Von Enttäuschung und ihrem Wert

DMZ – LEBEN/PSYCHOLGOIE ¦ Patricia Jungo ¦

Einige Begriffe haben im Verlaufe der Zeit ihren wirklichen Wert und Sinn ein wenig verloren und manche scheinen ganz und gar nicht mehr damit übereinzustimmen. Der Begriff „Enttäuschung“ ist einer davon. Nimmt man seine ursprüngliche Bedeutung unter die Lupe und zerlegt man ihn in zwei Teile, bewegt man sich eher in die gegenteilige Richtung des heute gebräuchlichen Sinnes. Es entsteht „Ent-täuschung“ und dies entspricht viel mehr der eigentlichen Bedeutung des Begriffs. Eine Täuschung liegt vor, wenn wir uns eine irreale Vorstellung einer Sache, Situation oder eines Menschen machen, die mit der Wahrheit und der Realität nicht übereinstimmt.

In unserer Gedankenwelt entstehen Vorstellungen und auch Erwartungen, welche als Anschauung und Einstellung im Äusseren wirksam werden. Es gibt viele Gründe, warum uns Menschen in unserer gedanklichen Haltung eine Fehleinschätzung passieren kann: Es kann uns an Wissen mangeln, an Vertrauen, an Glauben, an Kenntnissen usw. Diese Fehleinschätzung verfestigt in uns ein Bild, das gar nicht in Einklang steht mit dem, was in der Realität wirklich ist. Kommt es zu „Ent-täuschung, gilt es, das selbsterzeugte Trugbild zu verbessern, anzupassen oder gar ganz zu verwerfen. Nur so kommen wir zur Wahrheit und erkennen Tatsachen auch an.

Dabei prallen unweigerlich die eigene Vorstellung und Wahrheit unsanft aufeinander und dies ist zuweilen recht schmerzhaft. Ebenso geschieht es oft unerwartet, ohne dass wir uns darauf vorbereiten können. Wenn sich die „Falschvorstellung“ schon im Bewusstsein ihr Plätzchen gesucht hat, wird es noch schwieriger. Wir stehen vor vollendeten Tatsachen und Schluss ist mit unserem Trugbild. All dies erklärt, warum heutzutage Ent-täuschung wohl als rein negativ angesehen wird. Es ist ein absolut unerwünschter Zustand, den wir alle absolut vermeiden wollen. Niemand wird gern enttäuscht und die wenigsten fühlen sich wohl, wenn sie andere enttäuschen. Aber wie es der „aufgespaltene“ Begriff veranschaulicht, ist eine „Ent-täuschung“ eher etwas Positives, denn sie zeigt uns die Wahrheit auf und löst alle Täuschungen auf. Bedingung ist natürlich, dass wir bereit sind, ihr auch ins Auge zu blicken und die innere Klärung, die Enttäuschung mit sich bringt, auch zulassen. Wir haben auch immer die Chance, uns ständig selber zu „ent-täuschen“, indem wir unsere inneren gedanklichen Haltungen überdenken und korrigieren. Dann muss eine „Ent-täuschung“ auch nicht unbedingt von aussen kommen. Auch wenn „Ent-täuschungen“ oft alles andere als einfach sind, dürfen wir sie vor allem dankbar annehmen. Sie bereiten Täuschungen aller Art ein Ende.