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Wozu braucht Ungarn 16.000 Beatmungsgeräte?

Zoltán Kovács, Jahrgang 1952, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.
Zoltán Kovács, Jahrgang 1952, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.

DMZ – INTERNATIONAL ¦ POLITIK ¦ Zoltán Kovács ¦

 

Auf Anfrage teilte das ungarische Ministerium für Außenwirtschaft unlängst mit, dass es während der Notlage zwischen dem 11.3.2020 und dem 17.6.2020 16.000 Beatmungsgeräte für die Behandlung der Covid-19 Patienten bestellt hatte; für einen Gesamtpreis von über 900.000.000 Euro. Somit kostete ein Gerät ca. 56.647 Euro.

Das ist doppelt so viel, als es Viktor Orbán früher für den schlimmsten zu erwartendem Fall für nötig erachtet hatte. Den „Rest dieser Beatmungsgeräte“ wird man laut Staatssekretär Tamás Menczer an Südafrika und vielleicht an Brasilien verkaufen.

 

Der Großteil der Geräte kam zudem ohne eine verständliche und mehrsprachige Bedienungsanleitung an. Entsprechend versiertes Personal stand auch nicht zur Verfügung.

Wie sich inzwischen herausgestellt hatte, schlitterte kürzlich die neugewählte slowenische Regierung des rechten Janez Jansa in eine Korruptionsaffäre, die eine handfeste politische Krise auslöste. Die Staatsanwaltschaft vermutete nämlich Preismanipulationen und eine Überteuerung beim Ankauf von Beatmungsgeräten für Covid-19-Patienten. Die slowenische Regierung bezahlte für jedes Gerät 30.000 Euro, also etwa die Hälfte dessen, was die Orbán-Regierung dafür bezahlte.

Diese Notlage ist inzwischen vorbei. Selbst auf dem Höhepunkt des Infektionsgeschehens waren in Ungarn keine 100 Covid-19 Patienten gleichzeitig auf Beatmungsgeräte angewiesen, geschweige denn, dass man vor der Wahl gestanden hätte, eine Auswahl treffen zu müssen, wer beatmet werden soll und bei wem es sich nicht lohnt.

 

Bei einer so heiklen Fragestellung empfiehlt es sich, mit Zahlen vorsichtig umzugehen, man sollte insbesondere keine Besserwisserei betreiben. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, wie die riesige Differenz zwischen den gekauften 16.000 und den tatsächlich verwendeten 100 Beatmungsgeräte zu erklären ist?

 

Statt diese Frage zu beantworten bezichtigte der Staatssekretär mehrere liberale Online-Portale der Lüge und erklärte, in der Pandemie suchte man weltweit nach diesen Geräten, die Preise seien deshalb hochgeschossen und niemand konnte genau die Anzahl der benötigten Beatmungsgeräte vorher genau festlegen.

 

Hätte die Regierung diese Information auch der Opposition zugänglich gemacht, wären solche Peinlichkeiten vielleicht vermeidbar gewesen, obwohl der Unterschied zwischen 16.000 und 100 selbst dann kaum zu begründen gewesen wäre. Dazu kommt noch, dass Viktor Orbán mehrmals erklärte, Ungarn würde von der EU keine Hilfe bekommen, wohl aber von den Chinesen. Diese sogenannte Hilfe muss man aber mit Vorsicht betrachten. Es handelte sich nämlich um ein Geschäft und eben nicht um ein Geschenk der chinesischen Freunde des Ministerpräsidenten. Ungarn hat man eine Menge Geräte angedreht und das nicht zum Freundschaftspreis.

Natürlich spricht für die Regierung, dass man im ersten Quartal 2020 noch nicht wissen konnte, welches Ausmaß die Pandemie haben würde. Die Zahlen aus dem Ausland waren alarmierend, dennoch war schon Anfang April klar, dass die Seuche in Ungarn milder ablaufen wird als in Westeuropa. Österreich war das Beispiel. Die Alpenrepublik hatte insgesamt 1.000 Beatmungsgeräte bestellt.

 

Die Bestellung von 16.000 versuchte Staatssekretär Menczer so zu erklären: „Besser ist es, wenn Geräte auf Vorrat vorhanden sind, als wenn es auch nur einen Menschen gibt, den man mangels Geräts nicht retten kann“. Selbst das ist noch glaubhaft. Seien wir gutgläubig: Okay, die Rede ist nicht von Geschäftemacherei, Orbán verfiel einfach in Panik. Er bestellte statt 1.000 eben 16.000. Verfällt die Regierung in einer solchen Situation in Panik und verrechnet sich derart, dann ist allerdings Gefahr im Verzug. So etwas kann nur passieren, wenn jemand gewohnt ist, dass seine Entscheidungen von Niemandem kontrolliert werden. Klar ersichtlich ist, dass Viktor Orbán sich mit Leuten umgibt, die sich nicht trauen, ihm zu widersprechen, sie meiden Konflikte. Das ist schlimm genug. Das größte Übel ist aber, dass er die Kontrollmechanismen für das Regieren bewusst abgebaut hat, weil er das Gefühl hatte, er könne ohne Kontrolle freier schalten und walten.

 

Das zeugt von politischer Beschränktheit, denn Kontrolle kann den Regierungschef auch vor eigenen falschen Entscheidungen schützen, anders ausgedrückt, mit dem Rückhalt von Kontrollen kann er mit klarem Verstand besser entscheiden.

Seien wir froh, dass es diesmal nur um Beatmungsmaschinen ging.


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