Sagen & Märchen aus dem Mittelland

DMZ - In eigener Sache ¦ Sagen und Märchen aus dem Mittelland ¦

 

In unregelmässigen Abständen veröffentlichen wir an dieser Stelle Sagen und Märchen aus dem Mittelland. 

 

Wir sind dankbar, wenn unsere Leserinnen und Leser uns auch solche Geschichten zukommen lassen via Email redaktion@mittellaendische.ch. Vielen Dank!

 

Und nun viel Spass!

 

Das Neunuhrglöcklein von Schaffhausen

 

Zur Zeit der Kreuzzüge, als viele Ritter und Kriegsknechte ins Heilige Land gezogen waren, um das heilige Grab Christi den Ungläubigen zu entreißen, war auch ein Ritter aus der Stadt Schaffhausen, wo die schöne Erkerstraße steht, mit ihnen über das Meer gefahren.

Schon lange Jahre war er aus der Heimat fort und dachte mit Schmerzen seiner lieben Frau, die er auf der stolzen Burg ob der Stadt, wo jetzt der Munot steht, zurückgelassen hatte. Und je mehr er ihrer und der schönen Heimat und der trauten Stadt am Rheinfall gedachte, desto schwerer wurde ihm zumute. Wie nun im Heiligen Lande die Waffen eine Zeitlang ruhten, übernahm ihn das Heimweh völlig.

 

Er ließ sein Pferd satteln und zog mit seinen Kriegsknechten aus dem Lande Palästina fort, um heimzukehren. Eine unendlich lange Zeit dauerte es, bis er durch aller Herren Länder in die heimatlichen Gaue gelangte. Aber endlich sah er hie und da schon seine hochgelegene Burg aus den Hügeln auftauchen, und obwohl er noch weit von der Stadt Schaffhausen weg war, meinte er doch schon den Rheinfall rauschen und brausen zu hören. Das widerklang wie Musik in seinem Herzen. Er spornte sein Pferd und ritt, so rasch es sich bei den damaligen schlechten Prügelwegen tun ließ, der Stadt am Rheine zu. Es ging schon der Nacht zu. Noch einmal sah er von weitem die Burg aufleuchten in der blutrot hinter dräuenden Wolkenbergen verschwindenden Sonne. Dann geriet er wieder in düstere Wälder.

 

Noch nicht lange war er mit seinen Reisigen darin geritten, so donnerte es ob dem Walde. Und unversehens brach ein fürchterliches Gewitter los. Schnaubend und gluchzend fuhr ein Sturmwind durch die Bäume, und dann begann es aus allen Himmeln wie mit Eimern zu schütten. Und es wollte nimmer nachlassen. Die Bäume boten bald keinen Schutz mehr. Sie wurden selber zu Regentraufen, und mit Ach und Krach, naß wie Wasserschnecken, brachen der Ritter und seine Kriegsknechte durch das fürchterliche Dickicht, in das sie sich verirrt hatten, denn mittlerweile war es stockfinstere Nacht geworden. Wohl leuchteten ab und zu grelle Blitze ins Waldesdüster, aber die Verirrten konnten den rechten Weg gleichwohl nicht wiederfinden. Wie sie auch riefen, niemand antwortete ihnen, denn nun setzte der Sturmwind wieder ein, der die triefenden Bäume schüttelte und ihre krausen Wipfel also wild kämmte, daß die Zweige von den Ästen gingen.

Da machte der Ritter mit seinen Leuten ratlos Halt, denn er wußte nicht mehr, wo aus noch ein. Er hatte keine Ahnung, wo die Stadt Schaffhausen, wo seine Burgfeste stehen könnte. Wenn doch nur ein Hornruf oder ein Glockenklang von der hochgelegenen Burg in die Wildnis dringen würde, in der sie immer im Kreise herumzugehen schienen! Aber wie sollte der Türmer auf dem Schloß ins Horn stoßen, da er keine Ahnung hatte, daß sein Herr, den er über dem Meer im Heiligen Land glaubte, so nahe sei!

 

Jetzt aber begann es zu stürmen und zu wettern, fürchterlicher als je. Krachend fuhren die Blitze in die Bäume, und es wurde so finster, daß die Kriegsknechte ihrem Herrn hart auf dem Fuße folgen mußten, wollten sie ihn nicht verlieren.

Da hörte auf einmal der Wald auf. Jauchzend gab der Ritter seinem Pferd die Sporen. Es bäumte sich hoch auf und wollte nicht vorwärts. Er spornte es heftiger. Hoch auf sprang es nun. In diesem Augenblick erleuchtete ein flammender Blitzstrahl die Gegend taghell, und mit Entsetzen gewahrte der Kreuzritter noch, daß er mit seinem Roß in die Fluten eines still, aber reißend dahingleitenden Baches hineinsprang. Er wollte aufschreien und das Pferd zurückreißen, da packten ihn schon die Wildwasser, und es versanken Reiter und Roß. Seine Knechte aber, die den hochgehenden Bach nicht gesehen hatten, fielen nun einer nach dem andern in die trübe Flut und ertranken. Nur der letzte wurde von den Wellen ans andere Ufer gerissen, wo er sich an einer Staude zu halten und aufs Bord zu ziehen vermochte. Jetzt wurde die Gegend wieder vom Blitze erhellt, und nun erkannte der gerettete Kriegsknecht, daß er sich am wilden Bach im Mühletal befand. Aber wie er auch Ausschau nach seinem Herrn und seinen Kriegsgefährten hielt, er sah nichts mehr von ihnen, und auf all sein Rufen antwortete nur das Brausen des Sturmwindes, der Donner des sich rasch verziehenden Gewitters.

 

Eine Weile noch wartete der Knecht. Doch als alles totenstill blieb, packte ihn ein Grausen. Er machte sich, so schnell er vermochte, auf den Weg nach dem Schlosse auf, der weithin zu sehenden Anhöhe, denn nun erkannte er, daß sie sich ganz nahe bei der Stadt Schaffhausen, ihrem heiß und lang ersehnten Ziele, befunden hatten, ohne daß sie's gewahr worden waren. Dort wurde er gleich in die Burg eingelassen, und er berichtete der voll Jammer aufschreienden Burgfrau noch in der Nacht, welch schreckliches Unglück ihren Gatten betroffen hatte.

Am anderen Morgen brachten ihre Hörigen, die die ganze Nacht den Bach abgesucht hatten, ihren Gemahl und die anderen ertrunkenen Knechte ins Schloß, wo sie aufgebahrt und danach feierlich beerdigt wurden. Der Schmerz der Edelfrau war grenzenlos. Jahrelang hatte sie sich in Sehnsucht nach ihrem geliebten Ritter verzehrt, und nun er endlich unversehens kam und ihr die größte Freude ihres Lebens geworden wäre, wurde ihr das größte Leid. Und er war doch so nahe schon ihrer Burg, so nahe ihrem Herzen, er, den sie unendlich weit weg glaubte. Hätte sie doch eine Ahnung gehabt, sie hätte ihre Burgkatze, ein unförmliches Geschütz, Tag und Nacht abfeuern lassen, und der Turmwart hätte sich an seinem Horn schier totblasen müssen. So hart vor seinem Hause mußte ihr so sehr geliebter Mann sterben. Sie war kaum zu trösten.

 

Als aber ihr Kreuzritter und seine treuen Kriegsknechte im Grabe lagen, ließ die Edelfrau ein silbernes Glöcklein gießen. Und von dem Tage an, da man's im hohen Wendelstein ihrer Burg aufhing, mußte es alle Nacht um neun Uhr geläutet werden, denn um neun Uhr war der Ritter ertrunken.

Von nun an hörten die einsamen Wanderer, die sich etwa zu Beginn der Nacht in der Wildnis des Mühletals verliefen oder sonstwo verirrten, um neun Uhr den silbernen Klang des Burgglöckleins und fanden sich, den traulichen Tönen nachgehend, bald in der guten Stadt Schaffhausen am Oberrhein.

 

 

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.

Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner 2005.


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