· 

„A bitz Schwiinigs et a blätz épaule, bitte!“

DMZ – KULTUR ¦

Patricia Jungo 

#mittelländische ¦

 

In unserer viersprachigen Schweiz spricht man in den Kantonen Bern, Freiburg und Wallis zwei Sprachen und im Kanton Graubünden sogar deren drei. Die Mehrheit der Bevölkerung ist deutschsprachig. Im Kanton Freiburg jedoch ist genau das Gegenteil der Fall. Dort überwiegt das Französisch und die deutschsprachigen Einwohner sind in der Minderheit. Die Saane bildet die symbolische Sprachgrenze zwischen der Romandie im Westen und der Deutschschweiz im Osten. Im alten Französisch gab es noch eine Sprache mehr, nämlich das „Bolze“, eine Mischung aus Französisch und Deutsch. Beim „Bolze“ wechseln sich Französisch und Deutsch ab und die Wörter reihen sich nahtlos aneinander. So kam man auf dem Markt auch einmal seltsam klingenden Dialogen lauschen: „„A bitz Schwiinigs et a blätz épaule, bitte!“ (Ein Stück Schweinefleisch und ein Stück Schulter, bitte!). In der Stadt werden Französisch, aber auch Senslerdeutsch (Dialekt aus dem Sensebezirk) und auch das Bolze gesprochen. Wirft man einen Blick auf die Karte, wird sofort klar, dass die Sprache eng mit der Topographie der Stadt verknüpft ist. Die moderne neue Stadt, la „Haute“, erhebt sich auf der Höhe des linken Saane-Ufers. Doch spricht man mehrheitlich Französisch. Das Zwischenquartier findet man auf halber Höhe und unten kommt man in die „Basse-Ville“. Dort befand sich das ehemalige Armenquartier und die Sprache am rechten Ufer war vorwiegend Deutsch. Die Bauern des deutschsprachigen Sensebezirks hatten es nicht einfach und viele mussten im 19. Jahrhundert ihren Wohnort verlassen und in die Stadt ziehen. Dort siedelten sie sich vor allem in der Basse-Ville an. Da es für sie nicht in Frage kam zu den Protestanten im Norden oder den Romands im Süden zu ziehen, bot sich die Stadt Freiburg als der geeignete Zufluchtsort an. Wegen der engen Wohnverhältnisse hielten sich viele Kinder meist auf der Strasse auf. Dabei mischten sich auch die Sprachen und mit der Zeit entstand daraus ein gemeinsames Idiom. Dem Bolze eine genaue Definition zuzuschreiben, gestaltet sich als eher schwierig. Jeder definiert das Bolze auf seine eigene Weise. Für viele ist es eine Sprache, andere sehen es eher als Identität, als Dialekt oder auch als Akzent. Der Ursprung des Wortes „Bolze“ ist nicht geklärt. Das Wort hat sich im 19. Jahrhundert entwickelt. Es bestehen zwei Thesen: Die erste nimmt an, dass das Wort vom Familiennamen „Bolz“ stammen könnte. Die andere denkt eher an eine Ableitung der Nachsilbe „-bold“ für Wörter, die Personen charakterisieren wie z.B. „Witzbold“, Trunkenbold“. Für die Freiburger ist es klar, dass der Ausdruck sowohl Sprache, Akzent, Identität als auch Geisteshaltung spiegelt. Das Bolze ist geprägt aus deutscher und französischer Kultur, aus Stadt und Land, aus Menschen mit Charakter, die sich gegen die Autorität auflehnten. Eine weitere Besonderheit ist, dass es ein deutsches und ein französisches Bolze gibt. Dabei leiht sich die Ursprungssprache die Wörter der anderen Sprache aus. Da die Deutschsprachigen öfter zweisprachig sind, ist ihr Bolze etwas kreativer. Sie verdeutschen französische Wörter oder brauchen sie einfach mitten im Satz. So können sie sagen: „I gange ga patiner“ oder auch „I gange ga patiniere“. Das etwas weniger reiche französische Bolze leiht sich einfach deutsche Wörter aus und reiht sie in einem Satz an die französischen („le vatre a schlagué le chien!“).

Das Bolze war die Sprache der Armen und die Menschen, die es sprachen wurden von den besser situierten Einwohnern der Oberstadt stigmatisiert. Die Basse-Ville von Freiburg galt bis in die 50er-Jahre als eine der ärmsten Regionen der Schweiz, wo Not, Leiden, Alkoholismus und Verelendung sowie hohe Geburtenraten Realität waren. Erst Ende der 50er-Jahre verlangten die deutschsprachigen Einwohner in Sachen Verwaltung, Politik und Schule auch Rechte. So war es vor 1968 beispielsweise nicht möglich gewesen am angesehenen Collège St-Michel eine deutschsprachige Matura abzulegen. Erst am Anfang der 70er-Jahre endete die sprachliche Diskriminierung . In diesen Jahren wurde die Basse-Ville renoviert und es entstanden auf einmal Wohnungen für gut verdienende Leute. Nach und nach folgten Buslinie, Arzt, Bankomaten und vieles mehr und heute ist Wohnen in der Basse-Ville zu einem „Lebensstil“ geworden. Die Bolze-Kultur hat sich entwickelt und es gibt darüber viele wissenschaftliche Forschungen und Bücher. Auch der Film "Ruelle des Bolze" von Jean-Theo Aeby wurde 2009 ein voller Erfolg. Die Krönung des Jahres ist jeweils die Bolze-Fasnacht, die immer mehr Neugierige in die Basse-Ville zieht. Die Zeiten haben sich geändert für diesen Stadtteil, das Bolze bleibt jedoch genauso faszinierend und geheimnisvoll.

 

 

Quelle: swissinfo.ch

Kommentar schreiben

Kommentare: 0