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Darüber müsste Orbán langsam nachdenken

Zoltán Kovács - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher-  Jahrgang 1952, Foto anbei, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.
Zoltán Kovács - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher- Jahrgang 1952, Foto anbei, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.

DMZ – POLITIK / INTERNATIONAL ¦

GASTKOMMENTAR von Zoltán Kovács

 

Das Regime Orbán gibt es im schlimmsten Fall noch bis der Regierungschef fähig ist, seinen Aufgaben nachzukommen, denn diese Regierungsstruktur ist nämlich - das ist sicher nicht neu - auf eine Person zugeschnitten und die heißt Viktor Orbán. Er hat sie selbst erfunden. Das Wichtigste ist dabei die Fähigkeit, die politische Macht zu ergreifen und sie um jeden Preis, ich betone um jeden Preis zu behalten. Wir haben es hier mit einem äußerst schädlichen Gebräu zu tun, das das öffentliche Leben nachhaltig beschädigt. Im günstigen Fall geht das früher den Bach runter – die Möglichkeit ist da, verlassen können wir uns darauf aber leider nicht.

 

Bei der Begabung zur Machtübernahme handelt es sich im Falle Orbán um eine ihm innewohnende Veranlagung. Er weiß es tatsächlich besser als viele andere, wie man einen Kreis von Sympathisanten organisiert, der dann als Wählerbasis dient und von ihm als eine ihn unterstützende Einheit benutzt wird. Das gilt selbst bei abnehmender Tendenz für seine Strategie. In solchen Fällen kann man sich nämlich die Neuformulierung des Wahlsystems zu Nutze machen, deren Grundlage es jetzt ist, aus gleichvielen oder sogar weniger Wählern kontinuierlich eine Zweidrittel Mehrheit im Parlament zu bekommen. Eigentlich eine Schande, die aber zum wichtigsten rechtlichen Fundament des Regimes geworden ist, so dass selbst Orbán keine Ahnung davon hat, was es bedeuten würde, wenn er die Wahlen und damit die absolute Mehrheit im Parlament verlieren würde. Daher ist es einfacher, diese Möglichkeit, mit welchen Mitteln auch immer, von vornherein auszuschließen. Selbst vom manipulierten Wahlverfahren bis hin zum Transport ukrainischer Ungarn mit doppelter Staatsbürgerschaft über die Grenze am Wahltag zwecks Wahlhilfe für Fidesz und weiteren Absurditäten schreckt Orbán nicht zurück.

 

Natürlich ist es ihm bewusst, dass dies Manipulationen sind, die die Legitimation der Wahlen in Frage stellen. Weil aber all das in einem Umfeld geschieht, in dem man sich von der Politik schon lange abgemeldet hat, sind echte Empörung oder Widerstand Fehlanzeige.

Der früher leidenschaftliche Kämpfer für Offenheit und Aufrichtigkeit sieht sich Ungarn an und lehnt sich zufrieden zurück und stellt fest, dass das Volk sich lethargisch seinem Schicksal fügt. Er findet Gefallen daran, dass breite Schichten der Bevölkerung denken: Hier kann man ohnehin nichts mehr ändern.

 

Müsste man die größte Sünde des Orbán-Regimes benennen, wäre das nicht einmal die Korruption oder die dubiose Verteilung von EU-Geldern unter den der Regierung nahestehen Oligarchen und Vasallen, es wäre vielmehr die seelische Kastrierung: Dass ein Großteil der Ungarn überhaupt keine Chance mehr sieht, sich weiter zu entwickeln. Sein wichtigstes Vorhaben war es, von Anfang an, ein neues Bürgertum zu schaffen. Stattdessen etablierte er die Lumpenbourgeoisie als eine antidemokratische Enklave. Diese bereichert sich meistens aus Steuergeldern und hat mit den Armen kein Mitleid. Das genau bescherte uns dieses Regime. Das ist aus dem ehemaligen Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit geworden: ein alternder, rücksichtsloser Macher. Einer, der trotz seiner Immunität als Ministerpräsident langsam darüber nachdenken müsste, was ihn am Ende seiner Karriere wohl erwartet. Wahrscheinlich ist ihm bewusst, dass er zu weit gegangen ist, so, dass er das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sieht. Für eine Kehrtwende ist schon zu spät.

Man kann nur hoffen, dass die Nachfolger statt Rache zu nehmen, den Zustand des Landes irgendwie in Ordnung bringen wollen, denn der ist jetzt äußerst schlecht.

 

Was die Innenpolitik betrifft, erscheint das Problem des ungarischen Gesundheitswesens schier unlösbar wie auch das marode Bildungswesen. Jetzt, während der Pandemie hat sich herausgestellt, dass die EDV-Grundversorgung in den meisten Schulen nicht nur ungenügend ist, es gibt sie einfach nicht. Ungarns Außenpolitik ist nicht einzuschätzen, die Beziehungen sind verworren, voll von nicht nachvollziehbaren Anbiederungen an antidemokratische Staaten. Orbán sucht nach Vorfahren der Ungarn dort, wo sie niemals waren, während unsere Beziehungen sich zusehends dort verschlechtern, wo wir schon immer sein wollten. Der bekannte ungarische Philosoph Gáspár M. Tamás sagt: „Die Höchststrafe für die gegenwärtigen Machthaber wird sein, wenn sie zusehen müssen, wie das ungarische Volk wieder frei wird. Sie werden dabei richtig durchdrehen“. Genauso ist es, dem ist nichts hinzuzufügen. 


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