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Welche Bedeutung hat Datenschutz für den Gesetzgeber?

Das Widerspruchsformular präventiv ausgefüllt.
Das Widerspruchsformular präventiv ausgefüllt.

DMZ - GESUNDHEIT / WISSEN ¦ Marco Perroulaz ¦

KOMMENTAR

 

Eigentlich haben Anwälte, Ärzte und ein paar andere Berufsgruppen, zu welchen wir unbedingt vertrauen haben sollten, eine gesetzlich verordnete Schweigepflicht. Eigentlich. Doch wie es scheint, ist unserem Gesetzgeber StGB Art. 321 »Verletzung des Berufsgeheimnisses« nicht so wichtig, wenn es um eigene Interessen geht. Man kann einen im Wege stehenden Paragraphen ganz einfach mit einem neuen Gesetz aushebeln. So wie im Falle des Nationalen Krebsregisters, das am 1. Januar wie befohlen starten wird und womit Krebserkrankungen verteilt auf mehr als ein Dutzend regionale Stellen einheitlich registriert werden sollen. In jeweils zwei verschiedenen Datenbanken. Eine für Kinder und Jugendliche bis 20 und eine für Erwachsene ab 20 Jahren.

 

Das Bundesgesetz über die Registrierung von Krebserkrankungen (KRG) will mit Unterstützung der Nationalen Krebsregistrierungsstelle (NKRS), mandatiert an die Zürcher Stiftung Nationales Institut für Krebsepidemiologie und ‐registrierung (NICER), auf nationaler Ebene kategorisch vollständige Daten über Krebserkrankungen sammeln. Dazu wurden diagnostizierende Personen per Gesetz von der Schweigepflicht entbunden und Ärztinnen und Ärzte, Spitäler und andere private oder öffentliche Institutionen des Gesundheitswesens verpflichtet, diagnostizierte Krebserkrankungen in nicht-anonymisierter Form umgehend dem zuständigen Krebsregister zu melden. Und zwar unabhängig davon, ob der Patient dem Arzt gegenüber seine Weigerung der Weitergabe der Daten ausspricht.

 

»Die Hürde zum Widerspruch ist höher als üblich, z.B. bei einem Entscheid eines Patienten zur Studien-Teilnahme oder nicht. In diesen Fällen kann der/die Patientin sofort sein Nichteinverständnis zur Studienteilnahme oder Auswertung von Patienten-Daten dem Arzt kundtun und dieser hat diesen Entscheid zu respektieren.«, erläutert PD Dr. med. Macé M. Schuurmans.

 

Allerdings ist noch heute, wenige Tage vor Start, vieles unklar. Besonders für Betroffene und deren Ärzte.

»Viele Ärzte wissen nicht um ihre neue Pflicht, weil das Thema kaum kommuniziert wurde.«, sagt Schuurmans dazu. Und das für den Widerspruch zu verwendende Formular steht, wie eine Recherche zeigt, offiziell nicht vor dem 1. Januar zum Download zur Verfügung.

 

Aktuell weiss man eigentlich nur, dass die neue Datenbank jetzt umgesetzt werden soll, was angesichts der vielen EDV-Flops beim Bund in den letzten Jahren ein nicht zu unterschätzendes, vorprogrammiertes Sicherheitsrisiko darstellt. Diese Bevorratung höchst persönlicher Gesundheitsdaten in immensen Datenfriedhöfen ist schlicht bürokratischer Irrsinn und muss als Beschäftigungstherapie angesehen werden.

 

Im Sinne der meisten Spezialisten schreibt Schuurmans dazu »Wir sind Ärzte, nicht Datensammler und Diener in einem System, das datenmässig klar überfordert sein wird.«

Die Frage muss erlaubt sein, was wohl damals die Politiker geritten hat. Wurde das KRG einer Forderung folgend willkürlich definiert und verankert? Gibt es noch Verursacher, die man dazu befragen könnte oder sind die längst wieder in der Privatwirtschaft verschwunden?

Jedenfalls geht es für Patienten nun darum, genau jetzt, nach Eröffnung einer ernsthaften, lebensbedrohenden Diagnose, ausser sich infolge Schock und Panik, selbst schnell eine bestimmte Adresse und ein Formular zu finden. Das aber hat sich sogar bei einem Selbstversuch in Ruhe als gar nicht leicht herausgestellt. Einerseits, weil das Formular online gar noch nicht zu finden ist, andererseits aber auch, weil es keine geordnete Struktur gibt bei den Adressen. Vermutlich geht man bequem davon aus, wer sucht der findet. Organisation und Koordination scheinen - zumindest aus Sicht eines Patienten - ziemlich chaotisch zu sein, was auch nicht gerade vertrauenerweckend wirkt.

 

»Sie werden das Formular (oder einen Link dorthin) ab 01.10.2020 [sic!]1 auf den Seiten der Kantonalen / Regionalen Krebsregister und des Kinderkrebsregisters finden, da das Gesetz erst dann in Kraft tritt. Ergänzt wird es durch die Adressliste.«, schreibt Dr. Ulrich Wagner, Direktor NKRS  & NICER, auf Anfrage.

 

Das Formular sollte also bald zum Download bereitgestellt sein, Computer und Drucker werden allerdings vorausgesetzt. Danach ist es von Hand auszufüllen und per Post an eine bestimmte regional genau definierte Adresse zu verschicken, nachdem ein Briefumschlag gefunden und eine Briefmarke gekauft wurde. Vielleicht die letzte im Leben. Politik ist so menschlich und einfühlsam. Oder?

Ärzte haben also eine weitere Last aufgebürdet bekommen und werden, sofern sie sich dessen überhaupt bewusst sind, drastisch mehr administrativen Aufwand bewältigen müssen, der letztlich die Verteuerung der Krankenkassenprämien unnötigerweise weiter anheizen wird. Und Patienten müssen selbst widersprechen, wenn sie nicht mit allen Angaben zu Krankheit und Behandlung und samt allen persönlichen Daten fichiert werden wollen, und zwar schriftlich mittels Formular. Was hingegen unklar ist ob all der Verschlauferei ist, wer das Projekt finanziert, welche Mittel dafür zur Verfügung stehen, wer die Datenberge verarbeiten soll und was mit den nicht anonymisierten Daten genau geschehen soll. Wer sind die grossen Nutzniesser im Hintergrund? Die Pharma?

Zuviele Fragen sind aktuell offen.

 

Das weiss auch PD Dr. med. Macé M. Schuurmans, Chefarzt Pneumologie am Kantonsspital Winterthur. Er äussert sich dazu in der Schweizer Ärztezeitung »Kann man all diese Daten überhaupt sinnvoll verarbeiten? Das geht kaum, ausser man hat unlimitierte Ressourcen. Woher sollen diese kommen? Von den Steuergeldern? Treibt diese Kontroll- oder Forschungsmassnahme die Gesundheitskosten nicht zusätzlich in die Höhe?«.

 

Die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK schätzt den finanziellen Mehraufwand auf knapp zwanzig Prozent. In der Schweiz leben derzeit mehr als 320’000 Menschen mit einer Krebsdiagnose. Welche Aufwendungen für zusätzlichen IT-Bedarf und wieviel bürokratisch ausgelastetes Fachpersonal werden wir demnach zusätzlich über die Krankenkassen finanzieren müssen?

 

Eine letzte Frage muss ein jeder für sich selber beantworten: Macht es eventuell Sinn, schon im Verdachtsfall das ausgefüllte Widerspruchsformular bereit zu halten?

 

 

1 Gemeint war bestimmt der 01.01.2020


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