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Die Lage von Kindern in Armut wird durch die Corona-Krise prekärer

DMZ – SOZIALES ¦ Patricia Jungo ¦

 

Das bereits bestehende Problem der Kinderarmut könnte durch die Corona-Krise noch verschärft werden. Eine Studie zeigt, dass die Eltern von benachteiligten Kindern oft einer Teilzeitarbeit nachgehen oder als Minijobber tätig sind. Stellenabbau und Lohneinbussen betreffen sie überdurchschnittlich stark.

 

Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse der Bertelsmann-Stiftung vergrössere sich durch die Corona-Auswirkungen die Gefahr, dass viele armutsbetroffene Kinder durchs Raster fielen. Grund dafür sei unter anderem auch die während des Lockdowns zeitweise Einstellung vieler ausserhäuslicher Unterstützungsangebote staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Natur. Dies erklärt Jörg Dräger, der Chef der Bertelsmann-Stiftung, welche sich auch auf Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stützt.

 

Auch während des Fernunterrichts in Zeiten des Lockdowns seien Kinder aus armen Verhältnissen benachteiligt gewesen. Ihnen fehlten die notwendige technische Ausstattung und ein Ort, wo ungestörtes Lernen für sie möglich war. 24 Prozent verfügten über keinen PC mit Internetanschluss. Leider sei für die armutsbetroffenen Kinder die Aussicht auf eine optimalere Situation sehr gering. Für Deutschland berichtet die Analyse von 21,3 Prozent oder 2,8 Millionen Kindern und Jugendlichen, die in Armut leben. Dabei handle es sich nicht um Armut über eine kurze Zeitspanne, sondern die Armut sei dauerhaft oder wiederkehrend. Alleinerziehende oder Familien mit drei oder mehr Kindern würden als besonders betroffen gelten.

 

Auch die Schweiz kennt Kinderarmut. Das Hilfswerk Caritas spricht von 144'000 Kindern, die unter Armut leiden. Schon vor der Corona-Pandemie schnellten die Zahlen betreffend die Armutsquote bei Kindern in die Höhe; von 6,9 auf 9,6 Prozent. Auch die gute Wirtschaftslage hat die Armut nicht einfach verschwinden lassen. Dies zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre. Caritas gab schon zu Beginn dieses Jahres zu Bedenken, dass die Schweiz unter einem strukturellen Armutsproblem leiden würde. Dies stelle eine der grössten sozialpolitischen Herausforderungen dar und es sei entschlossenes Handeln angezeigt. Der Bundesrat sei mit der Unterzeichnung der Agenda 2030 die Verpflichtung eingegangen, die Armut in unserem Land bis 2030 um die Hälfte zu vermindern. Ohne wirksame Armutsbekämpfung und gemeinsame Strategien von Bund, Kantonen und Gemeinden werde dies aber nicht möglich sein. Auch für die Experten der Bertelsmann-Stiftung bleibt Kinderarmut ein ungelöstes strukturelles Problem. Laut Jörg Dräger genügen die Anstrengungen der Politik nicht, um die Kinderarmut zu reduzieren. Ihre Folgen seien erheblich für das Aufwachsen, das Wohlbefinden, die Bildung und die Zukunftschancen. Weiter betont er, die Politik müsse zwingend mehr unternehmen, um Kindern vor der Armut zu schützen.

 

Die Regierungen müssten jetzt handeln und die Vermeidung von Kinderarmut müsse in Corona-Krise oberste Priorität haben. Jörg Dräger schlägt neue sozial- und familienpolitische Konzepte vor und weist auf Vorschläge für ein Teilhabegeld oder eine Kindergrundsicherung hin. Kinder und Jugendliche müssten sich auf vermehrt beteiligen können, da gerade auch in der Corona-Krise festgestellt worden sei, dass Wünsche und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen von der Politik nicht angemessen erfasst würden. Die Forscher berücksichtigten in der Analyse die Zahl der Empfänger von Grundversicherung und im Rahmen einer kombinierten Armutsmessung auch die Armutsgefährdungsquote. Diese zeigt den Anteil der Haushalte, deren Einkommen (einschliesslich Sozialleistungen) unter 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung liegt. Als direkte Folgen von Armut gelten auch das Fehlen eines Autos, elektronischer Haushaltgeräte, Ferien und auch Aktivitäten wie Kino- oder Theaterbesuche. Armutsbetroffene Kinder werden täglich mit ihrer Situation konfrontiert, ohne dass dies dem Umfeld bewusst ist.

 

Dabei geht es nicht nur um Kleidung und Nahrung. Als Beispiel kann hier die Schule genannt werden: Häufig fängt es bereits am Montagmorgen an, wenn die Klasse im Kreis sitzt und alle von ihrem Wochenende und dem Erlebten oder von den Ferien erzählen. Für Kinder, die von Armut betroffen sind, gibt es oft nichts Aufregendes zu erzählen und die Situation ist bestimmt unangenehm. Weiter sind es stets dieselben Kinder, die nicht wissen, was sie als Hobby nennen sollen und solchen Diskussionen beschämt aus dem Weg gehen. Solange unsere Gesellschaft nicht die wahren menschlichen Werte in den Vordergrund stellt, ist für Kinder Armut noch schwerer zu ertragen. Mitleid ist nicht hilfreich. Was es braucht, ist Schutz vor Armut. Darauf haben unsere Kinder ein Anrecht. Deshalb braucht es von den Regierungen nicht nur blosse Anstrengungen, sondern endlich echte Lösungen und Handlungen.

 

 

 

Quelle:

±aargauer zeitung/bluewin news±


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