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Wo ein Wille ist, ist auch eine Verantwortung: Warum die Klimaschutzfordernden recht haben, selbst wenn sie sich irren würden.

DMZ - GESELLSCHAFT / LEBEN ¦

Tony Lax ¦

#mittellaendische ¦

 

Die Jugendlichen – und mit ihnen auch viele Erwachsene – haben wieder zahlreich demonstriert. Für nicht wenige unter den Jugendlichen war die Demo verbunden mit einem Schulstreik, in einigen Kantonen sind zurzeit allerdings die Sportferien, was wohl nur wenige davon abgehalten haben wird, trotzdem an den Kundgebungen teilzunehmen. Schliesslich geht es ihnen primär ums Klima und nicht allein ums Schulschwänzen.

Proportional zu der z. T. sogar die Veranstaltenden überraschend grossen Anzahl an Demonstrierenden artikuliert in den Social Media die vorwiegend adulte Gegnerschaft ihre Ablehnung und ihren Unmut mit ebenfalls überraschenden Vehemenz.

 

Vom netten Ratschlag an die Jugendlichen, doch besser brav in die Schule zu gehen und sich dort für ein produktives und der Gesellschaft dienliches (Berufs-)Leben vorzubereiten, über Forderungen, doch bitte die ramponierte Umwelt selber und schleunigst zu retten, anstatt nur für diese Rettung lauthals zu demonstrieren, bis hin zu Anfeindungen und Verbalattacken, die aus der untersten Schublade hervorgeholt werden, findet sich so ziemlich alles, was da empörte Erwachsene an die jugendlichen Klimaaktivist*innen herantragen.

 

Es ist erstaunlich, mit welcher Wucht und Aggression gegen diese neue, von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg inspirierte Bewegung agiert wird.

 

Es ist auch erschütternd, mit wie viel Energie und hanebüchenen Argumenten versucht wird, die wissenschaftlich längst erbrachte Evidenz des menschlichen Anteils am sich für uns ungünstig entwickelnden Zustand der Biosphäre wegzupalavern.

 

Es ist insbesondere höchst erschreckend, dass die Forderungen nach einem konsequente(re)n Klimaschutz sowie der dabei unumgänglichen Reflexion und wohl auch Änderungen unserer hergebrachten Lebensweise in weiten Kreisen geradezu als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Bei der gestrigen "Arena"-Sendung (15.3.19), in der Politiker und Wirtschaftsvertreter einer Gruppe jugendlicher Aktivist*innen gegenüberstand, konnte schon nach wenigen Minuten ein nachdenklich stimmendes Fazit gezogen werden: Die Jugendlichen redeten vom Klimawandel (z. T. auch ziemlich klug), die Politiker aber redeten sich um Kopf und Kragen - meist weniger darum bemüht, inhaltlich etwas Substanzielles beizutragen, als vielmehr darum, rhetorisch zu punkten.

 

In der öffentlichen Diskussion werden Warnungen als unrealistisch und wissenschaftlich unhaltbar abgetan und schwungvoll in den zunehmend CO2- und feinstaubkontaminierten Wind geschlagen. Das hat freilich auch eine höchst politische Komponente, denn mit dem Klimaschutz kommt ein genuin links-grünes Thema auf den Tisch und verdrängt das von den Rechten lange erfolgreich bewirtschaftete Ausländerproblem. Damit sehen die Rechtspopulisten ihre Diskurshoheit und ihre bisherige Macht im politischen Agenda-Setting gefährdet. Beim Diskutieren über Umweltprobleme greift das etablierte Freund-Feind-Schema, das beliebte Hochkochen der politischen Gemütssuppen mittels Befeuerung das Hasses auf den Anderen, nämlich nicht mehr. In der Debatte um die Aufrechterhaltung einer "enkeltauglichen" Lebenswelt ist man zudem selber nie nur Teil der Lösung, sondern immer auch Teil des Problems.

 

Aus Sicht ihrer Gegnerschaft sind die Jugendlichen, die sich für einen rigoroseren Klimaschutz stark machen, nicht zuletzt natürlich auch völlig unglaubwürdig, da sie weder auch ihre Handys, ihre Ferienflugreisen und das Mitfahren in Papas Auto verzichten wollen. Da entpuppen sich gewisse Oldies geradezu als scharfsichtige Detektive der Doppelmoral von Ponyhofbewohnern. Würden sie diesen analytischen Scharfblick nur auch mal bei sich selbst anwenden!

 

Doch: Selbst, wenn sich herausstellen würde, das der anthropogene Faktor beim Klimawandel kleiner wäre, als gemäss dem jetzigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vermutet wird und selbst, wenn es Anzeichen zur Vermutung gäbe, es könnte sich in hundert Jahren rückblickend durchaus zeigen, dass sich der Klimawandel gar nicht so verheerend ausgewirkt habe, als heute befürchtet wird - selbst dann machen die Klimaschutzforderungen Sinn.

 

Vor 40 Jahren erschien das heute wohl kaum mehr gelesen Buch von Hans Jonas über "Das Prinzip Verantwortung". Aufgrund der unabweisbaren Feststellung, dass sich das Wesen menschlichen Handels im Zuge der enormen technologischen Entwicklung völlig verändert habe, bedürfe es, so Jonas, eines gänzlich neuen Verantwortungsbegriffs. Die vormalige Ethik ging noch stillschweigend davon aus, dass der menschliche Zustand durch die "Natur des Menschen und die Natur der Dinge" (15) in allen Grundzügen feststand, woraus sich das menschlich Gute auch unschwer und einsichtig bestimmen liess. Zudem war die "Reichweite des menschlichen Handelns und daher [auch die Dimension der] menschlichen Verantwortung [...] eng umschrieben." (ebd.)

 

Doch der technologische Fortschritt "hat Handlungen von so neuer Grössenordnung, mit so neuartigen Objekten und so neuartigen Folgen eingeführt", betont Jonas, "dass der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann." (26) Deshalb brauche es eine Art "Notstandsethik", die von einer sogenannten "Heuristik der Furcht" (63), im Sinne eines "Vorrang[s] der schlechten vor der guten Prognose" (70ff), geleitet würde. Die Heuristik ist ein Verfahren oder Vorgehen, bei dem versucht wird, auf einer noch unvollständigen Informationsbasis in kurzer Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen.

 

Für Jonas ist es zudem nicht mehr das Überzeitliche oder Mächtige (Gott, Herrscher, Gesetz) das uns moralisch verpflichtet, sondern vielmehr das Zerbrechliche, das Schwache und auch das noch nicht artikulierungsfähige menschliche Leben, kurz: die natürlichen Lebensgrundlagen, die Nicht-Privilegierten, die nächsten Generationen – die Zukunft.

 

Das Beziehung zwischen Mensch und Natur ist bei Jonas daher konsequenterweise auch kein Herrschaftsverhältnis mehr, sondern eben ein Verantwortungsverhältnis. Und da die Natur, auch wenn sie dem Menschen immer wieder ihre Macht beweist, aufgrund der technologischen Machtentfaltung des Menschen, mittels derer er sich die Natur und deren Ressourcen aneignet, das Verletzliche sei, trage der Mensch auch die Verantwortung über den Zustand der Natur.

 

Man kann das auch etwas schlichter formulieren: Die Eingriffe des Menschen in die Natur sind intentional, also von einem subjektiven Willen motiviert, während es hingegen schwer ist, bei Eingriffen der Natur in die Mechanik des menschlichen oder gesellschaftlichen Lebens, z. B. einem Sturm, einer Dürre oder eines Erdbebens, von bewussten Absichten zu sprechen. Wo aber ein Wille ist, ist auch eine Verantwortung.

 

Da es nun gerade hinsichtlich der genannten Naturphänomene ja auch um die Frage geht, welchen Anteil unser Handeln auf diese hat, sind wir in die Pflicht genommen. Und daran erinnern uns die demonstrierenden Jugendlichen.

 

Und deshalb haben sie recht.

 

Auch wenn alles möglicherweise gar nicht so schlimm kommen würde, wie es möglicherweise kommen wird.

 

Hans Jonas greift für die Begründung einer Verantwortungsethik auf "das Urbild aller Verantwortung" (234) zurück, nämlich das der natürlichen elterlichen Verantwortung für das neugeborene Kind, "dessen blosses Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen. Sieh hin und du weisst." (235)

 

Und Jonas warnt: "[D]ie Anklage der Kinder und Enkel wegen versäumter Verantwortung – die umfassendste und praktisch vergeblichste aller Anklagen - kann jeden jetzt Lebenden treffen." Doch er fügt noch hinzu: "Ebenso der Dank." (241f.)

 

Daher: Jede/r muss sowohl im privaten Bereich das Kleine ihm Mögliche tun als auch wahrnehmbar darauf zu drängen, dass es Veränderungen im Grossen gibt (öffentliches Agieren).

 

Zurzeit beliebte Facebook-Diskussionen wie 'Dieselmotor versus Elektroauto' sind sinnlos undankbar und werden nur von Ewiggestrigen geführt.

 

Quellen:

- Hans Jonas (1979). Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt am Main: Insel Verlag. Hier zit. aus der Suhrkamp-Taschenbuchausgabe 1. Aufl. 1984.

 

- "Heuristik": Wikipedia-Artikel