· 

Diskriminierende Umsetzung des revidierten Sorge- und Unterhaltsrechts seit 2017

DMZ - SOZIALES ¦

David Aebischer ¦

#mittellaendische ¦

 

 

Mit der Revision des Unterhaltsrechtes traten auf den 1. Januar 2017 zwei wesentliche Änderungen in Kraft, die eine beim Sorgerecht, die andere beim Unterhaltsrecht. Zwei längst notwendige und lebensnahe Anpassungen, die endlich die Realität widerspiegeln würde. Die sieht nämlich so aus, dass eine gemeinsame Betreuung und Verantwortung, insbesondere für die Kinder, die beste Variante ist.

  • Bei gemeinsamer elterlicher Sorge hat das Gericht im Sinne des Kindeswohls die Möglichkeit einer alternierenden Obhut zu prüfen, wenn ein Elternteil oder das Kind dies verlangt (ZGB Art. 298 Abs. 2ter). Das Bundesgericht hat in zwei Leiturteilen die Kriterien für alternierende Obhut definiert: Erziehungsfähigkeit, geografische Distanz, bei kleinen Kindern die Möglichkeit der persönlichen Betreuung, Kooperationsfähigkeit und der Wille des Kindes.
  • Das Unterhaltsrecht vollzieht einen Systemwechsel hin zum sogenannten Betreuungsunterhalt: Wenn sich beide Elternteile Betreuungs- und Erwerbsarbeit teilen, schulden sie sich gegenseitig nichts. Wenn die Arbeit asymmetrisch aufgeteilt wird, schuldet derjenige Elternteil, der mehr Erwerbs- und weniger Betreuungsarbeit leistet, dem Anderen einen Ausgleichsbeitrag – eben den Betreuungsunterhalt, dessen Höhe proportional zur Schräglage ist.

Der Gesetzgeber hat damit eine moderne Revision beschlossen: Leitidee ist die Solidargemeinschaft, in der beide Elternteile sowohl Betreuungs- und Erwerbsarbeit leisten. Eine wunderbare und faire Sache. Einer sofortigen Umsetzung stand nichts im Wege, das Aufatmen im Bereich des Kindeswohls war riesig. Aber bereits nach kurzer Zeit machte diese dem Frust wieder Platz. 

Behörden und Gerichte respektieren bis heute den politischen Willen nur ungenügend. Aufgrund der Gerichts- und Behördenpraxis sah sich deshalb die Mitgliederversammlung von männer.ch bereits im selben Jahr veranlasst eine Resolution zu verabschieden, die sich zum Sorge- und Unterhaltsrecht für die faire – also im Regelfall hälftige – Aufteilung der Erwerbs- und Betreuungsarbeit einsetzt: Beide Elternteile sollen Erwerbs- und Betreuungsverantwortung übernehmen und Rollenbilder flexibilisiert werden.

Ein wichtiger Schritt und einer, der glücklicherweise mit riesiger Unterstützung aus dem ganzen Land umgesetzt werden konnte. Aber trotzdem eine bittere Pille für all diejenigen Menschen, die bis anhin an den Rechtsstaat geglaubt haben und sicher waren, dass gefasste Gesetze auch unbedingt umgesetzt würden. Denn im Verlauf des Jahres 2017 hat sich immer deutlicher abgezeichnet, dass zahlreiche Behörden und Gerichte die Revision nicht im Sinn des Gesetzgebers umsetzen:

  • Nach wie vor schreiben die Gerichte bei Trennungen häufig ein traditionelles Familienmodell vor. Im Streitfall wird der Mutter die Betreuung der Kinder und dem Vater die Erwerbsarbeit zugesprochen – teilweise selbst dann, wenn die Rollenteilung vor der Trennung egalitär war.
  • Die alternierende Obhut wird zu wenig ernsthaft geprüft. Dabei zeigt die Forschung immer mehr: Die alternierende Obhut wird dem Kindswohl grundsätzlich am besten gerecht. Obstruktion muss sanktioniert werden.
  • Bei der Berechnung des Betreuungsunterhalts herrscht Wildwuchs. Kantonal unterschiedliche Systeme und Modelle werden angewendet und teilweise Betreuungsanteile nicht berücksichtigt. Die direkten Kinderkosten wie der Grundbetrag, Mietkosten, Krankenkasse und die Kinderzulagen werden nicht gerecht aufgeteilt. Der Grundgedanke der wirtschaftlichen Selbstversorgung innerhalb einer Solidargemeinschaft wird selten verwirklicht.
  • Nach wie vor ist der bundesrichterliche Grundsatz der 10/16-Regel, wonach dem hauptbetreuenden Elternteil eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist, sobald das jüngste Kind 10 Jahre (für Teilzeit) und 16 Jahre (für Vollzeit) ist. Diese Regel ist nicht zeitgemäss und setzt falsche Anreize. Dies sehen auch Bundesrat und Parlament so. Das wird von den Gerichten jedoch bislang ignoriert.

Das Parlament hat ein modernes Gesetz beschlossen: Behörden und Gerichte sollen nicht blindlings traditionelle Ernährermodelle reproduzieren. Väter sollen vielmehr ihren Teil der Kinderbetreuung und Mütter ihren Teil der Erwerbsarbeit übernehmen (können).

Bei der Neuorganisation des familiären Systems nach Trennung und Scheidung gilt das Recht des Kindes, dass weiterhin grundsätzlich „beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich“ sind und bleiben (Artikel 18 der UNO-Kinderrechtskonvention) – und damit natürlich auch beide berechtigt und gefordert sind, sich am Erwerbsleben zu beteiligen.

 

Logische Konsequenz war die Forderung, die sofortige Umsetzung dieser Leitmotive der Gesetzesrevision in Übereinstimmung mit der in der Bundesverfassung verankerten Gleichstellung von Frau und Mann.

 

 

Quelle: männer.ch ¦ bj.admin.ch