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Die zwei Gesichter des Kantons Bern

DMZ - POLITIK / UMWELT ¦

Peter Beutler ¦

#mittellaendische ¦

 

Der Stadt-Land-Graben. Er ist nirgends in der Schweiz so tief wie im Kanton Bern. Auf der einen Seite die Kantonshauptstadt mit den Agglomerationsgemeinden, die Zentren Biel, Burgdorf und Langenthal, Teile des Juras, grosse Dörfer um den Thuner- und Brienzersee, Kleinstädte im Seeland, auf der anderen die ländlichen Gebiete.

Wie im eine Million Einwohner zählende Bernbiet Menschen aus zwei ganz verschiedenen Welten leben, repräsentieren zwei Orte. Diesseits des Grabens die Stadt Bern, jenseits die Streusiedlung Horrenbach-Buchen oberhalb Thun, die nach zwei Volksabstimmungen für nationales Aufsehen sorgte. Bei der Masseneinwanderungsinitiative (MEI). Am Abstimmungsabend beanspruchten die Horrenbach-Buchener stolz den höchsten Ja-Anteil im ganzen Land: 93,6%, während die Stadt Bern mit 72,3% ablehnte. Dann die Durchsetzungsinitiative, die eine kompromisslose Umsetzung der MEI forderte: Horrenbach-Buchen: 90.2% Ja, Bern: 82,7% Nein. Das höchste Ja und das höchste Nein in der ganzen Schweiz. Anzumerken wäre, dass in Horrenbach-Buchen zwischen 0 und 1% Ausländer leben, dass diese Gemeinde mausarm ist, zu mehr als 90% am Tropf des Kantons hängt, den tiefsten Bildungsstand weit und breit aufweist.

 

Im ländlichen Teil des grossflächigen Kantons leben Menschen, deren Seelen ein Abbild des Bodens sind, den sie bearbeiten: braun-schwarz. Man spricht vom Bibel-Gürtel, der sich von Nord nach Süd über das ganze Kantonsgebiet, die urbanen Gebiete meidend, schlängelt. Nicht dass die, die dort wohnen, sich christlichen Werten wie Ehrlichkeit, Solidarität und Nächstenliebe besonders verpflichtet fühlen, aber irgendwie fromm sind sie schon. Sie halten ihren Gott für den einzig wahren auf dem Globus und hassen die nicht Heimischen. Sie nennen diese auch Ausländer, Asylanten, Muslime, Papierli-Schwyzer, Braun-, Schwarz-, Gelb- oder Rothäutige. Man würde den arbeitsamen, tugendhaften, urbernischen Eingeborenen mit dem Vorwurf, die Bösewichte nur unter den Zugelaufenen auszumachen, Unrecht tun. «Auch unter uns tummeln sich», heisst es an den Stammtischen mit vaterländischer Lufthoheit, «angefaulte Zeitgenossen: Linke, FeministInnen, Grüne, Gutmenschen. Sie sind eine Plage. Gerade in letzter Zeit haben sie viel Unheil angerichtet. Besonders schmerzhaft die Ereignisse um die jüngsten Wahlen und Abstimmungen. Wie kann man gegen die «volchsliebenden» Initiativen und Referenden der SVP überall Plakate aufhängen. Wir reissen sie zwar herunter, aber kommen nicht nach damit, denn sie werden stets wieder neu aufgehängt. Dann die Ergebnisse der Urnengänge. Ein Desaster. Die guten Volksbegehren werden verworfen, gewählt werden neuerdings die Falschen: Linke und Grüne. Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Wir vermuten Betrug.»

In der Tat, im Staate Bern hat sich seit etwa zwei Jahren einiges verändert. Nach dem Gusto der patriotisch Eingestellten zum Schlechten. Grosse Orte wie Köniz und Langenthal fielen wieder an die Linken. Bei den Wahlen in den Grossen Rat, dem Kantonsparlament, holte die SP fünf Sitze mehr, während die SVP drei abgeben musste. Sie liegt nur noch knapp vor den Sozialdemokraten.

 

Noch krasser das Bild bei den Volksabstimmungen. Die vereinte Linke setzte sich sozusagen überall durch. Als Beispiel die von der Regierung vorgeschlagene Kürzung der Sozialhilfe. Sie wurde im vergangenen Frühling mit 53% abgelehnt. Initiator dieser Vorlage war der bernjurassische SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, ein Freikirchler. Seine Religionsgemeinschaft nannte man im vergangenen Jahrhundert noch Sekte. Heute gilt diese Bezeichnung als politisch unkorrekt, auch wenn Schneggs Glaubensbrüder und -schwestern noch evangelikaler geworden sind. Deutlicher denn je lehnen sie die Evolutionstheorie ab und verlangen, dass neu in den Schulen an ihrer Stelle wieder die Schöpfungsgeschichte gelehrt wird.

Nur eben: Eine in dieser Richtung lancierte Volksinitiative wurde vor Jahresfrist krachend versenkt, trotz der SVP, die sich dafür kräftig ins Zeug legte, trotz Horrenbach-Buchen, das erneut wuchtig zustimmte.

 

Peter Beutler, Einwohner von Beatenberg, 1200 m ü. M., Kurort im bernischen Bibelgürtel.