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Das Wunder von Bologna – die Wende in Italien

Flashmob „6000 Sardinen gegen Salvini“ am 14. November 2019 in Bologna. Bild Wikipedia.
Flashmob „6000 Sardinen gegen Salvini“ am 14. November 2019 in Bologna. Bild Wikipedia.

DMZ - INTERNATIONAL ¦ Peter Beutler ¦

 

Wahlen vom 26. Januar 2020 in der Emilia Romagna. Die Medien überboten sich, den Sieg der Lega vorauszusagen. Die Linken, vor allem die Sozialdemokraten der PD, würden dagegen schnurstracks in eine krachende Niederlage hineinstolpern. Die Artikel für diesen Fall lagen wohl bereits in der Rohfassung vor. Viel zu tun hätte es nicht mehr gegeben, sie ins Internet aufzuschalten. Der Sturz der Regierung Conte wäre wohl vordergründig in der düstersten Tonart, unterschwellig aber als willkommen herbeischrieben worden.

 

Dann die langen Gesichter kurz vor Mitternacht des Wahlabends. Die ersten Hochrechnungen kamen. Ein Schlag ins Genick der sensationslüsternen Journis der (meist) rechten Medien. Das klammheimlich ersehnte Ereignis trat nicht ein. Ganz im Gegenteil. Der sozialdemokratische Amtsinhaber des Regionalpräsidiums lag deutlich vor der Herausforderin der Lega.

 

Rechte Oneline-Portale wie die des Focus wollten das noch nicht ganz wahrhaben. Sie nahmen sich die Umfrage heraus, in der die Linke am schlechtesten abschnitt: die Prognose des Senders Rai, der die Lega-Kandidatin zwischen 44 bis 48 Prozent sah, während der PD-Mann bei 47 bis 51% lag. La7 kam der Wahrheit näher: 51,8 gegen 43,5% für den PD. Um vier Uhr am Morgen des 27. Januar meldete NZZ Online: Die Rechtspopulisten scheitern knapp am «roten Bologna» – die Regierung in Rom steht weiter unter Druck. Ebenso bescheuert die Frühnachrichten von SRF1/2: Kopf an Kopf-Rennen in der Emilia Romagna. Die Linke kommt mit einem blauen Auge davon. Das vorläufige Endergebnis: 51,7% für den PD, 43,7 % für die Lega.

 

Während die NZZ in einem bemerkenswerten Hintergrundartikel eine sorgfältige und tatsachengerechte Analyse ihren Fauxpas in der Ausgabe vom 29. Januar richtigstellte, konnte der SRF-Italienkorrespondent Franco Battel einen Tag nach der Wahl das Sticheln gegen die Regierung Conte nicht lassen: Dass sich ein Ergebnis wie in der Emilia Romagna wiederhole, sei zu bezweifeln, Umfragen belegten, in Italien habe die Rechte deutlich mehr Anhänger als die Linke. Dass Battel im gleichen Zug auch noch die Sardinen-Bewegung kleinredete, schien seiner enttäuschten Erwartungshaltung zu entsprechen.

 

Das Wesentliche brachte die deutsche Zeit kurz nach Schliessung der Urnen: Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 67 % fast doppelt so hoch wie bei den 35% der vorigen Wahl.

 

Dass die Stimmbeteiligung um 30% höher lag, kommt einer Sensation gleich. Was war geschehen?

 

Im vergangenen Herbst formierten sich die Sardinen als Gegenbewegung zur Lega Salvinis. Ohne die Sardinien wären die Wahlen in der Emilia Romagna anders ausgegangen, das gab der Wahlsieger aus den Reihen der PD unumwunden zu und bedankte sich herzlich bei den Helfern. Die Sardinen haben vor allem junge Wählerinnen und Wähler mobilisiert, in einem Ausmass, das aufhorchen lässt. Vom Norden bis nach Florenz und Rom hinunter beteiligten sich bereits Hunderttausende an den Kundgebungen der Sardinien. Am Wahltag, dem 26. Januar 2020 etwa, als in Bologna mehr als 40'000 von ihnen auf die Strassen und Plätze gingen, während der rechtsradikale Mob nicht über ein bescheidenes Häufchen hinauswuchs.

 

Die Sardinen-Bewegung (italienisch movimento delle sardine oder nur le sardine) wird als gesellschaftspolitische Graswurzelbewegung bezeichnet Sie entstand Ende Oktober 2019 in Bologna. Die Sardinen breiten sich seither über den ganzen Stiefel aus. Sie organisieren gewaltfreie Kundgebungen gegen die bedrohlich anwachsende fremdenfeindliche , ja , rassistische Lega und deren Bündnispartner, der sich offen zum Faschismus bekennenden Fratelli d'Italia. Der Protest der Sardinien richtet sich derzeit vor allem gegen Matteo Salvini, der Gallionsfigur der extremen Rechten. Salvini scheut sich nicht, seine Bewunderung für Benito Mussolini in aller Öffentlichkeit zu zelebrieren.

 

Matteo Salvini bringt auf Twitter einen Satz aus der Zeit des italienischen Faschismus unter - am Geburtstag Mussolinis

 

Die Nähe Salvinis zum 1945 von italienischen Partisanen in Mezzegra am Comersee erschossenen Benito Mussolini ist nicht mehr zu kaschieren.

 

Auf Twitter schrieb Salvini Ende Juli 2018 über seine politischen Gegner Tanti nemici, tanto onore, was so viel heisst wie Viel Feind, viel Ehr. Salvini bediente sich damit eines Ausspruchs des faschistischen Diktators und Hitler-Weggefährten Benito Mussolini, und das ausgerechnet zum Geburtstag des Duce am 29. Juli. Molti nemici, tanto onore steht zum Beispiel auf den Böden der faschistischen Bauten des Sportstättenkomplexes Foro Italico (ehemals Foro Mussolini) in Rom - wo auch Duce Duce Duce draufgepinselt ist.

 

Anlässlich des Europa Wahlkampfs in Forli sprach Salvini von einem Balkon, den seit dem Ende des Faschismus vor 75 Jahre kein Politiker mehr betreten hatte. Denn es ist der Platz, von dem der in der Nähe geborene faschistische Diktator Benito Mussolini häufig und gerne Reden hielt. (Forlì ist die Metropole der italienischen Provinz Forlì-Cesena in der Region Emilia-Romagna. Die Stadt zählt circa 120 000 Einwohnern.)

 

Salvini rief der im strömenden Regen an seinen Lippen klebenden und hysterische schreienden Menge zu. «Ich habe drinnen zu einigen hundert Menschen gesprochen, aber ich will hier mit euch nass werden, weil wir diese Stadt und dieses Land befreien werden». «Und je mehr sie mir drohen, desto mehr will ich weiter durchziehen wie ein Zug.»

 

Pikantes Detail zu Forli. Bei den Kommunalwahlen 2019 fiel Forli erstmals an die Lega. Zuvor wurde es jahrzehntelang von der Linken reagiert. Doch am 26. Januar 2020 fuhr der Kandidat des PD dort einen überwältigenden Sieg ein. Die Ironie dieser peinlich beschämenden Geschichte. Um die Schweizer Zuhörerschaft auf den erwarteten Erfolg der Salvini-Parteigänger einzustimmen, brachte Radio SRF1/SRF2 ein wohlmeinendes Interview mit dem neuen Bürgermeister, dem Faschisten Gian Luca Zattini.

 

Mussolinis Urenkel und Salvinis Freunde

«Und dort geht einer auf Stimmenfang, dessen Name Italiens Geschichte prägt, im apulischen Stornarella: 6000 Einwohner, die meisten Leute haben nicht viel. Hier erwarten sie Caio Giulio Cesare Mussolini. Der Urenkel von Benito Mussolini kandidiert für die rechtsextreme Fratelli d'Italia. Die Fratelli d`Italia gehört zum Rechts-Bündnis mit Salvinis Lega und Berlusconis Forza Italia. Dass sie für den Europawahlkampf mit dem Urenkel des Faschisten ins Rennen ziehen, macht sie stolz.» (Zitat ZDF).

 

Wer ist diese Caio Giulio Cesare Mussolini? Er diente in der italienischen Marine als Offizier. Danach war er viele Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten in der Rüstungsbranche tätig. Jetzt, sagt er von sich, sei für ihn der Zeitpunkt gekommen, sich wie sein Urgrossvater für Italien ins Zeug zu legen: «Wir brauchen viel mehr Italien in Europa, um unsere Interessen zu wahren und Italien wieder ins Zentrum zu rücken.»

 

Warum er, Cai Giulio Cesare Mussolini, nie, was ihm angetragen wurde, seinen Namen durch einen weniger belasteten ausgetauscht habe, fragte ihn ein Journalist. «Es ist eine grosse Ehre Benito zum direkten Vorfahren zu haben. Er war der grösste Italiener der jüngeren Geschichte. Ich will die Migration streng kontrollieren. Die Linken haben meine Heimat ins Chaos geführt. Gemeinsam mit der Lega kämpfe ich für ein starkes Italien».

 

So nebenbei wäre darauf hinzuweisen: Bei Salvinis Auftritt auf dem «Faschistenbalkon» in Forli stand dieser Caio Giulio Cesare Mussolini neben ihn.

 

Und auch Folgendes darf nicht unerwähnt bleiben: Nach seinem Rauswurf aus der italienischen Regierung im Spätsommer 2019 kündete Salvini einen zweiten Marsch auf Rom an. Eben von diesem Balkon, auf dem am 28. Oktober 1922 Benito Mussolini mit seinen schwarzbehemdeten Horden zu Fuss in die Hauptstadt aufgebrochen war.

 

Salvini sorgt für stets neue Gemeinheiten. Vor wenigen Tagen klingelte er unter dem Gejohle der ihn begleitenden Anhänger in einem Bologneser Stadtteil dreimal an einer Haustür. Durch die Gegensprechanlage liess er verlauten: Hier spricht Matteo Salvini. Ich habe gehört, dass in diesem Haus Tunesier leben und mit Drogen handeln. In einem NZZ-Artikel vom 29.01.2020 Das rote Pilastro weist den Miesmacher in die Schranken, ist darüber nachzulesen: Die italienische Presse fand heraus: Der angebliche Drogenhändler heisst Yassim, er ist 17 Jahre alt, ein Fussballtalent mit Ambitionen und wird demnächst Vater. Drogen lehnt er nach eigener Aussage ab. Der junge Mann und seine Familie wollen gegen Salvini Klage einreichen, wegen Störung der Privatsphäre und übler Nachrede. Ebenso gegen eine Denunziantin, die Salvini zu dem jungen Tunesier geführt hat. Facebook hat am Dienstag das Salvini-Video gesperrt.

 

Was haben Benito Mussolini und Matteo Salvini eigentlich mit der Schweiz zu tun?

 

1937 verlieh die Universität Lausanne dem italienischen Diktator die Ehrendoktorwürde. Die Geste aus dem Waadtland war für viele Zeitgenossen ein Affront – nicht aber für den Waadtländer und späteren General Henry Guisan, der sich damals noch als Freund des Duces sah. Nach seiner Wahl zum Oberbefehlshaber distanzierte sich Guisan allerdings von den Faschisten und den Nazis.

Salvini wird heute von Leithammeln der schweizerischen Rechten bewundert. Von Köppel, Freisinger und Glarner wohl. Wissen diese um Salvinis Nähe zum Faschismus? Köppel und Freisinger ganz sicher. Bei Glarner möchte ich das nicht behaupten.

 

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/italien-salvini-rechtsextreme-100.html

https://www.handelsblatt.com/politik/international/aeusserung-auf-twitter-italiens-innenminister-empoert-mit-faschistischem-zitat-aus-mussolini-zeit/v_detail_tab_comments/22860828.html


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