Ein sehr interessantes Kapitel in Haffners "Anmerkungen zu Hitler" ist "Verrat" (S. 168 - 188).

DMZ – HISTORISCHES ¦ Matthias Walter ¦

 

In den letzten Monaten des Krieges hat Hitler mit voller Absicht das Elend der Menschen und die Vernichtung des Staates herbeigeführt.

Er war ein schwer gezeichneter Mann 1945 - aber gegen Ende lief er wieder zur Höchstform auf. Er wollte schon 1944 den Krieg nicht abbrechen, sondern einen Endkampf. Ende August 1944 war die Niederlage eigentlich nicht mehr abzuwenden.

 

In der "Aktion Gewitter" ließ Hitler politische Größen wie Schumacher und Adenauer festsetzen (und viele weitere, die hätten übernehmen können). Hitler wollte unbedingt einen weiteren "November 1918" verhindern. Diesen hasste er - war sogar seine Motivation, in die Politik zu gehen (vorher rund 30 Jahre lang ein Versager ohne Job). Er warf den Deutschen damals - und zwar jeden dritten - Verrat vor (vorzeitige Aufgabe).

 

Jeden Deutschen, der es wagte auszusprechen, dass der Krieg verloren sei, ließ Hitler aufhängen oder köpfen. Sein Mordtrieb richtete sich nun auch voll gegen die Deutschen - den Trieb, den er vorher schon so heftig an Juden, Polen und Russen ausgelebt hatte.

 

Nochmal etwas genauer:

Am 16. Dezember die Ardennenoffensive - ein "Wahnsinnsunternehmen". Das Kräfterverhältnis war weniger als eins zu eins (gewöhnlich für eine Offensive nötig: drei zu eins) und dazu eine massive Luftunterlegenheit.

Hitler hatte im Osten sehr viele Kräfte abgezogen, obwohl mit einer Offensive der Russen zu rechnen war, was auch eintrat. Warnungen überging er einfach. Die Russen hatten somit mehr oder weniger leichtes Spiel und standen schnell an der Oder.

Da stellte sich die große Frage nach dem Warum. Hitler war kein Anfänger in Militärischem (vieles, was er jahrelang las, drehte sich genau darum). Spekuliert wurde, dass Hitler im Westen nun den Hauptfeind sah. Oder er wollte den Westen vor die Wahl stellen: Stalin oder ich? Churchill und Roosevelt hätten ohnehin Stalin gewählt. Hitler wurde allein durch seine Massenmorde unmöglich.

Aber es könnte auch anders gewesen sein. (!)

Und zwar innenpolitische Motivationen - denn außenpolitische.

 

Hitler wollte den Endkampf! (Die Masse der Deutschen nicht.) Sie wollten Schluss machen - ähnlich wie 1918. Mit der Ardennenoffensive jedoch konnte Hitler ihnen dies wegnehmen. Wer also nicht mit ihm geht, der wird den Russen gnadenlos ausgeliefert. Hitler agierte gegen seine eigenen Leute! Plötzlich auch ein Krieg gegen Deutschland. Hitler wollte das Volk bestrafen.

Die Amerikaner waren über den Rhein und die Russen standen an der Oder. Selbst da wollte Hitler nicht kapitulieren und befahl die Evakuierung Hunderttausender, die sich notfalls zu Fuß aufmachen sollten ("Todesmarsch").

 

Man rufe sich hierzu zwei Aussagen Hitlers in Erinnerung:

"Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen."

 

Und, am 27. November 1941 (zur Möglichkeit eines Scheiterns):

"Ich bin auch hier eiskalt. Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug ist, sein Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden. Ich werde dem deutschen Volk keine Träne nachweinen."

 

Er hielt sich daran und machte ernst.

All dies Wahnsinnige konnte nicht mehr komplett durchgeführt werden. Speer sabotierte, auch andere NS-Funktionäre schreckten zurück und widersetzten sich. Am Ende registrierten auch die Alliierten diese Absichten und ersparten den Deutschen Hitlers Vernichtungspläne. Und dennoch gab es noch wenige Fanatiker, die bis zum Untergang kämpften und somit dem Führer treu blieben.

Die feindlichen Armeen waren im Gegensatz zu Hitler nicht darauf aus, das deutsche Volk auszutilgen. Die Alliierten trafen dann auch auf Menschen, die es als Erlösung empfanden, besetzt zu werden. Sie wollten mit Hitler nichts mehr zu tun haben. Eine "Selbst-Umerziehung", wenn man so will.

 

Hitler, wie bereits erwähnt, ging es also nicht um einen Endkampf, sondern um einen weiteren Massenmord.

 

All das passt in Hitlers Einstellungswelt. In ihm lebten schon immer destruktive Kräfte. Die Option Selbstmord begleitete ihn fast sein ganzes Leben. Das, was er erreichen wollte, wollte er zu seinen Lebzeiten erreichen. Er bedauerte sogar, dass er den Krieg nicht vorher beginnen konnte (seine "Friedensreden" sind als purer Fake zu bezeichnen). Rassenkampf, Vernichtung der Juden, Herrschaft über Europa, langfristig Weltherrschaft. Diese Ziele langfristig zu erreichen, über sein Leben hinaus, unabhängig von seiner Person, das war für Hitler niemals eine Option. Er wollte der große, lebende Welt-Held sein.

Sein letztes Ziel, die Vernichtung Deutschlands - auch dabei ist Hitler jedoch gescheitert. Er war und ist - nicht nur Psychopath und Massenmörder - ein Gescheiterter.

Quelle: 168-188 Sebastian Haffner: "Anmerkungen zu Hitler", Frankfurt am Main 1981, S. 168 - 188


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