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CORONAVIRUS - Folgen, Einschätzungen und Reaktionen nach dem Bundesratentscheid

DMZ - GESELLSCHAFT / LEBEN ¦

 

Der Bundesrat stuft die Coronavirus-Situation in der Schweiz erstmalig als «besondere Lage gemäss Epidemiengesetz» ein.

Deshalb verbietet er ab sofort Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen – private wie öffentliche. Darunter fallen Anlässe wie die Basler Fasnacht, der Autosalon in Genf, Fussballspiele oder Konzerte. Die Liste der betroffenen Anlässe finden Sie hier. Soweit die Meldungen von gestren, 28.2.2020.

 

Das Verbot gilt bis zum 15. März 2020 – und kann allenfalls verlängert werden.

Die Kantone haben zum Teil weitergehende Massnahmen ergriffen.

 

 

Armee bereitet Unterstützungsmassnahmen vor

Um allfällige logistische und sanitätsdienstliche Leistungen zugunsten der Bevölkerung sicherstellen zu können, trifft die Schweizer Armee weitere Massnahmen.

Nebst der Einschränkung des Ausgangsrayons auf den Waffenplätzen im Kanton Tessin gilt für militärisch-medizinisches Personal in der gesamten Schweiz eine Beschränkung des Ausgangsrayons auf den jeweiligen Waffenplatz, erklärt die Schweizer Armee. Grund dafür sei, dass die «Armee bereit sein und sich daher möglichst wenig exponieren will.»

Spezifisch bereite sich die Armee auf mögliche Einsätze zugunsten der zivilen Behörden in den Bereichen «Screening an Flughäfen, Transporte, Desinfektion und sanitätsdienstlicher Low-Level-Care» vor.

 

Neue Infektionszahlen aus China und Südkorea

In China steigt die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus weiter an. Am Freitag hat es 427 neue Fälle gegeben, erklärte die Nationale Gesundheitsbehörde am Samstag. Damit wurden in China insgesamt 79'252 Fälle bestätigt. Die Zahl der Todesfälle stieg um 47 auf insgesamt 2835.

Derweil ist in Südkorea die Zahl der infizierten Personen binnen 24 Stunden um fast 600 gestiegen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden am Samstag, kamen über Nacht 594 neue Fälle hinzu. Damit steckten sich bisher 2931 Menschen mit dem Erreger an – so viele wie nirgendwo sonst ausserhalb Chinas, wo der Ursprung der Lungenkrankheit vermutet wird. Die Zahl der Todesfälle, die mit dem Virus in Verbindung gebracht werden, kletterte in Südkorea um drei auf bisher 16.

 

«Gesundheit ist wichtiger als jedes Fussballspiel»

Im Kampf gegen das grassierende Coronavirus schliesst FIFA-Präsident Gianni Infantino Spielabsagen oder Partien ohne Zuschauer nicht aus.

«Die Gesundheit der Menschen ist viel wichtiger als jedes Fussballspiel. Im Zweifel müssten wir derartige Massnahme ergreifen», sagte der Boss des Fussball-Weltverbandes am Freitag in Belfast: «Ich möchte im Moment nichts ausschliessen. Aber ich hoffe, dass wir nicht in diese Richtung gehen müssen.»

Die FIFA werde die Entwicklung weiter intensiv beobachten, erklärte er weiter. «Wir müssen hoffen, dass sich das Coronavirus nicht weiter ausbreitet», sagte er und fügte an: «Momentan sieht es danach leider nicht aus.»

Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit seien eine kurzfristige Massnahme, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten, ergänzte der FIFA-Präsident: «Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Wettbewerb über Monate hinter verschlossenen Türen weiterläuft.»

 

Anti-Doping-Agentur sagt Treffen in Lausanne ab

Wegen des neuartigen Coronavirus sagte die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ihr Jahres-Symposium in der Schweiz ab. Das teilte die Wada am Freitagabend mit.

Die internationale Tagung sollte vom 17. bis 19. März im SwissTech Convention Center in Lausanne stattfinden. Grundlage für die Absage sei die am gleichen Tag getroffene Entscheidung der Schweizer Behörden gewesen. Der Bundesrat hatte wegen des Ausbruchs von Sars-CoV-2 bis zum 15. März alle Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Zuschauern verboten. So wurden auch alle Fussball-Erstligapartien des Wochenendes auf einen unbestimmten Termin verlegt.

Wada-Präsident Witold Banka sprach von einer «schwierigen Entscheidung». Sie sei aber notwendig gewesen, um «die Gesundheit und Sicherheit der Agentur-Mitarbeiter und aller Beteiligten zu sichern». Knapp 1000 Teilnehmer aus aller Welt wurden laut Wada zur Jahrestagung erwartet.

 

Chur verbietet Anlässe ab 50 Personen

Wegen des Coronavirus hat die Stadt Chur in Absprache mit dem Kanton entschieden, dass ab sofort Veranstaltungen ab 50 Personen grundsätzlich untersagt sind. Es mache wenig Sinn, Anlässe mit zum Beispiel 800 Personen zu genehmigen, auch wenn diese Zahl unter 1000 Teilnehmenden liege.

Es gehe darum, die Rückverfolgbarkeit allfällig infizierter Personen bestmöglich sicherzustellen, heisst es in einer Medienmitteilung der Stadtkanzlei vom Freitagabend. Von dieser Massnahme nicht betroffen sei die normale Geschäftstätigkeit, zum Beispiel in der Gastronomie oder der Besuch öffentlicher Einrichtungen oder Anlässe mit gesellschaftlicher Notwendigkeit wie etwa Beerdigungen oder der Parlamentsbetrieb. Diese Massnahme gelte ab sofort und sei bis 15. März befristet.

Die Stadt bittet die Bevölkerung, grössere Menschenansammlungen vorübergehend zu meiden und so dazu beizutragen, die Ausbreitung des Virus soweit wie möglich aufzuhalten.

 

Verunsicherung bei den Veranstaltern

Sie alle sind davon betroffen, dass Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen, abgesagt sind: Der SC Bern, die Schlagersängerin Beatrice Egli, der Komiker Claudio Zuccolini – und enttäuschte Konzertgäste.

Im Hallenstadion herrscht gähnende Leere, 12 Grossveranstaltungen wären bis Mitte März hier geplant, alle wurden abgesagt oder verschoben. Die Folge: Enorme Einbussen. Immerhin, eine letzte Hoffnung hat Philipp Musshafen, der Hallenstadion-Direktor: «Wir haben eine Pandemieversicherung», wie und wo sie greift, wird nun abgeklärt.

 

 

Die Schulen bleiben offen

Viele Eltern von Schulkindern haben heute ein Schreiben erhalten. Dort erinnern die Schulbehörden an die Hygienemassnahmen, die angesichts der Coronavirus-Situation in der Schweiz eingehalten werden sollen. Anders als in Italien werden hierzulande aber (noch) keine Schulen geschlossen. Denn Kinder und Jugendliche gehören nicht zu den Risikogruppen.

Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler? «Angst habe ich grundsätzlich nicht», sagt ein 16-jähriger Schüler eines Zürcher Gymnasiums. Eine Kollegin sorgt sich mehr um ihre Grosseltern als um sich selbst. Bis auf Weiteres werden also die Schulglocken in der Schweiz vorerst weiter jeden Tag läuten.

 

Swiss: Weniger Flüge nach Italien

Bei der Fluggesellschaft Swiss wird es vorerst weniger Flüge nach Italien geben. Auf den Flügen nach und von Florenz, Mailand, Rom und Venedig würden die Frequenzen bis voraussichtlich Ende März 2020 reduziert, teilte das Unternehmen am Freitagabend mit.

Wegen der durch die Auswirkungen des Coronavirus «veränderten Buchungslage» habe die Swiss zusammen mit der Lufthansa Group entschieden, die Frequenzen nach Italien bis Ende März 2020 zu reduzieren. Näher beziffert wurde dies nicht.

 

Reaktionen auf den Strassen– von «übertrieben» bis «nötig»

Was denken die Leute im Kanton Zürich über die beschlossenen Massnahmen? Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus:

«Offenbar ist es nötig. Ob ich es gut finde, spielt keine Rolle.»

«Die Massnahme kostet viel Geld, aber es ist sicher angebracht, bei diesem Thema vorsichtig zu sein.»

«Ich finde die Massnahme übertrieben.»

«Gut, dass Vorsichtsmassnahmen ergriffen werden.»

 

In der Ruhe liegt die Kraft

In Krisen sind Kritiker nicht weit. Doch sie tragen keine Verantwortung, die Behörden schon. Sie scheinen ihr gewachsen.

 

Bundesrat Berset trat heute zum vierten Mal diese Woche vor die Kameras, um über das Coronavirus zu informieren. Beim ersten Auftritt des Gesundheitsministers am Dienstag lautete die Kernbotschaft: «Die Schweiz ist vorbereitet. Wir haben noch keinen Fall. Wir haben die Lage im Griff.»

Heute, nur drei Tage später, tönte der Freiburger viel vorsichtiger. Die Situation entwickle sich «rasant», man müsse «flexibel» reagieren können und «bescheiden» sein bei der Bewältigung der Krise. Haben die Behörden das Coronavirus unterschätzt, zu langsam oder gar falsch informiert, wie Kritiker diese Woche behaupteten? Kritik in einer Krisensituation ist einfach. Kritiker finden Gehör, weil die Leute Angst haben, sich Fragen stellen und das Virus unsichtbar ist. Kritiker tragen aber keine Verantwortung.

 

Das Epidemiegesetz greift

Das Handeln des Bundesrates und des Bundesamtes für Gesundheit wirkten auf viele Beobachter abgewogen und überlegt. Trotz rasanter Verbreitung des Virus – von Dienstag null bestätigten Schweizer Fällen auf 15 am Freitag – haben die Behörden nicht die Nerven verloren und nicht zu drastischen, medienwirksamen Massnahmen gegriffen.

Ja, das Virus ist sehr ansteckend und verbreitet sich rasend schnell. Aber laut Behörden ist es nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung (Alte und Kranke) wirklich lebensgefährlich. Und auch dort nicht bei allen: der 70-jährige Mann aus dem Tessin, der am Dienstag als erster Coronavirus-Fall der Schweiz eingeliefert wurde, hat heute das Spital gesund verlassen können.

Mit dem neuen Epidemiegesetz von 2016 hat der Bund die Kompetenzen mit den Kantonen neu geregelt. Nach den Sars- und Vogelgrippe-Epidemie gab es offenbar Abgrenzungsprobleme bei der Zuständigkeit. Diese scheinen jetzt behoben, wie auch Kantonsvertreter heute bekräftigten. Die vom Bund beschlossene Massnahme – Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmenden zu verbieten – ist klar, einfach verständlich und wohl wirksam.

 

Abwägen zwischen wirtschaftlichem Schaden und Nutzen

Trotzdem gibt es Unschärfen: Warum darf man weiterhin in überfüllten Zügen reisen? Bundesrat Berset selber gab am Freitag zu, die Schwelle von 1000 Personen habe etwas «Willkürliches» und er musste mehrmals erklären, warum eine Zugfahrt unbedenklich sein soll.

Zweifel sind angebracht, ob überfüllte IC Züge – etwa 17:32 von Bern nach Zürich – wirklich keine Ansteckungsgefahr bergen. Ansteckungen dort sind wohl möglich. Aber der wirtschaftliche Schaden bei der Streichung von IC-Hauptachsen wäre wohl grösser als der gesundheitliche Nutzen für die Bevölkerung, den man mit einem Zugfahrverbot erreichen würde.

Trotz der heute erstmals ausgerufenen «besonderen Lage» haben die Behörden mit Ruhe und gesundem Menschenverstand reagiert. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, wovon ausgegangen werden muss, wollen die Behörden weiterhin ruhig reagieren. Nicht ganze Städte sollten abgesperrt, sondern gezielte Massnahmen getroffen werden, um etwa Alte in Heimen zu schützen (mit einfachen Besuchsverboten). In der Ruhe liegt die Kraft – auch während der «besonderen Lage», die heute ausgerufen wurde.

 

 

Quelle: SRF ¦ NTV ¦ BAG


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