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Zürich - Das Bundesgericht unterstützt mit der Einschränkung des Beschwerderechts die Willkür zusätzlich

DMZ - SOZIALES / RECHT / GESETZ ¦ David Aebischer ¦

KOMMENTAR

 

Kaum jemand hat mit so etwas gerechnet. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen die Änderung des Zürcher Sozialhilfegesetzes abgewiesen. Damit wird quasi die Willkür begünstigt und weiter betoniert. Denn bereits bisher war selbst bei einer Beschwerde die Chance auf Erfolg praktisch null. Statt, dass die Beschwerden und Einsprachen gegen falsche Entscheide oder schlechte Behandlung ernst genommen werden, werden diese nun ganz abgeschafft. 

Bisher wurden die Beschwerden jeweils von der nächst höheren Instanz abgeschmettert mit den immer selben fadenscheinigen Begründungen (Unterlagen nicht komplett, keine Mithilfe des Antragstellers usw.). Auch bei Meldungen von Drohungen, Erpressung, Fehlern, Empathielosigkeit und weiteren untragbaren Zuständen waren Beschwerden fast immer aussichtslos. Mit diesem Fehlentscheid (immerhin sehr knapp: mit drei gegen zwei Stimmen) befürchten nun viele, dass der Rest der Schweiz nachziehen wird. Schliesslich lässt es sich doch viel angenehmer arbeiten, wenn sich niemand mehr beschweren kann.

 

Die Verschärfung des Sozialhilfegesetzes in Zürich ist nun also Tatsache. Wer hätte das gedacht.

Damit können sich Menschen, die im Kanton Zürich auf die Sozialhilfe angewiesen sind, nicht mehr direkt gegen Auflagen wehren. Das Sozialhilfegesetz des Kantons Zürichs erlaubt es den Behörden, wie in vielen anderen Kantonen auch, die Sozialhilfe von Auflagen abhängig zu machen. Die Behörden können zum Beispiel verlangen, dass jemand eine günstigere Wohnung sucht. Befolgt ein Betroffener die Weisung nicht, kann ihm die Behörde die Sozialhilfe kürzen. Der Kantonsrat ergänzte diesen Artikel mit einer zusätzlichen Bestimmung. Sie lautet wörtlich: «Auflagen und Weisungen sind nicht selbständig anfechtbar». Katastrophal: Da fragt man sich zurecht, was genau bei "Sozialhilfe" noch sozial ist, und welcher Teil davon Hilfe darstellt.

 

Konkret bedeutet das: Erst wenn ein Betroffener sich weigert, eine Weisung zu befolgen und ihm deshalb die Sozialhilfe gekürzt wird – erst dann kann er sich rechtlich gegen eine solche Weisung wehren. Das sei eine massive Einschränkung der Grundrechte, argumentierten verschiedene Organisationen und reichten zusammen mit drei Sozialhilfebezügerinnen eine Beschwerde ein.

Die Mehrheit der Richter stellten sich auf den Standpunkt, dass Weisungen und Anordnungen grundsätzlich nicht anfechtbar seien. Die Betroffenen hätten immer noch die Möglichkeit, sich gegen eine Kürzung der Sozialhilfe rechtlich zu wehren. Ein solches Verfahren habe eine aufschiebende Wirkung. Damit ändere sich für die Betroffenen bis zu einem rechtskräftigen Entscheid nichts. Genau hier sieht man, dass Bedürfnisse der Bezügerinnen und Bezüger nicht berücksichtigt werden und sie sich auch kaum mehr wehren können, da ihnen das Geld ohnehin dazu fehlt. Praxisfremde Entscheide werden leider immer häufiger gefällt.

 

Die Minderheit der Richter sah hingegen die Grundrechte der Betroffenen tangiert. Mit der neuen Bestimmung müsse sich jemand erst einer Anordnung der Behörde widersetzen, bevor er sich rechtlich dagegen wehren könne. Dies unterminiere die Rechtstreue der betroffenen Personen und sei eines Rechtsstaates unwürdig. Diese Richter scheinen es nicht nur juristisch verstanden zu haben.

 

Die Beschwerdeführer zeigten sich vom Entscheid des Bundesgerichts enttäuscht. Die Caritas spricht von Zwängerei: Das knappe Urteil zeige, wie umstritten die Verschärfung des Gesetzes sei, heisst es in ihrer Stellungnahme. Die unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS spricht von einem stossenden Urteil und teilt mit, sie prüfe einen Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir hoffen, dass dies der Fall sein wird und dieser Fehlentscheid doch noch zum Fallen kommt.

 

 

Quellen: SRF1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen ¦ Caritas ¦ admin.ch ¦ Kanton Zürich, Sicherheitsdirektion, Sozialhilfe


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