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UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer zum Fall Julian Assange

Foto: David G Silvers. Cancillería del Ecuador.
Foto: David G Silvers. Cancillería del Ecuador.

DMZ - INTERNATIONAL ¦

Amanda Baeriswyl ¦

#mittellaendische ¦

 

Am 26. Juni 2019, schrieb Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, den Artikel: “Demasking the Torture of Julian Assange“. Nach Anfrage an die Redaktion der «nachdenkseiten.de», ist es mir erlaubt, deren Übersetzung durch Herrn Moritz Müller zu veröffentlichen.

Der Folterung von Julian Assange die Maske herunterreissen

Ich weiß, Sie denken vielleicht, ich sei verrückt geworden. Wie kann man ein Leben in einer Botschaft mit einer Katze und einem Rollbrett auch nur als Folter bezeichnen? Genau denselben Gedanken machte auch ich mir, als Assange zum ersten Mal um den Schutz meines Mandates ersuchte. Wie die Mehrheit der Öffentlichkeit war auch ich unbewusst durch die unerbittliche Schmutzkampagne vergiftet worden, die jahrelang gegen ihn geführt worden war. Und so bedurfte es eines zweiten Gesuchs, um meine widerstrebende Aufmerksamkeit zu erlangen. Sobald ich jedoch begann, hinter die Fassaden dieses Falles zu schauen, eröffnete sich mir eine Wirklichkeit, welche mich mit Ungläubigkeit und Abscheu erfüllte. 

 

Von der eifrigen schwedischen Polizei gedrängt worden ein Verbrechen zu melden

Sicherlich, so dachte ich zunächst, Assange muss ein Vergewaltiger sein! Doch dann stellte ich fest, dass er bis heute noch nie wegen einer Sexualstraftat angeklagt worden ist. Zugegeben, kurz nachdem die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten dazu ermutigt hatten, Gründe für die Strafverfolgung von Assange zu finden, informierte die schwedische Staatsanwaltschaft die Boulevardpresse, er werde der Vergewaltigung zweier Frauen verdächtigt. Seltsamerweise hatten die betroffenen Frauen selbst jedoch nie behauptet, vergewaltigt worden zu sein, und sie beabsichtigten offenbar auch gar nicht, Strafanzeige zu erstatten. Man staune! Auch liess sich auf dem Kondom, welches angeblich beim Geschlechtsverkehr mit Assange getragen und zerrissen worden war, keinerlei DNA feststellen – weder von ihm, noch von ihr, noch von irgendjemand anderem. Man staune – wiederum! Eine der Frauen textete sogar, sie wolle Assange doch nur dazu bringen, einen HIV-Test zu machen, doch die Polizei sei “scharf darauf, ihn in die Finger zu bekommen”. Man staune – abermals! Seither haben sowohl Schweden als auch Großbritannien alles getan, um zu verhindern, dass sich Assange diesen Anschuldigungen hätte stellen können, ohne sich gleichzeitig einer Auslieferung an die USA auszusetzen, und damit einem Schauprozess und lebenslänglicher Gefangenschaft. Seine letzte Zuflucht war die ecuadorianische Botschaft in London gewesen. 

 

Na gut, dachte ich, aber sicherlich muss Assange ein Hacker sein! Doch was ich feststellte, war, dass ihm alle von ihm enthüllten Informationen von anderen Personen freiwillig übergeben worden waren, und dass ihm niemand vorwirft, hierfür einen einzigen Computer gehackt zu haben. Tatsächlich bezieht sich der einzige Hacking-verwandte Anklagepunkt gegen ihn auf einen angeblichen, erfolglosen Versuch der Beihilfe zur Entzifferung eines Passwortes, was, wenn es erfolgreich gewesen wäre, seiner Quelle hätte helfen können, ihre Spuren zu verwischen. Kurz: eine doch eher isolierte, spekulative und harmlose Kausalkette; ein bisschen wie wenn man einen Autofahrer bestrafen wollte, der versucht hat, die Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten, obwohl ihm dies mangels Motorenkraft gar nicht gelungen ist. 

 

Assange wirklich russischer Spion?

Nun denn, dachte ich, zumindest sind wir uns sicher, dass Assange ein russischer Spion ist, sich in die US-Wahlen eingemischt hat und fahrlässig den Tod anderer Menschen verursacht hat! Doch alles, was ich feststellen konnte, war, dass er durchwegs wahre Informationen von öffentlichem Interesse publiziert hat, und zwar ohne jeden Vertrauens-, Pflicht- oder Treuebruch. Zugegeben, er hat Kriegsverbrechen, Korruption und Missbrauch aufgdeckt, aber verwechseln wir hier doch bitte nicht nationale Sicherheit mit staatlicher Straflosigkeit. Zugegeben, die von ihm offenbarten Tatsachen befähigten die US-Wähler, sachkundigere Entscheidungen zu treffen, aber ist das nicht gerade das Wesen der Demokratie? Zugegeben, es gibt ethische Fragen zu klären im Zusammenhang mit der Legitimität von unzensierten Enthüllungen. Aber wenn dadurch tatsächlich Schaden entstanden sein soll, warum sahen sich weder Assange noch Wikileaks jemals mit entsprechenden Strafanzeigen oder zivilen Entschädigungsklagen konfrontiert? 

 

Aber sicher, so dachte ich, muss Assange ein egoistischer Narzisst sein, der durch die ecuadorianische Botschaft skatet und Fäkalien an die Wände schmiert? Nun, alles, was ich von den Mitarbeitern der Botschaft gehört habe, ist, dass die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten seiner Unterbringung in ihren Büros mit gegenseitigem Respekt und Rücksicht behandelt wurden. Das änderte sich erst nach der Wahl von Präsident Moreno, als sie plötzlich angewiesen wurden, Negatives über Assange zu berichten, und wenn dies nicht geschah, wurden sie bald durch anderes Personal ersetzt. Der ecuadorianische Präsident hat es sogar für nötig befunden, die Welt mit seinem Tratsch zu segnen und persönlich Assange ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren das Asyl und seine Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Am Ende dämmerte es mir schließlich, dass ich durch Propaganda geblendet worden war und dass Assange systematisch verleumdet worden ist, um die Aufmerksamkeit von den Verbrechen, die er aufgedeckt hatte, abzulenken. Nachdem er durch Isolation, Spott und Schande entmenschlicht worden war, wie die Hexen, die wir auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben, war es leicht, ihm seine grundlegendsten Rechte zu entziehen, ohne dass die weltweite Öffentlichkeit aufschrie. Und so wird, durch die Hintertür unserer eigenen Bequemlichkeit, ein rechtlicher Präzedenzfall geschaffen, der in Zukunft ebenso gut auf Enthüllungen von The Guardian, der New York Times und ABC News angewendet werden kann und wird.

 

Aber sicherlich, so flehte ich innerlich, Assange muss doch wenigstens ein egoistischer Narzisst sein, der mit seiem Rollbrett durch die ecuadorianische Botschaft skatet und Fäkalien an die Wände schmiert? Nun, alles, was ich von den Botschaftsmitarbeitern gehört habe, ist, dass die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten seiner Unterbringung in ihren Büros jeweils mit gegenseitigem Respekt und Rücksicht gemeistert wurden. Das änderte sich erst nach der Wahl von Präsident Moreno, als sie plötzlich angewiesen wurden, allerlei Unvorteilhaftes über Assange zu berichten, und als dies nicht geschah, wurden sie bald durch anderes Personal ersetzt. Der ecuadorianische Präsident hat es offenbar sogar für notwendig befunden, die Welt mit seinem Klatsch zu segnen und Assange höchstpersönlich und ohne jedes Gerichtsverfahren sowohl sein Asylrecht als auch seine Staatsbürgerschaft zu entziehen. 

Zu guter Letzt wurde mir endlich klar, dass ich durch Propaganda geblendet worden war, und dass Assange systematisch verleumdet worden war, um die Öffentlichkeit von den Verbrechen abzulenken, die er aufgedeckt hatte. Nachdem er durch Isolation, Spott und Schande entmenschlicht worden war, so wie die Hexen, die wir auf Scheiterhaufen zu verbrennen pflegten, war es ein Leichtes, ihm seine grundlegendsten Rechte zu entziehen, ohne weltweiten Protest zu provozieren. Und so wird ein rechtlicher Präzedenzfall geschaffen, durch die Hintertür unserer eigenen Bequemlichkeit, der in Zukunft ebenso gut auf Enthüllungen von The Guardian, der New York Times und ABC News angewendet werden kann und wird. 

 

Nun gut, mag man sagen, aber was hat Verleumdung schon mit Folter zu tun? Nun, dies ist eine heikle Frage. Denn was in einer öffentlichen Debatte noch als bloße „Schlammschlacht“ durchgeht , wird schnell zum „Mobbing“, wenn es gegen einen Wehrlosen eingesetzt wird, und sogar zu regelrechter „Verfolgung“, sobald sich der Staat daran beteiligt. Man füge jetzt nur noch Zweckgerichtetheit und schweres Leiden hinzu, und schon hat man psychologische Folter. 

 

Zugegeben, in einer Botschaft zu leben, mit Katze und Rollbrett, mag attraktiv erscheinen, solange man das ganze Lügengebäude glaubt. Aber wenn sich keiner mehr an den Grund erinnert, für den Hass, dem man ausgesetzt ist, wenn keiner mehr die Wahrheit hören will, wenn weder die Gerichte noch die Medien die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen, dann ist so ein Refugium wirklich nur noch ein Gummiboot in einem Haifischbecken, und weder die Katze noch das Rollbrett können einem das Leben retten. 

 

Trotz Weiterleitung an Medienunternehmen wird der Artikel nicht verbreitet

Dennoch, so mag man fragen, warum so viele Worte auf Assange verwenden, wenn doch unzählige andere weltweit gefoltert werden? Weil es hier nicht nur darum geht, Assange zu schützen, sondern einen Präzedenzfall zu verhindern, der durchaus das Schicksal westlicher Demokratie besiegeln könnte. Denn, wenn es einmal zu einem Verbrechen geworden ist, die Wahrheit zu sagen, während die Mächtigen Straflosigkeit genießen, dann wird es zu spät sein, den Kurs zu korrigieren. Dann werden wir unsere Stimme der Zensur unterworfen haben und unser Schicksal der ungezügelten Tyrannei. 

 

Dieser Meinungskommentar wurde dem Guardian, der The Times, der Financial Times, dem Sydney Morning Herald, dem Australian, der Canberra Times, dem Telegraph, der New York Times, der Washington Post, der Thomson Reuters Foundation und Newsweek zur Veröffentlichung angeboten.

Es gab keine positive Reaktion.

 

 

Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=53173&fbclid=IwAR3Sqe_s__0s7UR-fDCUP88PzhmC1u5YeHS2sBup7AX5MazBvdeoLpYcOSg