Literatur Festival "Die Rahmenhandlung - Dialog zwischen Simone Meier und Alon Renner

Simone Meier ( Foto: Rosa Knecht)  - Alon Renner (zvg.)
Simone Meier ( Foto: Rosa Knecht) - Alon Renner (zvg.)

DMZ – KULTUR - Rahmenhandlung ¦

 

Ein wundervolles Projekt von Alon Renner, seines Zeichens Musik-Manager.

Er lädt in sein Haus ein für eine Lesung der ganz besonderen Art. Ein Literatur Festival mit 16 Lesenden, namhaften Autorinnen und Autoren und spannende Menschen die lesen. In den Schlafzimmern, in der Bibliothek und in der Wohnstube. Vom 27.08 – 30.08.20 findet das Festival "DIE RAHMENHANDLUNG

- AUSGEWÄHLTE HAUSGESCHICHTEN" in Zürich Wiedikon statt.

Wir publizieren eine spannende Interview-Serie - Wir haben die 16 Lesenden gebeten sich gegenseitig zu interviewen.

 

Dialog zwischen Simone Meier und Alon Renner

 

Simone (14.17 Uhr): Lieber Alon, du bist ja unser Gastgeber. Das heisst, du öffnest dein Zuhause für uns, die wir lesen, und fürs Publikum. Bist du latent exhibitionistisch veranlagt, was dein Zuhause angeht? Warst du schon mal in irgendeinem Style-Magazin? Und ganz allgemein: Findest du dich selbst attraktiv?

 

Alon (15.21 Uhr): Als Manager bekannter Künstler verbringt man sein Dasein im Schatten. Man ist die Spinne im Netz und zieht die Fäden. Du kennst es aus Deinem Keller: Je grösser und hässlicher die Spinne, desto mehr Fliegen fängt sie. Aus diesem Grund, wirst du fast kein Foto von mir im Web und schon gar kein Selbstgestricktes auf Social Media finden. Stars, Sternchen und Selbstdarsteller sind die Ware, die ich anbiete und auch manche meiner Geschäftspartner. Dies reicht dann für ein ganzes Dorf und deren Kinder- und Kindeskinder. Was mein Zuhause anbelangt: Wer sagt denn, dass ihr den Kokon wieder verlassen könnt? 

Liebe Simone, ganz eigentlich wollte ich zumindest «Kuss» oder «Fleisch» gelesen haben, bevor ich mit diesem Interview beginne. Aber 16 Lesende zu betreuen, ist wie ein Sack Flöhe hüten. Dafür habe ich dann die Kurzzusammenfassungen auf der Seite deines Verlages gelesen. Du schreibst über Beziehungen die vor Abgründen stehen. Oder sich dahin bewegen. Mich persönlich interessieren eigentlich vor allem Abgründe, das Phantastische (innerhalb und ausserhalb der Kunst) oder dann ganz nüchterne Dinge wie Politik. Der Alltag ist mir zu banal. Wo tun sich denn die Abgründe in deinem Leben und in deiner Beziehung auf? Und wie gehst du mit Scherbenhaufen, verbrannter Erde und intimen Begehren um? 

 

Simone (15.38 Uhr): Bist du sicher, dass sich Kellerspinnen von Fliegen ernähren? Ich frage mich gerade, was die dort unten eigentlich fressen. Dafür schaue ich völlig fasziniert einer ziemlich kleinen Spinne vor dem Schlafzimmerfenster unserer neuen Wohnung dabei zu, wie sie Tag für Tag eine Wespe erlegt. Ein Tiergift gegen das andere. In meinem Leben, so wie es glücklicherweise schon seit längerem ist, tun sich keine Abgründe (mehr) auf. Ich bin an einem tiptoppen Ort. Aber von früher ist einiges liegen geblieben und ich lass mir damit Zeit. Ich finde Verdrängen ist eine völlig legitime Bewältigungstechnik. Irgendwann kommt die Zeit, da man sich mit einem alten Schmerz beschäftigt und ihn ad acta legen kann. In der Arbeit an meinem nächsten Buch ist sowas hochgekommen, ich hatte lange Angst davor, mich an das entsprechende Kapitel zu setzen, aber dann habe ich es einfach in einen Stoff, den meine Figuren erleben, verwandelt und es ging. Und tat gut. Ich glaube, ich habe das von meiner Grossmutter gelernt, sich das Leben neu zurecht zu erzählen. Sie war eine arme Frau aus dem Aargau, eine ausnehmend schöne Fabrikarbeiterin, die auch ein bisschen modeln durfte, aber nie aus dem brutal engen Dorf rauskam, wo sie aufgewaschen war. Doch sie konnte die winzigen Höhepunkte ihres  Lebens immer so erzählen, dass die Funken des Glamour stoben. Sie hat mich, ohne es zu wissen, einiges über die Kraft der Fiktion gelehrt und ist mir auch nach ihrem Tod noch eine Inspiration. Deshalb werde ich am Sonntag auch einen kleinen Text über sie lesen. Aber ich habe gehört, dass auch du etwas über deine Grossmutter erzählen wirst!

 

Alon (16.20 Uhr): Kellerspinnen ernähren sich von allerlei Ungeziefer und den menschlichen Resten die sie vorfinden. Hautreste, Zehennägel, etc. Das mit den Abgründen nehme ich dir im Übrigen nicht ab. Jeder steht vor welchen. Täglich. Und ohne dir selber auf der Spur zu sein, würdest du nicht so gut schreiben können… Und ja, Verdrängen ist eine völlig legitime Bewältigungstechnik. Nur: Alle tun es. Es ist die menschlichste und zugleich unmenschlichste aller Bewältigungstechniken. Und dann holt sie einen wieder ein… Mein Vater war sowas wie ein pathologischer Lügner. Seine Lügen waren so schlecht und so durchschaubar. Zumeist. Und bei den grösseren stand er dann gegen eine Wand. Eine Wand so gross wie der Eifelturm. Du sprichst über einen alten Schmerz, mit dem du dich in deinem neuen Buch beschäftigt hast. Mit was setzt du dich da auseinander? Magst du es uns verraten? 

Meine Grossmutter kam im Dezember 1944 via das KZ Bergen Belsen in die Schweiz. Ich erzähle ihre Geschichte, diejenige der Psychiaterin Irene Rüegg Marton und des Zürcher Kunstmalers Ernst Georg Rüegg. Wobei ich mich nicht wirklich an der Realität halte. Die Abgründe, die der Stoff bietet, nehme ich als Ausgangslage für eine abenteuerliche Erzählung. Diese wird im Übrigen von DJ ZsuZsu vertont. Wir treten zusammen auf. Was lustig, spannend und seltsam zugleich ist. Ich war ja lange Jahre ihr Manager. Nun stehen wir zusammen auf der Bühne...

 

Simone (16.30 Uhr): Nein, darüber rede ich nicht. Darüber schreibe ich. Es beginnt mit V wie Verbrechen, Verletzung, Ver… Und fertig. Was deine Grossmutter im KZ erlebt haben könnte, sprengt meine Vorstellungskraft, es gibt Dinge, an die reicht das normale menschliche Denkvermögen kaum heran, so schrecklich sind sie. Auf ihre – wie auch immer adaptierte – Geschichte bin ich gespannt. Ich muss dir leider gestehen, dass ich eingeschlafen bin, noch nie hat ein «Gesprächspartner», egal ob mündlich oder schriftlich, derart lange für eine Antwort gebraucht wie du eben! Achtung: Ich bin ein sehr, sehr ungeduldiger Mensch! Aber was mich wunder nimmt: Wie kommt eigentlich ein ehemaliger Musikmanager zum Schreiben? Bei mir war das ja einfach: Ich hatte keine Wahl, denn ich konnte nichts anderes. Deshalb wurde ich Journalistin, Schriftstellerin und glücklich.

 

Alon (16.55 Uhr): Meine Grossmutter hat nie darüber gesprochen, was ihr in Bergen Belsen zugestossen ist. Sie hat es niemandem erzählt. Meinem Vater nicht, meiner Schwester nicht und mir nicht. Offensichtlich gibt es Dinge, die zu schrecklich sind, als das man darüber sprechen kann. Schön und danke, dass du einen Weg gefunden hast, deine Worte trotzdem hörbar zu machen. Ich schreibe aber nicht über Bergen Belsen. Ich schreibe über das, was unmittelbar danach geschah. Nach dem KZ war meine Grossmutter so durch den Wind, dass man sie fünf Jahre in der Psychiatrischen Klinik Hohenegg in Meilen internierte. Derweil ihre beiden kleinen Kinder von helvetischen Beamten zu den nächsten Verwandten geschickt wurden: nach Australien. Sie haben tatsächlich einen Drei- und einen Fünfjährigen nach Melbourne verschifft. Dann geht es um die Abgründe, die sich um die Figur der Irene Marton Rüegg auftun, und den Kunstmaler Ernst Georg Rüegg, den sie mitten im Krieg ehelichte. Ich habe einige seiner Bilder geerbt… Mein Haus hängt voller Kunst. Nein, keine bekannten oder berühmten Maler, aber Werke, die klingen, nachklingen genauso wie Sätze bei denen ich nicht locker lasse, bis sie mir gefallen. Darum dauert es, liebe Simone. Hab Geduld. Ich weiss, Du machst jeweils einen Kult daraus, was die Bachelorette und der Bachelor von sich geben. Ich sterbe aber lieber als denen zuzuhören. Wie ich zum Schreiben komme? Das Leben… Schreiben wollte ich schon immer, nun langsam legt sich wohl das ADHS oder es manifestiert sich etwas in mir, das raus muss. Ich kann es dir nicht sagen…  Was hast du geträumt? Und was wünschst du dir für die Rahmenhandlung?

 

Simone (17.10 Uhr): Bei deiner Grossmuttergeschichte drehte sich mir ein paar Mal der Magen um. Es gibt in meiner Familie auch etliche Fälle von allzu grossen psychischen Belastungen, von Todesfällen, die hätten vermieden werden können, und von Behinderungen – aber sowas? 

 

Naja, die Bachelorette und der Bachelor sind Arbeit, nicht Privatvergnügen. Und im Rahmen meiner Arbeit finde ich es lustig, mich damit zu beschäftigen. Es ist faszinierend, dabei zuzuschauen, wie sich Menschen im Rahmen eines libidinös grundierten Paradieses zu etwas retardieren, was man schon fast als Primaten bezeichnen muss. Und ich frage mich: Steckt sowas heimlich in uns allen? Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal geträumt habe! Es muss vor dem Umzug in die neue Wohnung gewesen sein, also vor über einem Monat, seither schlafe ich nämlich deutlich besser. Vorher wohnten wir mitten in der Zürcher Partyzone, jetzt vis-à-vis von einem Park. Also, ich kann dir den allerersten Traum meines Lebens erzählen, ich war sehr klein und ich träumte, mein Zimmer verwandelte sich in einen Rosengarten und zwischen den Rosen steht ein Schrank und im Schrank steht ein WC. Es sah aus wie ein dadaistisches Gemälde. Und mein immer wiederkehrender Horrortraum geht so: Ich muss auf einen Zug oder Flug, aber vorher noch einen Koffer packen, der sich einfach nicht packen lässt. Deshalb ist Umziehen für mich auch so der grösste vorstellbare Stress. Aber ich glaube, sowas träumen viele, das ist so lehrbuchmässig. Und du?

Was ich mir für die Rahmenhandlung wünsche? Ein gutes Publikum, gute Getränke, einen glutenfreien Snack, weil mich Weizen allergisch zusammenbrechen lässt (solche Wünsche kennst du sicher von deinen Stars und Sternchen ...).

Ich muss mich an dieser Stelle leider ausklinken, aber wir sehen uns demnächst! Und erst noch bei dir zuhause! Bis dann und viel Glück mit dem Flöhehüten und Spinnespielen!


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