Die Schweiz ist der neue Hotspot der Kriminalliteratur

Christof Gasser im Gespräch, fotografiert von Urs Heinz Aerni
Christof Gasser im Gespräch, fotografiert von Urs Heinz Aerni

DMZ - KULTUR ¦ Urs Heinz Aerni ¦

 

In der Schweiz ist in den letzten Jahren eine lebhafte Krimiszene entstanden. Mehr und mehr entdecken Autorinnen und Autoren die Alpenrepublik als Schauplatz ihrer Romane. Einer der erfolgreichsten Vertreter dieses neuen Trends ist der Solothurner Christof Gasser, der regelmäßig die Bestsellerlisten erobert.

 

Wer dem Schweizer Schriftsteller Christof Gasser zum ersten Mal begegnet, lernt einen humorvollen und ausgeglichenen Menschen kennen. Doch im- mer wieder spielen sich im Kopf des Solothurners die schlimmsten Gräueltaten und abscheulichsten Verbrechen ab. Dass sich hinter dem sympathischen Lächeln Abgründe auftun, stellt keinen Persönlichkeitsmakel da. Vielmehr gehören Verbrechen und ihre Aufklärung zu seinem Beruf. Christof Gasser ist Krimischriftsteller. Sein Werkzeug ist seine Fantasie. Sein Tatort: die Nordwestschweiz. Doch nicht nur unter den Eidgenossen, wo seine Romane regelmäßig die Spitzenplätze der Bestsellerliste erklimmen, hat Gasser viele Fans. Auch in Österreich und Deutschland werden seine Krimis immer beliebter.

 

Daran hat der Schauplatz seiner Bücher gewiss großen Anteil. Der Buchmarkt kennt aus Skandinavien das Phänomen, dass ein Land oder eine Region zu einer Marke für eine bestimmte Art von Spannungsliteratur und einen spezifischen Stil werden kann. Auch wenn Kriminalromane aus der Schweiz noch nicht so populär sind wie ihre Pendants aus dem hohen Norden, sieht Gasser viele Gemeinsamkeiten: »Ebenso wie Skandinavien wird die Schweiz im Ausland oftmals idealisiert. Ein Hort des Friedens, des Wohlstandes und der direkten Demokratie, mit schönen Landschaften und Produkten wie Uhren und Schokolade, bringt man zuletzt mit Gewalt und Verbrechen in Verbindung.«

 

Dabei bietet die Schweiz für einen aufmerksamen Autor schier unerschöpfliche Inspirationsquellen. Christof Gasser zumindest bereitet es Freude, mit seinen Kriminalgeschichten immer wieder am Image der scheinbar makellosen Alpenrepublik zu kratzen. Seine Romane legen oftmals den Finger in die Wunden des aktuellen Zeitgeschehens und zeigen gleichzeitig die Diversität und Vielgestaltigkeit der Nation auf.

 

»Vor dem Hintergrund der beschaulichen, reichen und viersprachigen Alpenrepublik mit 26 autonomen Teilstaaten an der geografischen Drehscheibe zweier großer europäischer Kulturen versuche ich, in meinen Romanen zu zeigen, dass dieses Land mehr zu »bieten« hat als Heidiromantik, Schokolade, Käse und Uhren.«

 

Wenn das Gespräch auf die Schattenseiten der Schweizer Gesellschaft kommt, ändert sich Gassers Tonfall leicht und er wählt seine Sätze mit Bedacht. Ein Krimi soll in erster Linie mitreißend und unterhaltend sein. Aber mindestens genauso wichtig ist es für den gelernten Kaufmann, nicht an den Realitäten vorbeizuschreiben. Sowohl Kultur und Literatur im Allgemeinen als auch Kriminalliteratur im Besonderen spielen sich nicht in einem Vakuum ab. Den gesellschaftlichen Phänomenen der Gegenwart, den sozialen Reibeflächen und Bruchstellen nachzuspüren, gehört für Gasser ebenso zur Kriminalliteratur wie das Ermit- teln und Auslegen falscher Fährten, um den Plot für den Leser auf jeder Seite spannend zu halten. Doch läuft ein solcher Ansatz nicht auch Gefahr, die realen Probleme durch ihre Fokussierung größer darzustellen, als sie eigentlich sind? Gasser schüttelt entschieden den Kopf. »Ich erzähle Geschichten von Menschen in einer Gesellschaft, deren Taten und Unterlassungen für jeden Einzelnen Konsequenzen in die eine oder andere Richtung haben. Die Schweiz ist nicht einfach eine Insel der Glückseligkeit. Sie ist ein Land der Widersprüche und Abgründe, die auf der einen Seite Henri Dunant und das Rote Kreuz hervorbrachte. Handkehrum gibt es hier eine einflussreiche Waffenlobby, die vom Tod und Elend in Bürgerkriegsländern profitieren will. Die Schweiz ist ein Teil der globalisierten Wirtschaft und den damit verbundenen Ungleichheiten und Spannungen, die sich nicht zuletzt bei uns selbst als Kriminalität und Gewalt niederschlagen. Da setze ich mit meinen Romanen an. Sie erzählen von möglichen Auswüchsen solcher Konflikte im Kontext der Region, in der sie sich abspielen. Sie dürfen die Leserinnen und Leser zum Nachdenken anregen, ohne sie belehren zu wollen.«

Neben Handlung und Ort sind die Charaktere das wichtigste Element in Gassers Romanen. »Die Personen sind Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Sie müssen gleichzeitig Plot und Lokation gerecht werden. Die Protagonisten sollen die Leser berühren und sie auf die Reise durch die Geschichte mitnehmen. Eine Serie ist erfolgreich, wenn sich jedes neue Buch mit denselben Protagonisten anfühlt wie ein schönes Wiedersehen mit alten Freunden nach langer Zeit.«

 

Jenseits seiner Autorentätigkeit hat er schon zahlreiche internationale Erfahrungen gesammelt. Als Manager war er jahrzehntelang für die Schweizer Uhrenindustrie im Auslandseinsatz. Dort lernte er auch die Schattenseiten der Globalisierung kennen. Etwa als er 2010 inmitten politischer Unruhen in Thailand lebte und versuchte, die Lieferkette für sein Unternehmen aufrecht zu erhalten.

 

»Das waren bewegte Zeiten, in denen ich viel erlebt habe. Doch reifte in mir immer mehr die Idee, irgendwann als hauptberuflicher Autor zu leben.« Und weil Gasser ein Mann der Tat ist, setzte er seinen Plan mit der gleichen Zielstrebigkeit um, mit der er Unternehmen zurück in die Gewinnzone geführt hat. Erste Schritte unternahm er bereits 1998, als er in Asien ein »Creative Writing Seminar« gemeinsam mit Journalisten des CNN und Drehbuchautoren aus Hollywood absolvier- te. Doch es sollte noch bis 2016 dauern, bis mit »Solothurn trägt schwarz« sein erster Roman im Emons Verlag erschien.

 

Seitdem schreibt Gasser Krimis, und seine Bücher sind eine unaufhörliche Erfolgsgeschichte: Die »Taschenstatistik Kultur in der Schweiz« des Bundesamtes für Kultur weist Gasser für das Jahr 2017 als den meistverkauften Schweizer Autor von Taschenbüchern aus. Im Jahr 2018 erwarb eine deutsche Produktionsfirma die Verfilmungsoption von Gassers Roman »Schwarzbubenland«.

Ob seine Erfahrungen im Ausland denn auch irgendwann einmal Thema für einen Krimi sein könnte? Gasser lächelt und wiegt ab. Ausschließen will er es nicht. Aber die nächsten Romane werden auf jeden Fall wieder dort spielen, wo er sich am besten auskennt: vor der eigenen Haustür.

 

Redaktion «Swiss Noir» Verlag Emons Köln in Zusammenarbeit mit Urs Heinz Aerni


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