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US-Forscher haben ein mutiertes Coronavirus entdeckt, das noch ansteckender ist als das Original

Arbeiten mit dem synthetischen Klon des neuen Coronavirus im Hochsicherheitslabor des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) der Universität Bern und des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit (Bildquelle: Universität Bern)
Arbeiten mit dem synthetischen Klon des neuen Coronavirus im Hochsicherheitslabor des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) der Universität Bern und des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit (Bildquelle: Universität Bern)

DMZ – WISSENSCHAFT / FORSCHUNG ¦

 

Eine vorab veröffentliche Studie des Los Alamos National Laboratory legt nahe, dass das Corona-Virus schon früh mutiert sein könnte. Der mutierte Stamm scheint ansteckender als der originale zu sein und hat sich inzwischen weltweit durchgesetzt. Unter den 14 Mutationen im Spike-Protein identifizierten sie eine, D614G, die möglicherweise die Vermehrung und Übertragung des Virus erleichtert.

Noch ist die Studie nicht durch unabhängige Wissenschaftler überprüft worden. 

 

Computergestützte Analyse 

Für ihre Analyse werteten die Wissenschaftler um Studienleiterin Bette Kober mehr als 6.000 Coronavirus-Sequenzen aus aller Welt aus. Diese hatte Kobers Team von der Global Initiative on Sharing All Influenza Data (GISAID) – einer teils öffentlichen, teils privaten Non-Profit-Organisation mit Sitz in München – zur Verfügung gestellt bekommen.  

Mithilfe von Wissenschaftlern der Duke University, USA und der britischen University of Sheffield identifizierten die Forscher 14 Mutationen. Wobei eine ihnen Sorgen bereitete: die Mutation mit der Bezeichnung D614G.

 

Der Stamm wurde erstmals im Februar in Europa beobachtet und breitete sich im Anschluss schnell an der Ostküste der Vereinigten Staaten aus. Seit ungefähr Mitte März ist er zum weltweit dominierenden Stamm des Virus geworden, so die Wissenschaftler.

Wo immer er auftauchte, infizierte er schnell weit mehr Menschen als der frühere Stamm des Virus aus Wuhan in China. Innerhalb weniger Wochen hatte der neue Stamm den älteren in einigen Ländern komplett verdrängt, so die Studie. Die Durchsetzungsfähigkeit des mutierten Stammes gegenüber seinen Vorgängern zeigt womöglich, dass er infektiöser ist. Die genauen Gründe dafür sind aber noch nicht bekannt.

Der Bericht basierte auf einer computergestützten Analyse von mehr als 6.000 Coronavirus-Sequenzen aus aller Welt, die von der Global Initiative on Sharing All Influenza Data — einer teils öffentlichen, teils privaten Organisation aus Deutschland — gesammelt wurden.

 

„Die Geschichte ist besorgniserregend“

Das Team von Los Alamos, unterstützt von Wissenschaftlern der Duke University und der University of Sheffield in England, identifizierte 14 Mutationen. Diese Mutationen traten bei fast 30.000 der RNA-Basenpaaren auf, aus denen sich nach Ansicht anderer Wissenschaftler das Genom des Coronavirus zusammensetzt. Die Verfasser des Berichts konzentrierten sich auf eine Mutation mit der Bezeichnung D614G, die für die Veränderung der Spike-Proteine des Virus verantwortlich ist.

 

Forscher haben bei Genanalysen schon hunderte Mutationen beim Coronavirus SARS-CoV-2 nachgewiesen – bei einer davon verschwanden sogar gut 80 RNA-Basen auf einmal. Doch welche Folgen diese Mutationen haben, ist strittig. Einige scheinen das Virus weniger aggressiv zu machen, andere könnten dagegen seine Infektiosität erhöhen. Und auch für die Impfstoff-Entwicklung sind einige Mutationen relevant.

Alle Viren mutieren im Laufe der Zeit. Denn bei ihrer Vermehrung in den Wirtszellen können immer wieder Kopierfehler auftreten, die dann von den viralen „Nachkommen“ weitergetragen werden. Typischerweise kommen solche Mutationen bei RNA-Viren besonders häufig vor, weil sie die DNA-Korrekturmechanismen der Wirtszellen nicht nutzen können. Es ist daher kein Zufall, dass besonders viele neu auftretende und neu an den Menschen angepasste Erreger zu den RNA-Viren gehören.

 

Mutationen konzentrieren sich an bestimmten Stellen im Virengenom

Doch welche Auswirkungen haben die Mutationen auf das Verhalten des Virus? Bisher können Virologen und Genetiker diese Frage nicht eindeutig beantworten – auch, weil die Mutationen so vielfältig und breit über das Genom von SARS-CoV-2 verteilt sind. „Mutationen als solche sind nichts Schlechtes und bisher können wir nicht sagen, ob SARS-CoV-2 dadurch mehr oder weniger ansteckend oder tödlich wird“, sagt Francois Balloux vom University College London.

 

 

Er und sein Team haben auf Basis von gut 7.500 in GISAID gesammelten Gensequenzen des Coronavirus 198 verschiedene Mutationen identifiziert. Diese sind in vielen Fällen mehrfach und unabhängig voneinander aufgetreten, wie die Forscher berichten. Auffallend jedoch: Die Mutationen sind nicht gleichmäßig über das Virengenom verteilt. Den Analysen zufolge sind die Bauanleitungen von drei Proteinen und dem für die Bindung an die Wirtszellen wichtigen Spike-Protein von SARS-CoV-2 besonders häufig verändert.

 

Bedenkliche Veränderung am Spike-Protein

Vor allem die Veränderungen am Spike-Protein könnten darauf hindeuten, dass sich das Virus immer besser an den Menschen anpasst – es optimiert seine Bindungsstelle, um noch effektiver in die Zellen eindringen zu können. Erste Indizien dafür haben Bette Korber vom Los Alamos Laboratory gefunden. Unter den 14 Mutationen im Spike-Protein identifizierten sie eine, D614G, die möglicherweise die Vermehrung und Übertragung des Virus erleichtert.

„Wann immer diese Mutation eine Population erreichte, nahm ihre Häufigkeit rapide zu und in vielen Fällen wurde sie in nur wenigen Wochen die dominante Form“, berichten Korber und ihr Team. Das erste Coronavirus mit der D614G-Mutatation wurde Ende Januar in Deutschland nachgewiesen, Anfang April war es bereits die häufigste in europäischen Virenproben gefundene Variante.

Doch was macht diese Mutation? Wie Korber und ihr Team feststellten, scheint D614G die Vermehrung der Viren zu begünstigen – Patienten mit diesem Typ hatten im Schnitt eine höhere Virenlast, wie Untersuchungen im englischen Sheffield ergaben. Allerdings: Hinweise auf einen schwereren Verlauf gab es bei diesen Patienten nicht. Weil diese Mutation aber einen für Antikörper wichtigen Teil des Bindungsproteins verändert, könnte es sein, dass sie die Immunabwehr behindert, so die Forscher.

„Die Geschichte ist besorgniserregend, da wir sehen, wie sich eine mutierte Form des Virus sehr schnell herausbildet und im Laufe des März zur weltweit dominanten Form wird“, schrieb Studienleiterin Bette Korber, eine Computerbiologin in Los Alamos, auf ihrer Facebook-Seite. „Wenn Viren mit dieser Mutation auftreten, beginnen sie schnell, die lokale Epidemie zu bestimmen, sodass wir annehmen müssen, dass sie leichter übertragbar sind“.

Möglicherweise könnten diese unterschiedlichen Stämme und ihre Verbreitung weltweit auch erklären, warum die Pandemie regional bisher so unterschiedlich schwer ausfällt.

„Wir können es uns beim Eintreten in die klinische Phase von Impfstoffen keine Überraschungen leisten“

 

Frühwarnung notwendig

Die Verfasser des Berichts sagten, dass „dringend eine Frühwarnung notwendig“ sei, damit die Impfstoffe und Medikamente, die aktuell weltweit entwickelt werden, auch gegen den mutierten Stamm wirksam sind.

„Wir können es uns beim Eintreten in die klinische Phase von Impfstoffen und Antikörpern keine Überraschungen leisten“, schrieb Korber auf Facebook. „Doch bitte lassen Sie sich ermutigen; die weltweite Wissenschaftsgemeinde ist dabei auf eine Art und Weise miteinander zusammenzuarbeiten, wie ich es in meinen 30 Jahren als Wissenschaftlerin noch nie erlebt habe“.

Auch wenn die Mutation ansteckender zu sein scheint, deutet die Los-Alamos-Studie nicht darauf hin, dass die neue Version des Virus auch tödlicher ist als das Original. Die Autoren der Studie von der Universität Sheffield fanden heraus, dass bei einer lokalen Stichprobe von 447 Patienten die Hospitalisierungsraten derjenigen, die mit unterschiedlichen der beiden Virusversionen infiziert waren, vergleichbar hoch lag.

Der 33-seitige Bericht ist jedoch noch nicht — wie sonst üblich — durch andere, unabhängige Wissenschaftler im Peer-review-Verfahren analysiert worden. Aufgrund seiner Dringlichkeit wurde er vorab veröffentlicht.

 

 

 

Quellen: Business Insider ¦ Los Angeles Times ¦ PraxisVita ¦ Vartabedian R. Scientist say a-now-dominat strain of the coronavirus could be more conatgious than original. Los Angeles Times, May 5, 2020 - https://www.latimes.com/california/story/2020-05-05/mutant-coronavirus-has-emerged-more-contagious-than-original ¦ Korber B et al. Spike mutation pipeline reveals the emergence of a more transmissible form of SARS-CoV-2. bioRxiv, April 30, 2020 - https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.04.29.069054v1.full.pdf ¦  Spike mutation pipeline reveals the emergence of a more transmissible form of SARS-CoV-2, in: biorxiv.org ¦ https://www.forschung-news.de/news/us-forscher-haben-ein-mutiertes-coronavirus-entdeckt-das-noch-ansteckender-ist-als-das-original-business-insider-deutschland/12103/ ¦ MedRxiv, BioRxiv, University College London, Arizona State University


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