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Glaubensstreit bei Masern - Impf-Skeptikern auf der Spur - Skeptiker ernst nehmen

DMZ - Gesundheit / Wissen ¦

 

Als die halbe Welt sich davor fürchtete, bei den Olympischen Spielen in Rio mit Zika infiziert zu werden, schickte die WHO noch eine ganz andere Gesundheitswarnung herum. Brasilien-Reisende sollten sicherstellen, dass sie gegen Masern und Röteln geimpft sind. Dabei ging es nicht schon wieder um Bedrohungen für Europa, sondern um das Gegenteil: Die Südamerikaner sollten vor den Europäern geschützt werden. Denn ganz Amerika hat die beiden Krankheiten längst ausgerottet und fürchtet, dass Reisende sie wieder einschleppen könnten. Europa dagegen hat ein peinliches Problem: Der Kontinent wird die alten Seuchen nicht los, denn in Teilen der Bevölkerung regiert die Impfskepsis.

 

Das Ziel, in der Schweiz ebenfalls endlich die Masern auszurotten, ist ins Stocken geraten. Denn im angebrochenen 2019 wurden schweizweit bereits 138 Masernfälle gemeldet. Für die WHO ist Impfskepsis eines der zehn grössten Probleme für die Weltgesundheit. Unter den zehn Ländern mit den meisten Skeptikern sind sieben europäische. Am grössten ist der Zweifel in Frankreich: 41 Prozent der Einwohner finden, Impfstoffe seien nicht sicher. Es folgen Bosnien-Herzegowina (36 Prozent) und Russland (28 Prozent). In Deutschland haben 10,5 Prozent Bedenken über die Sicherheit von Spritzen und Tropfen - ein Anteil, der knapp unter dem internationalen Durchschnitt liegt. Die Schweiz ist nicht darunter, trotzdem – das Problem besteht auch immer mehr in der Schweiz.

 

Impfskeptiker fürchten sich vor allem vor Nebenwirkungen. Impfen ist die effizienteste und gleichzeitig kostengünstigste Massnahme, sich vor gewissen Krankheiten zu schützen. Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Impfens für den Erhalt der Gesundheit ist unter Medizinern unumstritten und durch wissenschaftliche Studien hinlänglich nachgewiesen.

 

Viele impfskeptische Eltern informieren sich über das Internet. Doch sie suchen auch Rat bei Fachpersonen, etwa bei Naturheilpraktikern und Homöopathen. Hier werden sie oft in ihrer Skepsis bestätigt.

Masern seien eine Kinderkrankheit, die bei einem gesunden Kind das Immunsystem stärke, sagt etwa eine Naturheilpraktikerin. In ihren Kursen zum Thema «Kinderheilkunde» sagt sie, jeder müsse für sich entscheiden, ob er impfe oder nicht.

 

Verharmlosung schwerer Erkrankungen

Viele Erkrankungen werden von Impfgegnern als harmlos dargestellt, nicht zuletzt deswegen, weil sie aufgrund der guten Durchimpfungsrate nahezu nicht mehr auftreten. Aus gutem Grund: Dank derer, die sich und ihre Kinder impfen lassen, sind Erkrankungen wie Pocken oder Kinderlähmung ausgerottet. Nachholbedarf gibt es jedoch noch bei Masern: So gibt es beispielsweise bei Masern pro Million Impfungen etwa drei Todesfälle, pro Million Erkrankungen aber 10.000 Todesfälle.

 

Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat jeder zehnte Masernpatient Komplikationen, etwa eine Entzündung im Mittelohr, in der Lunge oder selten auch im Gehirn. In sehr seltenen Fällen könne Jahre nach einer Masernerkrankung eine fortschreitende Hirnschädigung auftreten, die unweigerlich zum Tod führe.

 

Ungleichgewicht bei Impfberatung

Trotz wissenschaftlicher Argumente ist die Impf-Skepsis in der Schweiz verbreitet. Mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist falsch informiert. Der Bund hat sich zum Ziel gesetzt, 95 Prozent aller zweijährigen Schweizer Kinder mit Impfungen vor Masern zu schützen. Denn laut WHO gelten Masern in einem Land dann als ausgerottet, wenn 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Die Schweiz verfehlt dieses Ziel: Die Masern-Impfquote liegt hierzulande bei 87 Prozent für die notwendigen zwei Dosen. Die erste Dosis haben 93 Prozent der Zweijährigen erhalten.

 

«Gefahr für die Weltgesundheit»

2019 wurden schweizweit bislang 138 Masernfälle gemeldet – vor einem Jahr zum selben Zeitpunkt waren es 17. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einer weltweiten Zunahme der Masernfälle um 300 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum: 2019 waren es bislang 112‘163 Fälle, 2018 waren es im gleichen Zeitraum 28‘124. Die WHO sieht in der Impfskepsis eine «Gefahr für die Weltgesundheit».

 

Für Christoph Berger von der Eidgenössischen Impfkommission ist Impfen etwas Solidarisches. «Damit schützen wir Babys, die man noch nicht impfen kann, und Immunschwache, die keine Impfung vertragen.» Der Arzt ist überzeugt: «Wir haben eine sehr wirksame Impfung. Wir könnten die Masern ausrotten, dann müssten wir nicht mehr impfen.»

 

Diskussion über Impfpflicht

Manche Länder in Europa setzen daher auf eine Impfpflicht. In Frankreich und Italien ist die Masernimpfung obligatorisch. Auch der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich für eine Masern-Impfpflicht in Kitas und Schulen ausgesprochen.

Die Schweiz geht einen anderen Weg. Auch wenn laut Christoph Berger Impfgegner viele falsche Behauptungen verbreiten: Er ist gegen eine Impfpflicht. Er setzt auch weiterhin auf Freiwilligkeit – und auf mehr Aufklärung.

Man kann der modernen Medizin skeptisch gegenüberstehen und ihre Möglichkeiten zurückweisen. Das sollte man aber nicht für Menschen tun, die einem anvertraut sind. Oder lassen Sie Ihr Kind etwa ohne Helm Radfahren?

 

Wir räumen hier mal mit den häufigsten Skeptikerargumenten auf:

 

Weil Impfungen gefährlich sind?

Es stimmt: Es gab Komplikationen mit Hirnhautentzündungen und Lähmungen – in sieben Fällen bei 16 Millionen Impfungen. Und bei diesen Fällen sind Experten nicht einmal sicher, ob die Impfung der Auslöser war oder nur zufällig in zeitlichem Zusammenhang stand.

 

Weil Impfungen Autismus fördern?

Das ist eine Mär, die sich hartnäckig hält, aber nichts mit wissenschaftlich seriöser Forschung zu tun hat. Im Gegenteil: Die entsprechende Studie wurde zurückgezogen.

 

Weil Impfungen das Immunsystem schwächen?

Genau das tun sie gerade nicht. Sie lassen den kleinen Körper beispielsweise eine leichte Masern-Infektion „durchspielen“ und fördern damit Antikörper zutage, die den Menschen sein Leben lang schützen können.

 

Weil Kinderkrankheiten für die Entwicklung wichtig sind?

Auch ohne Mumps, Masern, Röteln, Windpocken und was es sonst alles gibt können schlaue, erfolgreiche und sozial verträgliche Menschen heranwachsen. Gesunde Kinder haben auf jeden Fall eine grössere Chance, sich auf das zu konzentrieren, was ihnen gut tut, als kranke, die mit Erregern kämpfen, die dauerhafte Schäden verursachen können.

 

Weil von Impfungen die Pharmabranche profitiert?

 

Soll sie doch. Wenn eine Industrie Medikamente entwickelt, die der Menschheit eine bessere Lebensqualität bieten, darf sie gern daran verdienen. Entscheidend ist doch, dass der Zugang zu solcher Medizin allen gegeben ist und nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Das ist bei uns zum Glück der Fall. Statt Energie auf die Debatte zu verschwenden, ob wir eine Impfpflicht einführen müssen, sollten wir daran arbeiten, dass möglichst alle Menschen überall auf der Welt solchen Schutz erhalten.