Grossveranstaltungen mit über 1000 Besuchern ab Oktober - "Wer finanziert den nächsten Lockdown?"

Sehen Veranstaltungen künftig so aus? So gesehen in England, Newcastle - (Bildquelle: www.mirror.co.uk)
Sehen Veranstaltungen künftig so aus? So gesehen in England, Newcastle - (Bildquelle: www.mirror.co.uk)

DMZ – KULTUR ¦ D. Hans Aebischer ¦

KOMMENTAR

 

Man verzeihe mir den Titel... ein Zitat, das es in sich hat, sollte man nicht verstecken.
Der Bundesrat hat sich mit dem Entscheid, Grossveranstaltungen mit über 1000 Besuchern ab Oktober wieder zuzulassen, über die Bedenken der meisten Kantone und auch der eigenen wissenschaftlichen Taskforce erneut hinweggesetzt.

Entgegen jeglicher Vernunft, könnte man annehmen. Zumindest sieht es auf vielen Portalen in den Kommentarspalten kritisch aus. Doch ist es wirklich so gefährlich? Was hat der Bundesrat denn nun konkret verlauten lassen?

 

Grossanlässe ab Oktober unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung wieder möglich

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 12. August 2020 entschieden, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen ab dem 1. Oktober 2020 wieder zu erlauben. Es gelten strenge Schutzmassnahmen und die Kantone müssen die Anlässe bewilligen. Dabei müssen die Kantone ihre epidemiologische Lage und ihre Kapazitäten für das Contact Tracing berücksichtigen. Damit will der Bundesrat sicherstellen, dass sich die Situation in der Schweiz nicht verschlechtert. Gleichzeitig trägt er mit dem vorsichtigen Öffnungsschritt den gesellschaftlichen Bedürfnissen sowie den wirtschaftlichen Interessen der Sportvereine und Kulturveranstalter Rechnung.

 

Einheitliche Bewilligungsanforderungen für Grossanlässe gefordert

Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wird beauftragt, zusammen mit den zuständigen Departementen und den Kantonen bis am 2. September einheitliche Bewilligungsanforderungen für Grossanlässe auszuarbeiten. Diese sollen für alle Bereiche, wie Sport, Kultur oder Religion gelten. Damit sollen zusätzlich zu den Basismassnahmen wie Abstandhalten oder Hygiene Leitplanken aufgestellt werden. Dabei kann auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Science Task Force zurückgegriffen werden. Für die Veranstaltung braucht es eine Bewilligung des zuständigen Kantons. Die Kantone können die Erteilung der Bewilligung zudem verweigern, wenn ihre epidemiologische Lage und die Kapazitäten für das Contact Tracing die Durchführung nicht erlauben.

 

Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind in der Schweiz seit dem 28. Februar 2020 verboten. Dieses Verbot ist eine der zentralen Massnahmen, mit der die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus reduziert werden konnte. Es gilt bis am 31. August und wird nun um einen Monat bis Ende September verlängert.

 

Die Kantone erhalten mit dieser Verlängerung nun Zeit, um das Bewilligungsregime vorzubereiten und wenn nötig die Kapazitäten für das Contact Tracing zu erhöhen. Kein einfaches Unterfangen.

Mit dem Vorgehen will der Bundesrat sicherstellen, dass sich die epidemiologische Lage nicht weiter verschlechtert. Gleichzeitig trägt er den gesellschaftlichen Bedürfnissen etwa nach einem vielfältigen Kulturleben und Sportangebot sowie den wirtschaftlichen Interessen Rechnung. Nicht alle Grossveranstaltungen bergen dieselben Risiken. So gibt es Grossanlässe, bei denen der Mindestabstand weitgehend eingehalten werden kann. So der Bundesrat heute.

 

Nicht alle Betroffenen sehen die erneuten Lockerungen gleich. So z.B. Urs Leuthard von SRF, der dazu schreibt: "Und das am Tag, an dem die höchste Zahl von Neu-Infektionen seit Aufhebung des Lockdowns bekannt gegeben wurde. Man kann das mutig oder fahrlässig nennen. Der Schluss liegt nahe, dass das massive Lobbying der Sportverbände und der Kulturbranche in den letzten Wochen gewirkt hat und der Bundesrat eingeknickt ist."

 

Etwas optimistischer

Dass der Bundesrat trotz steigender Zahlen die 1000er-Regel kippt, freut die Eventorganisatoren. "Das ist ein Lichtblick. Die Öffnung für mehr Publikum gibt unserer Branche Planungssicherheit und eine Perspektive", sagt SMPA-Geschäftsführer Stefan Breitenmoser.

 

Etwas zurückhaltender

Der Musiker und Produzent Frank Chap ist verhalten optimistisch und sagt: "Risikofreudiger Spass. Wenn alle auf die Schutzmassnahmen achten würden, könnte es funktionieren. Für die Veranstalter auch ein Risikogeschäft. Braucht ja Planung und Vorbereitung. Da die Kantone zu jederzeit wieder Verbote aussprechen können. Ein sehr verzwickte Lage.

Ich wünsche all meinen Musikerkollegen und Veranstaltungstechnikern, dass es funktioniert.

Wünsche allen viel Glück." 

 

Etwas kritischer

Urs Leuthard bleibt in seinem Text kritisch und schreibt bei SRF weiter, dass der Bundesrat eine gewisse Normalität wolle, wenn man die heutige Medienkonferenz aber genauer verfolgt habe, sei eine andere Folgerung wahrscheinlicher. Auch dass man dafür bereit sei, ein gewisses Risiko einzugehen, oder wie es die Bundespräsidentin heute an der Medienkonferenz ausgedrückt habe: "Je grösser die Lockerungen sind, desto grösser ist die Verantwortung". Leuthard schreibt dazu: "Doch diese Verantwortung gibt man gleich weiter; an die Kantone, die die Veranstaltungen bewilligen, die Schutzkonzepte kontrollieren und das Contact Tracing sicherstellen sollen; an die Veranstalter, die die Schutzkonzepte erstellen und dafür geradestehen müssen; und auch an uns alle, die Besucherinnen und Besucher der Konzerte, Matches und Messen, die wir uns verantwortungsvoll zu verhalten haben."

 

Etwas lockerer

Benjamin Bula, der Rockpoet aus Bern meint zur Lockerung lediglich: "möge das Spielen beginnen" und die Satirikerin, Autorin und Kabarettistin Patty Basler sagt: "Wenn ich das richtig verstanden habe, hat mir Simonetta Sommaruga versprochen, dass ich ab Oktober immer mehr als 1000 Leute im Publikum haben werde".

 

Etwas zuversichtlicher

Der Geschäftsführer der Musikpromo-Agentur Lautstark, Frank Leggenhager, der u.a. auch für verschiedene Veranstalter und Festivals arbeitet, gibt sich zuversichtlich: „Es ist für die Veranstaltungsbranche ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gilt es erst einmal abzuwarten, wie die Kantone die Vorgaben des Bundes umsetzen. Der Teufel steckt hier im Detail.“

 

Etwas positiver

„Endlich ein Schritt in die Normalität - man begann, sich Sorgen zu machen um die freie Kulturszene der Schweiz, und damit auch um das Land selbst“, sagt Eric Facon, Kulturredaktor Radio SRF.

 

Etwas frustrierter

"Ich nehme an, dass die Veranstalter den nächsten Lockdown finanzieren, können diese Egoisten nicht ohne Konzerte auskommen?", schreibt sich ein Leser die Wut von der Seele. Eine Leserin hat Bedenken: "Ich verstehe manchmal die Entscheidungen nicht, es war vorherzusehen, dass die Zahlen nach den Ferien wieder ansteigen. Sie sind sogar so hoch wie schon länger nicht mehr (April) und jetzt wird das Versammlungsverbot von mehr als 1000 Personen aufgehoben."

 

Fragen bleiben

Für Urs Leuthard bleiben diverse Fragen ungeklärt und er meint weiter zu den Lockerungen: "Das ist nicht grundsätzlich falsch in einem Land, in dem Föderalismus und Selbstverantwortung mehr zählen als in vielen anderen Ländern. Wenn man aber in den letzten Wochen erlebt hat, wie schnell Kantone mit dem Contact-Tracing an den Anschlag kommen, oder wie viele Menschen auf den Strassen und an Veranstaltungen schon jetzt wieder tun, als ob es nie ein Corona gegeben hat: Dann fragt man sich, ob das nicht etwas zu viel Verantwortung ist, die der Bundesrat da abschiebt."

 

Hoffnung

"Hoffnung giesst in Sturmnacht Morgenröte", aber/und hilft uns leben. Hoffen wir für uns alle, dass die Schutzkonzepte umgesetzt werden und sich die Leute daran halten werden, damit die Lage nicht noch schlimmer wird. Oder mit Karl Valentins Worten: "Hoffentlich wird's nicht so schlimm, wie's schon ist."


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