Literatur Festival "Die Rahmenhandlung - Interview mit Andrea Keller von DJ ZsuZsu

Andrea Keller ( Foto: zvg.)
Andrea Keller ( Foto: zvg.)

DMZ – KULTUR - Rahmenhandlung ¦

 

Ein wundervolles Projekt von Alon Renner, seines Zeichens Musik-Manager.

Er lädt in sein Haus ein für eine Lesung der ganz besonderen Art. Ein Literatur Festival mit 16 Lesenden, namhaften Autorinnen und Autoren und spannende Menschen die lesen. In den Schlafzimmern, in der Bibliothek und in der Wohnstube. Vom 27.08 – 30.08.20 findet das Festival "DIE RAHMENHANDLUNG

- AUSGEWÄHLTE HAUSGESCHICHTEN" in Zürich Wiedikon statt.

Wir publizieren eine spannende Interview-Serie - Wir haben die 16 Lesenden gebeten sich gegenseitig zu interviewen.

 

Interview mit Andrea Keller

Von DJ ZsuZsu

 

“Meine Hausgeschichte zerfällt mir sehr” 

Sie nennt sich Kreativ-Komplizin und weiss um die Kraft des Schreibens: Andrea Keller, Autorin und Kulturschaffende, haut nicht nur selbst liebend gern Texte in die Tasten, sondern stiftet auch andere zum Schreiben an. Beim Literatur Festival “Die Rahmenhandlung” erzählt sie die Geschichte eines Häuschens, das an der Autobahn A3 zerfällt, schon seit Andrea denken an. 

 

DJ ZsuZsu: In einem Satz: Wer ist Andrea Keller? 

Andrea Keller: Ich bin eine Kreativ-Komplizin auf Welt- und Menscherkundung, ein Wesen mit Nebensätzen, vielen Nebensätzen (lacht).  

 

Was macht/arbeitet Andrea Keller? 

Zurzeit bin ich stellvertretende Leiterin in einem Museum in Winterthur. Daneben reisse ich immer mal wieder ein Herzensprojekt an, 2017 beispielsweise das Fundbüro2, ein Lost & Found für Immaterielles in Zürich. Aktuell lanciere ich mit dem Kulturschaffenden Patrick Bolle und dem Grafikdesigner Paolo Monaco “Hallo, Tod!”: ein Projekt zum Tod, das nächsten Mai in einem partizipativen Festival im Zentrum Karl der Grosse in Zürich gipfelt. Seit einigen Jahren gebe ich auch Schreibkurse, oft zusammen mit der wunderbaren Schriftstellerin Tanja Kummer, die beim Festival ebenfalls lesen wird. Ich studiere auch wieder, berufsbegleitend – Biografisches & Kreatives Schreiben in Berlin. Und ich habe verschiedene Textvorhaben, eines zusammen mit einer Sängerin, die ich sehr schätze. Es läuft also einiges.  

 

Machst du zu viel?

Nun, das hängt ganz von meiner Verfassung ab. Grundsätzlich glaube ich, jemand mit drei Kindern hat’s strenger als ich. Und die einzelnen Projekte pumpen mir auch Energie ins System. Wenn ich bei einem anstehe, einen "Chnorz” habe, kann ich bei einem anderen auftanken. Ausserdem kann ich neu Gelerntes gleich mehrfach einsetzen: die Projekte profitieren also voneinander. Aber, klar, an manchen Tagen ist es zu viel. Und hin und wieder denke ich: Ich zerbrösele! Dann träume ich von einem Dasein als hardcore-fokussiertem Nerd, der sich 40 Berufsjahre lang mit nur einem Thema beschäftigt – dem Einfluss von Sonnenuntergängen auf die Balzkämpfe mitteleuropäischer Ameisenspringspinnen oder sowas. Aber dafür habe ich viel zu viele Fragen, Ideen und Themen, denen ich nachgehen und Raum geben will. Immerhin gibt’s einen roten Faden: das Schreiben.  

 

Was ist der Unterschied zwischen dir und anderen Schreibenden? 

Das Schreiben ist ein Teil von mir und Teil der meisten Projekte, aber ich verstehe mich nicht als Schriftstellerin. Dafür bräuchte es ein anderes Commitment und entsprechende Werke. Zum Fundbüro2 ist 2018 beim Rowohlt Verlag ein Buch erschienen, seither nenne ich mich Autorin. Aber eben nicht nur. Ursprünglich habe ich Journalismus studiert, dann Kulturpublizistik an der Zürcher Hochschule der Künste, ich habe als Texterin gearbeitet, beim Museum verantworte ich mitunter die Kommunikation, jetzt lass ich mich noch zur Schreibpädagogin ausbilden. Irgendwie gehöre ich in all diese Schubladen – und passe doch nirgends zu 100% rein. Aber das ist okay: Ich wollte auch schon als Jugendliche nicht zu denen oder zu jenen gehören und nur zu denen oder zu jenen. Ich schätze die Vielfalt. In mir drin, um mich rum. 

 

Was bedeutet Schreiben für dich? 

Für mich ist Schreiben ein Werkzeug, ein Tool, das mir beim Denken hilft, beim Erkunden von Themen und Gedanken, auch beim Erschaffen und Erkennen von Möglichkeiten, die ich habe. Ich bin überzeugt, dass wir unser Leben und unsere Wahrheit mitkonstruieren. Beispielsweise, indem wir eine bestimmte Sichtweise wählen, uns auf Stärkendes konzentrieren, auf dem Papier probehandeln.  

 

Wie lehrt man Schreiben? 

Wenn ich einen Kurs im kreativen Schreiben leite, geht es in erster Linie darum, einen Raum und Rahmen zu schaffen, Impulse zu liefern, Mut zu machen. Es ist erstaunlich, wie vielen Erwachsenen noch immer ein verknurrter Grundschullehrer im Nacken sitzt, der sowas Bescheuertes gesagt hat wie “Du kannst nicht schreiben!” Oder noch schlimmer: “Du hast zu viel Fantasie!” Es geht also darum, derlei Stimmen und auch den eigenen, inneren Zensor über den Haufen zu schreiben und sich zu befreien. Es geht um die Vermittlung eines Handwerkes, ja, und auch darum, einfach auszuprobieren, sich zum Ausdruck zu bringen, schöpferisch zu sein, zu spielen.

 

Warum müssen gewisse Menschen überhaupt lernen oder sich getrauen, kreativ zu sein? 

Ich denke, oftmals blockieren wir uns, weil wir glauben, dass alles, was wir machen, perfekt sein muss. Von Anfang an. Aber so funktioniert das nicht. Beim Laufen nicht. Beim Reden nicht. Beim Musikmachen nicht. Beim Malen nicht. Beim Schreiben nicht. Kontraproduktiv kann auch die Hoffnung auf Applaus und Anerkennung als Haupttreiber sein. Wenn dann nämlich niemand klatscht, niemand lobt, nur 5 freundliche Likes und 3 Herzchen statt den erhofften 30, 40, 50 kommen, wenn vielleicht sogar jemand kritisiert, kann’s passieren, dass man den Bettel hinschmeisst, obwohl man sich selbst mit dem Kreativsein viel hätte geben können.

 

Kannst du gut mit Ablehnung umgehen? 

Ganz ehrlich: Ich versuche ein guter Mensch zu sein und es verunsichert mich, wenn mich jemand nicht ausstehen kann. Sollte es nicht. Tut es aber. Und, ja, auch ich wünsche mir positives Feedback auf meine Projekte und Texte. Wenn jemand sagt “Das hat mich berührt”, dann tut das gut. Kritisches, aber konstruktiv formuliertes Feedback weiss ich ebenfalls sehr zu schätzen, denn ich will dazu lernen, mich verbessern. Aber bei Nörglerinnen und Miesepetern denke ich: Macht zuerst mal selber. Los, liefern! So richtig fiese Bemerkungen habe ich bislang noch nicht einstecken müssen. Was nicht heisst, dass potenziell Kränkendes nicht irgendwo rumflirrt.

 

Man merkt, du hast ein grosses Herz, und interessiert dich auch für Menschen und was sie

beschäftigt. Kannst du aber auch richtig wütend werden? 

(Lacht) Ja, ich kann schon wütend werden, beispielsweise wenn ich sehe, dass ein narzisstischer Psycho wie Trump lügt, betrügt, lügt … und das keinerlei Konsequenzen hat. Deshalb sollte ich aufhören, die Daily Show mit Trevor Noah zu schauen. Denn wenn’s um Trump geht – und es geht immer um Trump – tut mir das physisch weh, echt, da reagiert mein Körper und ich verliere, zack, jeden Glauben an die Menschheit. Dann denke ich: Wir sind alle verloren! Da kann ich sehr fatalistisch sein, obwohl ich im Grunde ein äusserst fröhlicher, optimistischer Mensch bin. Auch manipulative Spielchen im Umfeld ärgern mich. Wenn ich wütend werde, äussert sich das aber selten in der Lautstärke. Richtig gebrüllt habe ich nur in theatralischen Beziehungskrisen mit Partnern, die ebenfalls sehr laut waren. Und früher bei Auseinandersetzungen mit meiner Mutter. Sorry, Mami (lacht). Da mussten wir durch. 

 

Was liest du bei Alon? 

Ich dichte einem real existierenden Häuschen eine fiktive Geschichte an. Und zwar jenem kleinen Häuschen, das an der A3 auf Höhe Mels steht, zwischen Flums und Bad Ragaz, kurz vor der Raststätte Heidiland, auf der rechten Seite. Dieses Häuschen zerfällt, seit ich denken kann – und es zerfällt mir sehr. Bestimmt kennen auch Menschen aus dem Publikum oder einige Leserinnen und Leser des Interviews dieses Gebäude. Es ist … Poesie an der Autobahn. Ein ungemein standhaftes Zeugnis der Zerbrechlichkeit und Endlichkeit aller Dinge. Ich und eine gute Freundin haben vor, da auch noch hinzureisen, um der wahren Geschichte auf den Grund zu gehen – aber ich habe mir soeben bei einer Wanderung die Bänder gezerrt. Unsere Reise wird erst nach dem Festival möglich sein. Und bis es soweit ist, bleibt mir nur die Fantasie. 


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