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Nach der Pandemie kam der Faschismus

Peter Beutler, Schriftsteller
Peter Beutler, Schriftsteller

DMZ – POLITIK / GESELLSCHAFT ¦ Peter Beutler ¦
KOMMENTAR

 

Eric Guyer, Chefredaktor der honorigen NZZ, hat am 17. April 2020 in einer Kolumne das Wort Seuchensozialismus geschöpft. Es erregte Aufsehen. Empörung auf der einen, Applaus auf der anderen Seite.

 

Ein Teil dieser anderen Seite möchte man als Stahlhelmfraktion des Neoliberalismus bezeichnen. Wirtschaft first. Hat denn das etwas mit Faschismus zu tun? Durchaus! Der andere Teil dieser anderen Seite sind die Rechtsnationalen mit unzweideutiger Schlagseite zum Faschismus, dem hitlerscher wie mussolinischer wie franquistischer Prägung, personifiziert derzeit durch Trump, Salvini, Orban, Kaczyński, Bolsonaro, Gauland, Höcke, le Pen und wie sie alle heissen.

 

Zwischen beiden Lagern, der neoliberalen Stahlhelmfraktion und den faschistoiden Rechtsnationalen, gab es schon vor vielen Jahren Schnittstellen. Das ist heute wieder so. Fast könnte man von Tradition sprechen. Es war auch im September 1973 in Chile so, als der blutrünstige General Pinochet unter der Ägide Richard Nixons und Henry Kissingers den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende wegputschte. Der Sozialist Allende fand dabei den Tod. Der Staatsstreich und das nachfolgende Massaker wurden von der helvetischen Rechten nicht nur verhalten begrüsst, sondern teils gefeiert. Diejenigen, die das Schreckensregime in Chile offen verurteilten, gerieten ins Fadenkreuz der Fichenjäger. Dieser unseligen Seilschaft, die in Sachen Bespitzelung und Verleumdung auch nicht vor kriminellen Methoden zurückschreckte, gehörten schwergewichtig Mitglieder der FDP und der SVP an. Doch sie bekam auch Zuzug aus dem Morast der nationalen, xenophoben Rechten wie der Nationalen Aktion und den Schweizer Demokraten.

 

Die faschistische Welle in der Zwischenkriegszeit

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erfasste die faschistische Welle ganz Europa. Am Anfang dieser entsetzlichen Entwicklung stand eine Pandemie: die spanische Grippe. Ungeachtet des irreführenden Namens, der auf zeitgenössische Zeitungsmeldungen zurückging, gehen die meisten Wissenschaftler heute davon aus, dass diese Seuche ihren Ursprung in den USA hatte. Vielleicht war die Quelle des Covid-19 ja auch dort und nicht in China. In den USA hiess es 1918 beim Ausbruch dieser tödlichen Influenza zunächst auch, sie sei von China eingeschleppt worden. Später konnte nachgewiesen werden, dass dem nicht so war. Wo und wann genau der erste Mensch an Covid-19 erkrankte, wissen wir derzeit (noch) nicht.

 

Obwohl Italien damals zu den Siegermächten gehörte, schlug dort die Pandemie in den ersten zwei Nachkriegsjahren tiefe Schneisen in die Gesellschaft. Sie war mit ein Grund, dass die Bevölkerung verarmte. Die Linke kam an die Macht. Vom 4. Juli 1921 bis 26. Februar 1922 war der Reformsozialist Ivanoe Bonomi Ministerpräsident. Der König setzte Bonomi ab und ernannte den Liberalen Facta, der sich kurz danach widerstandslos von Mussolini verdrängen liess. Facta arrangierte sich mit den Faschisten und wurde Senator. Mussolini war der erste seiner Gattung. Er kam mit Hilfe des rechten Bürgertums, der Hochfinanz und der Armee an die Macht,. wie später Hitler, Franco in Spanien, Horthy in Ungarn und weiteren.

 

Faschistische Agitationen in der Schweiz

Wer weiss das heute noch? Auch die Schweiz wurde in der Zwischenkriegszeit, zeitweise während des Zweiten Weltenbrandes und ebenfalls im Kalten Krieg von faschistischen Agitationen bedroht. Zunächst erfreute sich Mussolini Sympathisanten aus der Schweiz. Einer davon war der spätere General Guisan. Im Historischen Lexikon der Schweiz , Version 10.02.2020, steht unter anderem: Die jüngsten historischen Arbeiten zeigen einen charismatischen General, der weniger einem Mythos entsprach und keinesfalls unfehlbar war. Wie viele seiner Zeitgenossen empfand Guisan Sympathien für Mussolini und sein Regime, in denen er ein Bollwerk gegen den Kommunismus sah. Nachdem die Deutschen in La Charité-sur-Loire die Akten über die franz.-schweiz. Generalstabsbesprechungen entdeckt hatten, schlug G. dem Bundesrat erfolglos Beschwichtigungsmassnahmen gegenüber Deutschland vor und willigte im März 1943 zu einem Treffen mit SS-General Walter Schellenberg ein. Diese kleinen Retuschen am Bild des Generals riefen entrüstete Reaktionen in der Aktivdienst-Generation hervor.

 

Guisan sympathisierte mit Mussolini

Guisan war ein Pragmatiker. In diesem Zusammenhang ist auch ein andere Passage in dieser Geschichtsschreibung hervorzuheben: Während des ganzen Krieges hatte er ein gutes Verhältnis zu den sozialdemokratischen Parlamentariern. Anfang Mai 1940 ordnete er eine Untersuchung gegen 124 Offiziere an, welche verdächtigt wurden, frontistische oder nationalsozialistische Sympathien zu hegen. Hinweis: Die wenigsten dieser Extremisten wurden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Weniger glimpflich davon kamen 17 Soldaten und Unteroffiziere, die zwischen 1942 und 1945 von einem Divisionsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

Ereignisse in den 1930ern, die bis heute noch nicht restlos aufgearbeitet wurden, sind es wert, in Erinnerung gerufen zu werden. Die Blutnacht von Genf am 9. November 1932. Anlass war eine Veranstaltung der frontistischen Union nationale um Georges Oltramare, gegen die rund 8'000 Personen aus dem linken Lager um Léon Nicole demonstrierten. Die Polizei stellte sich auf die Seite der rechten Kundgebungsteilnehmer, obwohl diese mit Stöcken und Stahlruten auf die Antifaschisten einschlugen. Dennoch kamen die Nazis in Bedrängnis. Der zuständige Polizeikommandant rief die Armee zu Hilfe. Vier Deutschschweizer Kompagnien der Lausanner Rekrutenschule unter dem Kommando von Major Ernest Léderrey trat als Schutztruppe der Union national auf. Die Rekruten feuerten um 21:34 Uhr ohne Vorwarnung in die Menschenmenge. Ergebnis: dreizehn Tote und sechzig schwerverletzte Frauen und Männer. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ohne Frage. Léderry würde heute vom Menschenrechtsgericht in Den Haag abgeurteilt. Damals blieb er unbehelligt. Während er seine Karriere als Stabsoffizier fortsetzte und bis zum Obersten aufstieg, wurden die Veranstalter der Protestkundgebung verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt. Allerdings stand die Genfer Bevölkerung hinter ihnen. In den nachfolgenden Wahlen kam es zur ersten linken Regierung in einem Schweizer Kanton.

 

Am 9. November 1982 wurde im Stadtviertel Plainpalais ein Gedenkstein für die Opfer mit der Inschrift Plus jamais ça aufgestellt. 2018/19 lehnten die Eidgenössische Räte eine Standesinitiative des Kantons Genf für die Rehabilitierung der nach dem Massaker von 1932 verurteilten Demonstrantinnen und Demonstranten ab. Mag sein, das 1919 neu gewählte Bundesparlament hätte anders entschieden.

 

Der Freisinn wollte 1933 mit den Nazis zusammen Zürich von der roten Herrschaft befreien

Am 29. Mai 1933 gab Parteipräsident Heinrich Weisflog der NZZ ein Interview. Er sagte: «Der Freisinn begrüsst von ganzem Herzen den Grundton der neuen Bewegungen ‹Alles für das Vaterland› und ist mit ihnen einverstanden, wenn sie es unternehmen, unsere Ratssäle vom russischen Ungeziefer zu säubern». Ein gemeinsames Handeln sei möglich «schon mit Rücksicht auf das nächste Kriegsziel, die Befreiung der Stadt Zürich von der roten Herrschaft».

Tatsächlich wurde für die Zürcher Gemeindewahlen eine Allianz zwischen den bürgerlichen Parteien mit der Nationalen Front und weiteren Nazi-Gruppierungen unter dem Etikett Vaterländischer Block geschmiedet.

 

Der teuflische Pakt zahlte sich für die bürgerlichen Parteien nicht aus: Zwar erreichten die Braunen einen Wähleranteil von 7.8 Prozent und holte im Parlament aus dem Stand zehn Sitze. Diese Gewinne gingen zulasten der Freisinnigen, deren Wähleranteil um 8 auf 17 Prozent zurückgegangen war. Die Sozialdemokraten verteidigten ihre absolute Mehrheit. Die Kommunisten verloren gut 1% der Stimmen, doch unter dem Strich blieb eine deutliche linke Mehrheit.

 

Bei den Wahlen in die Regierung schwang Stadtpräsident Klöti oben aus, gefolgt von den anderen Sozialdemokraten, dahinter deutlich abgeschlagen die bürgerlichen Kandidaten. Den fünf Linken standen weiterhin vier Bürgerliche gegenüber.

 

1937: Benito Mussolini, Dr. h.c. der Universität Lausanne 

Unterwürfige Universität Lausanne: So sieht der «Nebelspalter» im April 1937 die Causa Mussolini. (Bild: J. Nef / Nebelspalter)

 

 

Vier Jahre später anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Universität Lausanne der Skandal: Benito Mussolini wurde am Dies Academicus 1937 die Ehrendoktorwürde verliehen. In der Laudatio heisst es, Mussolini habe «durch die Beseitigung der Parteienkämpfe dem Volke seinen geistigen, sozialen und ökonomischen Zusammenhalt wiedergegeben» und «eine neue Sozialordnung verwirklicht, die die soziologische Wissenschaft bereichert hat und in der Geschichte eine tiefe Spur hinterlassen wird». Es folgte bis heute keine Aberkennung.


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