Zum Beispiel Bolivien – wie SRF Fakten verdreht

Frauen demonstrieren mit der indigenen Fahne gegen den  Rassismus der Putsch-Regierung  QUELLE:RESUMENLATINOAMERICANO
Frauen demonstrieren mit der indigenen Fahne gegen den Rassismus der Putsch-Regierung QUELLE:RESUMENLATINOAMERICANO

DMZ - INTERNATIONAL ¦ Peter Beutler ¦

KOMMENTAR

 

Wie unsere Mainstreammedien über die Ereignisse in Bolivien berichten, ist eine Zumutung. Fehlinformationen noch und noch. Besonders schwer wiegt, dass SRF sich ganz vorne in die Riege der Erzeuger von Fake-News einreiht. Unser Staatsmedium muss sich den Vorwurf gefallen lassen, in gröbster Weise gegen die Informationspflicht zu verstossen.

Es geht um die Annahme eines Gesetzes, das im krisengeschüttelten Land Wahlen ermöglichen soll.

Das Gesetz wurde nach zähen Verhandlungen dem Parlament vorgelegt und einstimmig beschlossen. In beiden Kammern hat die sozialistischen MAS, die Partei von Evo Morales, eine Zweidrittelmehrheit.

Ich habe darüber drei Beiträge gelesen: aus der deutschen ZEIT ONLINE, SRF ONLINE und amerika21.de. Das Portal amerika21.de verbreitet Berichte und Analysen aus Lateinamerika.

Es ist ausgezeichnet informiert. Die Berichte stammen von KorrespondentInnen aus dem betroffenen Land.

Der Beitrag von amerika.de mit dem Titel Parlament in Bolivien ebnet Weg für Neuwahl ohne Evo Morales ist faktenorientiert, nüchtern, alles andere als im Boulevardstil abgefasst.

In SRF ONLINE ist schon die Schlagzeile : Evo Morales darf nicht wieder kandidieren parteiergreifend und offensichtlich tatsachenwidrig.

Der Untertitel: Für das Gesetz stimmte auch Morales' Partei MAS, die im bolivianischen Parlament die Mehrheit hat. Morales, der nach seinem Rücktritt vor zwei Wochen nach Mexiko geflohen war, äusserte sich zunächst nicht zu dem Gesetz.
Letzteres stimmt schlicht nicht. Morales hat schon vor dem Putsch verlauten lassen, er würde nicht mehr kandidieren und trat zurück. Der Rücktritt ist allerdings erst dann vollzogen, wenn ihn der Senat gutheisst. Die Führung der MAS ist in ständigen Kontakt mit Morales seit er nach Mexiko geflohen ist. Morales hatte der MAS auch klar eröffnet, er würde ein neues Wahlgesetzt begrüssen. Und hat dann auch bei der Version des von der MAS eingebrachten Vorschlags des Gesetzestextes mitgeholfen. Wie es zu diesem Gesetz kam, wurde in der deutschen ZEIT einigermassen korrekt beschrieben. Sie entspricht in etwa der Darstellung von amerika21.de, sieht man einigen Auslassungen ab.

Aus dem Artikel von amerika.de: Der Senat des bolivianischen Parlaments hat am Samstagnachmittag (Ortszeit) einstimmig den Entwurf für ein Gesetz angenommen, das den Weg zu Neuwahlen ebnen soll. Der Gesetzentwurf sollte ohne weitere Umwege der Abgeordnetenkammer zugeleitet werden, um umgehend mit den Beratungen in beiden Kammern zu beginnen. Präsident Evo Morales und sein Vize Álvaro García Linera wären demnach von Neuwahlen ausgeschlossen.

Die Verhandlungen zwischen Vertretern des De-facto-Regimes und der Mehrheitsfraktionen der Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Bei dem Treffen zwischen den Machthabern und der MAS, bei dem die aus Katholischer Kirche und Europäischer Union (EU) bestehende Vermittlungskommission anwesend war, forderte das MAS-Lager ein Ende der Verfolgung seiner Mandatsträger und Funktionäre. Angesichts dieser Forderung wurde eine "Sonderkommission" zur Einzelfalluntersuchung eingerichtet. Die Vermittlungskommission wird am gesamten Prozess beteiligt sein.

Ganz anders tönt es in SRF ONLINE.

Das Gesetz verbietet allen Politikern, die in den vergangenen zwei Legislaturperioden durchgehend ein Amt innehatten, eine erneute Kandidatur für die gleiche Position. Damit kann Morales sich bei der nächsten Wahl nicht erneut für das Amt des Staatschefs bewerben. (…) Das Wahlgesetz sieht nun eine Reform des Verfassungsgerichts vor. Seine Richter wurden unter dem Verdacht der Wahlmanipulation abgesetzt und festgenommen.

Berichtigung. Dieser Satz ist eine Falschmeldung, wohl eine Erfindung des Verfassers der SRF-Beitrags. Es wurde kein Richter des Verfassungsgerichts festgenommen. Die Richter sind offiziell immer noch im Amt. Allerdings hat die selbsternannte Putschregierung ihre Verhaftung angeordnet. Doch sie konnte diese Massnahme nicht durchsetzen.

 

Mit keinem Wort erwähnt SRF, dass das Wahlgesetz durch Verhandlungen der Interimsregierung mit der MAS unter der Anwesenheit internationaler Organisationen zustande gekommen ist. Die Leserin, der Leser bekommt den Eindruck, das Gesetz sei allein von der selbsternannten Regierung ausgearbeitet worden.

Empörend ist eine weitere nicht den wahren Umständen entsprechende Auslegung von SRF ONLINE:

Über 30 Tote. Nach dem Urnengang verkündete dann das Wahlgericht einen Sieg von Morales. Dies wurde von der Opposition als Betrug angeprangert und nicht anerkannt, im ganzen Land brachen gewaltsame Protesten aus. Mehr als 30 Menschen starben.

Die Unruhen brachen zwei Wochen vor dem Putsch aus. Bei den Brandschatzungen, Sachbeschädigungen des randalierenden rechten Mobs liessen allenfalls eine Handvoll Demonstranten, die in Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften gerieten, ihr Leben. Die Mehrzahl der 11 Toten vor dem Putsch gehen auf das Konto von Anhängern Morales. Sie kamen bei direkten Konfrontationen mit bewaffneten Kundgebungsteilnehmern von (damaligen) Regierungsgegnern um.

Nach der gewaltsamen Machtergreifung durch die rechtsextreme, evangelikale Seilschaft wurden gnadenlos Anhänger der MAS, meist Indigene, durch Genickschüsse umgebracht. Seither ist die Zahl der Todesopfer gestiegen. Menschenrechtsaktivisten sprechen mittlerweile von fünfzig Toten, die vielen Vermissten nicht eingerechnet.

Irrführend, pervers, menschenverachtend sind die folgenden SRF-Passagen:

Keine Amnestie für Morales

Seit dem Rücktritt von Morales am 10. November und seiner Flucht ins Exil gibt es immer wieder gewaltsame Proteste von Anhängern des bisherigen Staatschefs. Wegen anhaltender Strassenblockaden der Morales-Anhänger leiden der Regierungssitz La Paz und andere Städte unter massiven Versorgungsengpässen. Weil Morales zur Aufrechterhaltung der Blockade aufgerufen haben soll, reichte Boliviens Übergangsregierung gegen ihn Klage wegen «Aufwiegelung und Terrorismus» ein.

Morales' Partei scheiterte am Samstag mit dem Versuch, eine strafrechtliche Verfolgung des Ex-Präsidenten und seiner Mitarbeiter per Gesetz auszuschliessen. Übergangspräsidentin Añez stellte umgehend klar, sie werde keine «Amnestie» zulassen für diejenigen, die «Verbrechen begangen, sich über das Gesetz hinweggesetzt und Missbrauch begangen» hätten.
Wer solche Sätze absondert, dem ist jegliches journalistische Ehrgefühl abhandengekommen. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit seriöser, objektiver Berichterstattung zu tun.

Auch hier übernimmt SRF die Version der Putschisten. Wer entscheidet eigentlich über eine Amnestie? Die sich an die Macht geputschte Regierung? Das rechtsmassig gewählte Parlament mit einer erdrückenden MAS-Mehrheit? Oder die durch geplante PräsidentInnenwahlen neue zu bildende Regierung? Haben sich SRF-Autoren überhaupt darüber Gedanken gemacht? Die Texte des SRF-Beitrags könnten aus der Schweizer Zeit oder aus einer verwahrlosten Boulevard-Postille abgeschrieben sein. Ich fass es nicht!

amerika.de stellt richtig: Indes lehnte das De-facto-Regime Gesetzesentwurf ab, mit dem die Parlamentsmehrheit der MAS eine Amnestie für Morales und García Linera erreichen will. Machthaberin Áñez weigerte sich, dieses Gesetz zu unterzeichnen. Sie behauptet, Morales habe Anhänger telefonisch zu bewaffneten Protesten aufgerufen und ließ eine entsprechende Tonaufnahme veröffentlichen. Allerdings ist unklar, ob in der Aufnahme tatsächlich Morales zu hören ist. Die Anzeige gegen den Präsidenten dürfte daher von keinem seriösen Gericht behandelt werden. Dennoch reichten Vertreter des De-facto-Regimes sogar Anklage wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" – ein völkerrechtlicher Straftatbestand – gegen Morales vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) im niederländischen Den Haag ein.
Sozusagen alle involvierten Menschenrechtsorganisationen, insbesondere die der UNA, sprechen auch von Verbrechen. Sie machen aber keinen Hehl daraus, wer die Verbrechen beging und immer noch begeht. Die selbsternannte Regierung und ihre bewaffneten Schlägerbanden.

Bolivien steht buchstäblich am Scheideweg. Wo geht’s hin? Richtung krimineller Militär/Polizeidiktatur oder Wiederherstellung von Demokratie.
Das Letztere liegt immer noch drin. Die derzeitigen Machthaber sind nach den Massakern der letzten Tage diskreditiert, zunehmend auch international. Es geht schlicht um freie PräsidentInnen-Wahlen, die vor allem die MAS fordert. Kommt es dazu, werden sie die Linken, mehrheitlich Indigene aber auch Abkömmlinge der weissen Kolonialisten, gewinnen. Das wissen allerdings die gegenwärtigen Machthaber genau. Sie werden alles tun, die Wahlen zu manipulieren. Damit es nicht dazu kommt, ist auch Europa gefordert. Von Grossbritannien hat man diesbezüglich wenig zu erwarten. Die deutsche Regierung wird zunehmend unter Druck geraten, mitzuhelfen, dass der Urnengang gesetzeskonform, ohne Einfluss der Putschregierung abläuft. Auch Frankreich müsste über den Schatten springen und akzeptieren, dass die MAS gewinnt. Die Mitte-Links-Regierungen Europas dürften keine Probleme haben, sich für die gerechte Sache zu entscheiden. Es sind mehr als

man denkt: die von Finnland, Schweden, Dänemark, Spanien, Portugal, Italien und auch Deutschland.

 

 

 

Links:

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-11/bolivien-parlament-neuwahlen-evo-morales-einigung?fbclid=IwAR10olqAa3DSE5bGDsxLgmIverNRvAKHSZhH6n-GDpaliEiPIKNcALWgmz0

https://www.srf.ch/news/international/krise-in-bolivien-evo-morales-darf-nicht-wieder-kandidieren#6314640-like

 

https://amerika21.de/2019/11/234590/bolivien-neuwahl-parlament-evo-morales


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