„T wie treu und Tagebuch..“

DMZ – GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Patricia Jungo ¦

 

Die trockene Definition von Freund Duden betreffend das Tagebuch klingt irgendwie nicht ganz überzeugend und wird dem stillen, treuen Freund nur teilweise gerecht. So beschreibt er das Tagebuch als Buch, Heft für tägliche Eintragungen persönlicher Erlebnisse und Gedanken. Es gibt wohl kaum ein Tagebuch, das so unpersönlich und allgemeingültig ist, wie es die Definition vermuten lässt.

 

Die vielen bunten Bezeichnungen für Tagebücher verraten auch gleich, was sie für den Schreiber bedeuten: Da gibt es den Seelenfreund, den Geheimnishüter, das Lebens-oder Zeitjournal, die Selbsttherapie, den Vergangenheitsbewahrer, die Gedankenstütze, das Erinnerungsalbum und viele mehr. Wie die Menschen, die sie schreiben, sind auch Tagebücher einzigartig. Dabei spielt es keine so grosse Rolle, ob sie Abläufe festhalten, die nicht vergessen werden sollen oder den geheimen Garten des Schreibers hüten. Es ist stets ein Teil Leben, das in Worte gewandelt, den Weg aufs Papier findet. Das Tagebuch in Papierform hat in unserer Zeit nun auch noch andere Formen gefunden. Moderne Medien und Internet öffnen neuen Türen. Da gibt es auch öffentlich lesbare Varianten wie das Video-Tagebuch oder Blog. Jeder Mensch kann also die Form wählen, die zu ihm spricht.

 

Seit wann gibt es Tagebücher?

Die ersten Tagebücher findet man bei den Assyriern in Form von Tontafelkalendern, auf denen man Angaben über Wetter, Marktpreise und andere Alltagsangelegenheiten fand. Sogar Götter wurden erwähnt. Weiter sind auch Berichte über die Taten der babylonischen Herrscher oder der römischen Kaiser und auch Notizen über Träume und ihre Deutung erste Formen von Tagebüchern. Dazu gesellten sich im Mittelalter die Logbücher, Chroniken und Aufzeichnungen von Mystikerinnen. Was diese Tagebücher von denen, die wir kennen, unterscheidet, ist, dass es sich noch nicht um Einträge oder Aufzeichnungen von Einzelpersonen über persönliche Erlebnisse und Gedanken handelte. In der Renaissance wurde das Tagebuch im heutigen Sinne geboren. Der Mensch erlebte sehr viele neue Erfahrungen und Entwicklungen. Auch Technik und die vermehrte Verbreitung von Papier bereiteten die Zeit des Tagebuchs vor. Der Mensch verspürte das Bedürfnis, all diese Eindrücke festzuhalten und zu verarbeiten. Da gab es auch Reisejournale und Memorialbücher. Typisch war zu dieser Zeit auch, dass die Beobachtung im Vordergrund stand bei den entsprechenden Einträgen und weniger die Gefühle. Der Rückzug ins Private kam erst ab dem 18. Jahrhundert und die Blütezeit erlebte das Tagebuch vor allem im 20. Jahrhundert. Insbesondere während der beiden Weltkriege hatten die Menschen das Bedürfnis, ihre Gefühle und Erlebnisse zu Papier zu bringen. Spontan fällt einem das wohl berühmteste Tagebuch der Anne Frank ein.

 

Was bringt das Tagebuchschreiben den Menschen?

Das Tagebuchschreiben ist beliebt und wird rege genutzt. Demnach muss es ja den vielen Menschen, die schreiben, auch etwas bringen. Auch hier sind die Gründe bestimmt wieder sehr vielfältig. Vielleicht will man bestimmte Erinnerungen unverfälscht verewigen, Spuren hinterlassen oder auch einfach nur Gefühle ausdrücken. In jedem Fall ist es für den Schreiber wunderbar, sich frei, unbeobachtet und nicht beurteilt zu fühlen. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, weder Rechtschreibung noch Grammatik, sondern nur diesen ganz intimen und unverfälschten Moment des Schreibens. Das Tagebuch empfängt all unsere Emotionen, die leichten und die schweren mit offenen Armen und nimmt ohne jede Erwartung viel Last ab. Es ist ganz einfach ein wunderbares Mittel zur „Psychohygiene“.

 

Auch Studien bestätigen, dass Tagebuchschreiben oder auch Schreiben allgemein eine sehr heilende Wirkung bei der Verarbeitung von schwierigen Erlebnissen haben kann. In den 80er Jahren kam das sogenannte expressive Schreiben auf. Diese neue vom Psychologen James Pannebaker ins Leben gerufene Therapieform erfreut sich heute grosser Beliebtheit. Dabei geht es zusammengefasst darum, sich alle Gefühle, vor allem aber belastende, von der Seele zu schreiben und so Entspannung und Entlastung zu schaffen. In mehreren Studien wurde aufgezeigt, dass das expressive Schreiben sogar widerstandsfähiger machen kann. Dabei ist der Grundsatz, während einer bestimmten Zeit einfach draufloszuschreiben und alles aufs Papier fliessen zu lassen, was sich zeigen will. Auch in der jetzigen belastenden Zeit mag diese Methode für einige Menschen hilfreich sein. Ängste, Druck und Stress verlieren auf dem Papier vielleicht etwas von ihrer (vermeintlichen) „Macht“. Ausprobieren ist bestimmt der gute Weg. Egal, ob Tagebuchschreiben, expressives Schreiben, Geschichten, Bücher oder Gedichte schreiben: Schreiben verleiht Vergangenem ein etwas sanfteres Gesicht, schenkt den Träumen Flügel und den Erinnerungen den schönsten Garten

 

 

Quellen: patricia jungo/www.sorgentagebuch.de


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