport“ tags darauf schon von einer „verhexten Saison“.

 

Der Fluch der Marchionne-Doktrin

Mit Hokuspokus haben Ferraris Probleme aber nichts zu tun. Eher mit Unvermögen. Das Team muss sich fragen lassen, wieso Hamilton bereits nach sieben Rennen 62 Punkte Vorsprung auf Vettel hat und der SF90 trotz seines höheren Top-Speeds nicht in der Lage ist, den Silberpfeilen Paroli zu bieten. Besser hätten die Voraussetzungen vor dem Grand Prix in Kanada nicht sein können: Vettel startete von der Poleposition, der Kurs in Montreal ist eine High-Speed-Strecke, wie gemacht für die Scuderia. Hamilton kämpfte dagegen vor dem Rennen noch mit Hydraulikproblemen am Motor, die Mercedes-Crew musste das Auto aufwendig auseinanderschrauben und zusammenbauen.

 

Während Lewis Hamilton mit einem Sieg zu Kanada-Rekordsieger Michael Schumacher aufschliessen kann, kämpft Sebastian Vettel gegen die längste Negativ-Serie seiner Karriere.

Quelle: Omnisport

Dass Ferrari trotz günstiger Vorzeichen erneut ein Debakel erlebte, ist ein beunruhigendes Signal. Es zeigt, dass das Team der hohen Erwartungshaltung nicht gerecht werden kann. Ob Konstrukteure, Techniker oder Fahrer wie Vettel: Sie können den eigenen Ansprüchen nicht genügen. Und so war der Beinahe-Unfall in Kurve vier des Circuit Gilles Villeneuve nur die Folge einer langen Reihe von Fehlern, deren Ursache im Jahr 2015 zu suchen ist.

Damals verkündete der damalige Ferrari-Chef Sergio Marchionne überschwänglich, man werde bald den WM-Titel holen. Und zwar mit einem Team, das nur aus italienischen Spezialisten besteht. Doch die Enttäuschungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Ferrari trotz aller Anstrengungen und erheblicher Investitionen hinterherfährt. Der Abstand zum international aufgestellten Mercedes-Team wird nicht kleiner und der Druck der patriotischen Marchionne-Doktrin lastet wie Blei auf der Scuderia. Vettels Fahrfehler ist nur der jüngste Beleg.

Hamilton trieb den Deutschen in das Missgeschick in Runde 47. „Das ganze Rennen hat Lewis viel Druck ausgeübt, ich hatte nicht viel Luft“, gab Vettel zu. Zudem hatte er massive Probleme mit der Hinterachse, die Abstimmung seines SF90 ist unzureichend, Vettel und sein Auto sind keine Einheit – und das ist das Schlimmste, das es zu sagen gibt.

Als die ersten Emotionen verflogen waren, verstieg Vettel sich in Systemkritik: „Wir haben für wirklich alles Regeln. Das ist falsch, ich mag das nicht“, sagte er: „Das entspricht nicht dem, was wir im Auto tun.“ Das Ferrari-Team behielt sich vor, Protest gegen die Strafe und die Wertung des Rennens einzulegen. Ein solcher hätte jedoch wenig Aussichten auf Erfolg. Und die internen Probleme, die die Scuderia plagen, würden dadurch auch nicht gelöst.