«Freispruch für den Gockel»

DMZ - GESELLSCHAFT / LEBEN ¦

Silvia Kölbener-Fasel ¦

#mittellaendische ¦

 

Unter «Des einen Leid, des anderen Freud» dürfte wohl dieses Thema zusammengefasst werden, welches sich unter benachbarten Hauseigentümern während Monaten in einer ländlichen Gemeinde abgespielt hat.

Dabei sei festgehalten, dass im eigenen Garten jeder berechtigt ist, beliebten Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, soweit sich diese in einem nachbarverträglichen Rahmen abspielen. Dazu gehören das Ausüben von diversen Sportarten, Gartenarbeit sowie das Halten von Haustieren.

 

Wie aber nun wird «nachbarverträglich» definiert? Was darf dem Nachbarn zugemutet und was muss vom Nachbarn toleriert werden? Oft sorgen Lärm- oder Geruchsemissionen zu ungünstigen Zeiten für Streitereien. Dies war auch hier der Fall. Das Halten von einer Hühnerschar mit stolzem Hahn sorgten für einen monatelangen «Nachbarskrieg», der schlussendlich im Gerichtssaal endete.

 

Da Umweltvorschriften, das heisst artgerechte Tierhaltung wie Lärmschutz Priorität haben, wurden diese genau geprüft. Grosszügiger Auslauf als auch Rückzugsmöglichkeit im Stall war den glücklichen Tieren gewährleistet. Grosser Streitpunkt bildeten der Zeitpunkt und die Stärke der Lärmemissionen. Und nicht die Hühner waren die Missetäter, sondern einzig und allein der Hahn, der 84 Dezibel laut gekräht haben soll und das mehrmals täglich, laut Aufnahmen von missgelaunten Nachbarn manchmal 44 mal in einer Stunde! Um die ganzen erhitzten Gemüter also wieder auf eine verträgliche Kommunikationsebene zu bringen, musste sich die richterliche Gewalt vor Ort einen kritischen Augen-, Ohren- und Nasenschein nehmen. Was dann auch glückte: Nachdem sich der Angeklagte bereiterklärte, den Hahn zu Unzeiten öfters einzuschliessen und den Stall besser zu isolieren, kann er seinen glücklichen Hühnerhof weiterhin betreiben. Die Nachbarn werden, wer weiss vielleicht künftig einmal ihre Frühstückseier aus Nachbars Garten beziehen, und der lebensfrohe Gockel und Beschützer seiner Hennen wird inbrünstig – mit richterlichem Erlaub - weiterkrähen.

 

Wissenswertes über Hühner:

Der Weg vom Wildhuhn bis in unseren Hausgarten und in die industrielle Haltungsform ist ein langer und äusserst geschichtsträchtiger. Eines müssen wir uns gewiss sein. Huhn bleibt Huhn, egal wie gut oder schlecht wir es behandeln. So wie jedes Lebewesen von Natur aus mit idealen Fähigkeiten ausgestattet wurde, sich den gegebenen Lebenssituationen anzupassen, verhält es sich auch beim Huhn. Wehe, wer von «dummen Hühnern spricht». Nicht sehr schmeichelhaft ist für das Huhn, dass sein zentrales Nervensystem dem eines Säugetieres entspricht und somit sein Grosshirn schwach entwickelt ist, doch die Verhaltensforschung zeigt auf, dass Hühner über ein beachtliches Volumen an Sinneswahrnehmung verfügen.

 

Sehen zum Beispiel ist für Geflügeltiere zur Nahrungsaufnahme sehr wichtig, ihre Augen sind relativ gross und interessant ist die Nickhaut, die als Scheibenwischer über das Auge gezogen werden kann und als Schutz- und Reinigungsinstrument benutzt werden kann. Für geeignete Futterpartikel verfügen Hühner über ein gutes Augenmass und einen entsprechenden Tastsinn, der sie zu regelrechten Feinschmeckern macht. Das lässt sie auch probierfreudig etwas aufpicken und wieder ausspucken. Dieses Verhalten wird durch den ausgeprägten Tast-Sinn unterstützt: ihr Haupttastorgan ist der Schnabel. Die vielen Geschmacksrezeptoren lassen das Huhn schnell entscheiden, was schmeckt und was nicht. Dabei soll alles möglichst leicht zu erhaschen sein: Schroth ist nicht gleich Schroth: Roggenschroth in rundlicher Form gepresst findet bedeutend mehr Anklang als Roggenschroth in länglicher Form. Zähe Gräser werden verschmäht, zarte Blätter bevorzugt. Ferner reagieren Hühner empfindlich auf Hell, Dunkel und Farben generell. Blautöne vermögen sie schlechter aufzunehmen, Rot- bis Gelbtöne ziehen sie an.

Das Ohr des Huhnes ist sehr gut ausgebildet, was auf das frühzeitige Erkennen von möglichen Feinden zurückzuführen ist. Die Kommunikation unter Hühnern verläuft sehr nuanciert über unterschiedlichste Laute, ungeschlüpfte Küken sind über diverse auditive Frequenzen mit ihrer Glucke und ihren «Geschwistern» in Kontakt. Hähne können über zwei Kilometer Entfernung richtige Krähenkonzerte ausüben, und Geflügeltiere folgen der Stimme ihres Brotgebers.

 

Weniger kennt die Forschung über den Geruchsinn des Huhnes. Beobachtet wird, dass Hühner den Kontakt mit gewissen Düften wie zum Beispiel Blut bewusst meiden, liebend gerne aber im Misthaufen scharren.

Dass Hühner aggressiv auftreten, kann unterschiedliche Gründe haben: Ducken vor dem Gegner, Herstellen der Rangordnung, Verteidigung der Brut. Oft ist es auch ein Raumproblem und aggressives Verhalten findet in industrieller Aufzucht häufiger statt als bei Geflügel mit freiem Auslauf. Wer kennt sie nicht, die Kampfszenen von flügelschlagenden Hühnern und arg zugerichteten Opfern.

 

Hühner besitzen Vibrationsorgane, die sie Schwingungen aus der Luft wahrnehmen lassen. Das lässt sie in unübersichtlichem Gelände Gefahren früh erkennen. Auch ein intensives Temperaturempfinden hilft ihnen als Lebensstrategie: Sie können nicht schwitzen, und sind deshalb auf Aktivitäten wie Federn aufplustern, mit den Flügeln schlagen, hecheln und zur Kühlung viel trinken angewiesen. Um sich vor Frieren zu schützen, rücken sie nachts eng zusammen oder ziehen ihren Kopf bis in Kugelform ein. Sie lieben ausgiebige Sonnenbäder und keine Henne brütet ihre Eier ohne konstante Wärme aus. Entsprechend suchen sie sich ihre Brutplätze aus.

 

Massenhaft Literatur, naturhistorische Museen und Vogelwarten vermitteln uns viel beschauliches Wissen über dieses faszinierende Lebewesen, dessen Einzigartigkeit, ob wild oder in unseren Hausgehegen, anscheinend noch lange nicht erforscht ist.