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Covid-19 - Bundesrat ignoriert seine Task Force - Experte warnt!

DMZ – POLITIK ¦ Walter Fürst ¦

 

Was von vielen Experten und auch von grossen Teilen der Bevölkerung befürchtet wurde ist schon näher, als und lieb sein kann. Die Corona-Fallzahlen in der Schweiz steigen wieder an. Doch der Bundesrat setzt weiter auf Lockerungen, statt sich auf eine mögliche 2. Welle vorzubereiten. Wird die Schweiz ein zweites Mal nicht vorbereitet sein und wieder viele Menschenleben verschulden? Matthias Egger, Leiter der nationalen Task Force gegen das Coronavirus, schlägt in einem SRF-Interview Alarm: "Eine zweite Wellte könnte in der Schweiz bereits in den nächsten Wochen kommen." Und mit Panikmache hat das nichts zu tun.

 

In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Meldungen über lokale Coronavirus-Ausbrüche. In China, in Israel, in Deutschland, in geringerem Ausmass aber auch in der Schweiz. Im Kanton Zug beispielsweise sind in nur einer Woche vier Infektionsherde ausfindig gemacht worden – in der Schweiz befinden sich momentan 560 Personen in Quarantäne.

 

«Die vergleichsweise hohe Zahl neuer Fälle ist beunruhigend», teilte Regierungsrat Martin Pfister mit. «Das bereitet uns Sorge»

 

Reproduktionszahl R

Mittlerweile ist auch die Reproduktionszahl R, also die Anzahl Personen, die ein mit dem Coronavirus Infizierter im Durchschnitt ansteckt, in der Schweiz wieder auf über eins geklettert. «Wir beobachten, dass die Anzahl Fälle wieder steigt. Das bereitet uns Sorge», sagt Matthias Egger, Leiter der nationalen Task-Force gegen das Coronavirus zu Radio SRF.

 

Einschätzung der momentanen epidemiologischen Lage

Die effektive Reproduktionszahl Re ist Mitte März 2020 unter den kritischen Schwellenwert von 1 gefallen. Die Schätzung von Re basiert von nun an ausschliesslich auf Daten vom BAG, da die Daten von openZH in letzter Zeit mit abnehmender Häufigkeit aktualisiert werden. Das derzeitige Re ist im Vergleich zu den niedrigsten Werten Mitte April angestiegen. Die Unsicherheitsintervalle sind aufgrund der tiefen Fallzahlen laufend grösser geworden und beinhalten derzeit weiterhin den kritischen Wert von 1. Die Zahl der Corona-Ansteckungen in der Schweiz innert einer Woche ist auf 156 Fälle gestiegen, in der Vorwoche waren es laut BAG noch 131 Fälle. Mittlerweile liegt die Reproduktionszahl R, also die Anzahl Personen, die ein mit dem Coronavirus Infizierter im Durchschnitt ansteckt, wieder über eins bei 1.14, Link öffnet in einem neuen Fenster.

 

Die Berechnung von Re für einzelne Kantone, schweizer Regionen und verschiedenen europäischen Ländern ist hier verfügbar. Des Weiteren sind auf dieser Website Abschätzungen zur Änderung von Re nach Einführung oder Aufheben von Massnahmen verfügbar. Die Schweizer Resultate für Re stellen wir dort auch als .csv Datei zur Verfügung.

 

Gemäs Resultaten einer SRF Umfrage bei den Usern löst die Beschleunigung der Virus-Verbreitung Beunruhigung aus. In einer nicht repräsentativen Umfrage befürchten 74 Prozent eine zweite Welle. Mehr als 40'000 Userinnen und User haben an der Umfrage teilgenommen.

 

Maskenpflicht gefordert

Viele Kommentatoren sind der Meinung, dass die Zeit für eine generelle Maskenpflicht gekommen sei. "Eine bedingungslose Masken- und Abstandpflicht von zwei Metern ist der einzige Weg, um eine zweite, viel stärkere Welle zu vermeiden und ohne Lockdown weiter leben zu können".

 

Kritik an den bürgerlichen Parteien

Auch der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien erhalten aufgrund der erneut nicht nachvollziehbaren Lockerungsmassnahmen berechtigterweise Kritik: "Mit bundesrätlich grossspurig-medialen Ankündigungen von Lockerungsmassnahmen ist der Bekämpfung der Pandemie nicht gedient. Kann das mal jemand Frau Gössi und Herrn Rösti erklären, die nicht müde werden, munter für Lockerungen Stimmung zu machen?" 

 

Forderung nach kommunaler Aufschlüsselung 

Ein weiterer User fordert das BAG auf, die täglichen Fallzahlen auch auf kommunaler Ebene zu veröffentlichen. "Weiss man, dass in unmittelbarer Nähe neue Fälle aufgetreten sind, dann werden die Regeln mit Bestimmtheit strikter eingehalten." Auch Hanna Streuli würde eine kommunale Aufschlüsselung der Infektionsfälle begrüssen: "Warum wird nicht öffentlich gemacht, wo die Fälle sind?"

 

Methoden

Das publizierte Re für einen bestimmten Tag ist ein Mittelwert über die letzten 3 Tage. Publiziert wird der geschätzte Median zusammen mit dem 95% Unsicherheitsintervall. Eine Erweiterung der Methode, die erlaubt früher allfällige Änderungen von Re zu beobachten, ist momentan in Arbeit und wird voraussichtlich demnächst eingeführt.

Generell basieren die Einschätzungen der momentanen epidemiologischen Lage auf einer Reihe von Methoden, siehe Appendix A in Policy Brief «Effect of Measures». Die verschiedenen Schätzungen können im Detail voneinander abweichen, stimmen aber im Trend überein.

 

Zweite Welle

Eine zweite Welle könnte laut Matthias Egger früher kommen als befürchtet. "Es muss nicht bis Herbst dauern. Eine zweite Welle könnte in der Schweiz bereits in den nächsten Wochen kommen." Darüber, wieso der Bundesrat nicht (mehr) auf seine Task Force hört, kann nur spekuliert werden. Es gibt Stimmen, die den Verdacht äussern, dass es rein wirtschaftliche Überlegungen sind, die Lockerungen dergestalt zu forcieren. Auch in Israel konnten im Mai die Fallzahlen wie in der Schweiz massiv gesenkt werden. Mittlerweile gäbe es aber wieder mehr Fälle. Egger: "In Israel kommt jetzt die zweite Welle. Trotz der grossen Wärme im Land, was ja auch immer ein Thema ist."

 

«Maske tragen»

Matthias Egger hofft, dass die Schweiz den kommenden Anstieg der Fallzahlen gut kontrollieren kann. Zuversichtlich stimmt ihn, dass die Schweiz nun wisse, wie eine solche Welle verhindert werden könne. Es sei nun wichtig, die Strategie aus Testen, Tracen, Isolieren und Quarantäne konsequent umzusetzen. Was fehlt ist das Bewusstsein, dass das Virus noch da ist und sich deshalb kaum mehr jemand um Massnahmen kümmert. Anstatt, dass die Regierung hier, wie in anderen Ländern, strengere Massnahmen zum Schutze der Bevölkerung trifft, setzt er diese fast schutzlos den Risiken aus.

 

Isolation und Quarantäne in der Schweiz

Um die Übertragung des Coronavirus zu verhindern, können die zuständigen kantonalen Behörden Personen, die als potenzielle Überträger identifiziert wurden, in Isolation schicken. Für alle Personen, die mit dem möglichen Überträger engen Kontakt hatten, während er infektiös war, kann sie eine Quarantäne von 10 Tagen anordnen. Momentan befinden sich 155 Fälle in Isolation und 560 in Quarantäne.

Matthias Egger ruft die Bevölkerung zudem dazu auf, sich weiter an die Distanz- und die Hygiene-Regeln zu halten. "Wenn der 2-Meter-Abstand (neu 1.5-Meter) nicht eingehalten werden kann, soll man eine Maske tragen", so Egger.

 

Klar gegen weitere Lockerungen

Laut dem Task-Force-Leiter steht die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern momentan sehr gut da. Doch dieser Vorsprung dürfe nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden. Egger äusserte sich vor wenigen Tagen bei Radio SRF dezidiert gegen weitere Lockerungsschritte der Schweizer Regierung: "Jetzt muss man zuerst abwarten, was genau die letzten Lockerungen vom 6. Juni bewirken. Erst dann kann man wieder weiterschauen." Die Warnungen wurden vom Bundesrat rigoros ignoriert.

 

Auch seine geäusserte Warnung, bzw. Forderung, weitere Schritte gegen das Coronavirus zu unternehmen verhallten ungehört. Wer übernimmt hier die Verantwortung? Erneut die zu befürchteten Opfer? Die Versäumnisse zu Beginn der Pandemie hatten verheerende Auswirkungen. Matthias Egger weiss: "Den Lockdown hätte man eine Woche früher verordnen sollen. Damit hätte man die Anzahl Fälle etwa halbiert." Auch hierzu gibt es keine Stellungnahme des Bundesrates oder Vertreterinnen / Vertreter, die dafür Verantwortung übernehmen.

 

Bundesrat ignoriert Warnungen und schiebt gleichzeitig Verantwortung ab

Eines hat der Bundesrat an der gestrigen Medienkonferenz klargemacht: Bei einer allfälligen zweiten Welle sieht er die Kantone in der Hauptverantwortung. Allzu viel Angst vor einer solchen zweiten Welle hat der Bundesrat zurzeit offenbar nicht – jedenfalls hat er die dringende Empfehlung des Präsidenten seiner wissenschaftlichen Taskforce, auf weitere Lockerungen zu verzichten, in den Wind geschlagen. Mit der Bemerkung, es gebe viele Meinungen, Experten seien wichtig, aber die Politik müsse abwägen.

 

Swiss National COVID-19 Science Task Force

Die Swiss National COVID-19 Science Task Force hat im Mandat von verschiedenen Stellen des Bundes die Funktion eines nationalen wissenschaftlichen Beratungsgremiums im Kontext der COVID-19-Pandemie.

Mandatgeber der Task Force sind der Krisenstab des Bundesrates zur Bewältigung der Corona Krise (KSBC) sowie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

Mandatnehmer sind die Präsidenten des Schweizerischen Nationalfonds (Prof. Matthias Egger), des ETH-Rats (Prof. Michael O. Hengartner), der Rektorenkonferenz swissuniversities (Prof. Yves Flückiger) und des Verbunds der Akademien Schweiz a+ (Prof. Marcel Tanner)

Prof. Matthias Egger leitet die Task Force.

 

 

 

Quelle: 

  • SRF
  • corona-data.ch
  • https://ncs-tf.ch/de/
  • https://ncs-tf.ch/de/policy-briefs/effect-of-measures-21-april-20-en/download
  • https://ncs-tf.ch/de/lagebericht

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