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Unverhofft ein pralles Leben

Giorgio Avanti (Bild - Bucher Verlag Hohenems)
Giorgio Avanti (Bild - Bucher Verlag Hohenems)

DMZ – KULTUR ¦ Urs Heinz Aerni ¦

 

Der in der Zentralschweiz lebende Künstler und Schriftsteller, Giorgio Avanti, schickt in seinem neuen Buch „Damenwahl“ die Leserschaft in neue Geschichten rund um die Figur Jakob. Wir baten im Gespräch um Einblicke in seine Schreibarbeit.

 

Urs Heinz Aerni: Ihr neuster Erzählband knüpft inhaltlich an die früheren Werke «Jakobstage» (2008), «Jakobs Muscheln» (2009) und «Bourgeoiserien» (2017) an. Es ist Panoptikum, in dem der Protagonist Jakob wieder allerlei Lebenswanderungen zu bestehen hat. Was hat es mit dem Titel auf sich?

 

Giorgio Avanti: Einerseits gibt es die titelgebende Kurzgeschichte, in der der Begriff „Damenwahl“ im traditionellen Sinn vorkommt. Andererseits bleibt sich Jakob insofern treu, als er Wörter gerne mehrdeutig auslegt. So denkt er wohl auch an wählerische Damen oder an die Wahl seiner Herzdamen.

 

Aerni: Die ja, sein Leben sehr prägten...

 

Avanti: Denn diese bestimmen Jakobs Schicksal wie ein Leitmotiv. Als Mutter, Schwester, Freundin, Frau, Geliebte oder Idée fixe. – In seinem Vorwort zu «Damenwahl» schreibt mein langjähriger Freund und Autor Erich Singer, dazu Folgendes: «Bittere, süße und bittersüße Erfahrungen haben bei und in ihm tiefe Wurzeln geschlagen, deren sonderliche Sprossen, Früchte und Blüten diese witzigen Erzählungen gebaren»

 

Aerni: Seit über zehn Jahre steht die literarische Figur Jakobs im Mittelpunkt Ihrer Erzählungen. Er lässt Sie nicht los. Warum eigentlich?

 

Avanti: Die fiktive Figur hat eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Jakob war mein bester Freund. Er verstarb leider vor über zwanzig Jahren, viel zu jung. Gemeinsame abenteuerliche Vespa-Fahrten durch ganz Europa, lauschige Tessiner Nachtessen und Diskussionen bis in die frühen Morgenstunden und natürlich ziemlich viel Wein haben uns verbunden. Das Zusammensein mit Jakob war großartig, ist unvergesslich.

 

Aerni: Nun, auch eine Art Hommage an Ihren Freund?

 

Avantig: Wenn ich schreibe, sehe ich Jakob vor mir, halte Zwiesprache mit ihm. Die literarische Figur weist aber durchaus auch autobiografische Züge auf. Die Geschichten sind ein Sammelsurium eigener Erfahrungen, fremder Erinnerungen, aufgeschnappter Wörter und Bilder. Fantasie. Und immer auch eine Art Verbrüderung mit Jakob.

 

Aerni: Die Luzerner Zeitung schreibt zu diesem Buch: „Das Schönste an Avantis Geschichten: Es menschelt ungeheuer.» Ein Kompliment?

 

Avanti: Ja, das ist doch ein Kompliment! Meine Geschichten sollen ja nicht belehren oder moralisierend wirken. Ich bilde eine Wirklichkeit ab, die manchmal banal oder trist, manchmal blumig oder grotesk ist. Und hinter den Geschichten steckt einer, der die Unbill und die Höhenflüge des Lebens mit einem lächelnden Auge betrachtet. Das ist doch «Menscheln» im besten Sinne.

 

Aerni: «Damenwahl» ist eine Geschichten-Collage rund um Jakob, auch in jungen Jahren, navigierend zwischen der Lust am Leben, zwischen Liebe und Genuss. Lesen wir auch etwas Melancholie heraus, aus Vergangenem?

 

Avanti: Klar gibt es Melancholisches, man nehme nur die Erzählung «Wenn das Meerschwein zum Reiten kommt» oder «Verbrannte Briefe». Dann «Der Hundebiss», wo der Tod mitpokuliert. Das sind eher düstere Erinnerungen, die – mit etwas Fantasie und Humor verbrämt – ihre Spitze verlieren ...

 

Aerni: Ihre literarische Tonalität zeichnet sich durch einen für Sie typischen Rhythmus aus, einer Art frischem Erzähltempo. Fließen die Texte aus Ihnen oder müssen sie gemeißelt werden?

 

Avanti: Es fliesst, es schreibt mit mir. Die Geschichten wollen eruptiv, ungestüm hinaus, als seien sie längst am Warten. Sie entstehen in einer Art Schnellzugstempo. Quasi ohne mein bewusstes Zutun.

 

Aerni: Am Text könnte noch lange «herumgedoktert» werden, wie ist das bei Ihren Bildern? In welcher Disziplin kommen Sie speditiver zum Ende und warum?

 

Avanti: Das Gleiche gilt für meine Bilder, auch wenn ich diese, das gebe ich zu, hin und wieder übermale, oftmals später «verbessere». Auch Texte sind nie fertig. Man könnte sie unendlich überarbeiten und mit Formulierungen jonglieren, bis sie ein harmonisches Ganzes wären. Aber das ver-suche (betont die Trennung) ich nicht. Das Unfertige, Fragmentarische, Schräge sind mein Metier. Ab und zu darf das Ganze lyrisch angehaucht sein, ich schreibe ja auch gerne Gedichte, und je nach Stimmung spiele ich auch gerne mit opulenten Schilderungen.

 

Aerni: Jakobs Geschichten sind immer wieder ortsverbunden, Paris, Mailand, Wien oder Como, Genf und Luzern. Wie prägen die Kulissen Ihre Erzählfreude?

 

Avanti: Eigentlich sind es keine Kulissen, sondern unmittelbare Erinnerungsbilder, die sich beim Schreiben unverhofft mit prallem Leben füllen.

 

Infos:

Giorgio Avanti alias Peter Georg Studer, geboren 1946 in Luzern, ist Maler, Jurist, Autor und Poet. Er lebt, arbeitet, malt und schreibt in Walchwil am Zugersee. Bisherige Buchpublikationen: «Die Stiftung gegen voreiligen Rechtsschutz oder Seitenmoränen eines Zivilprozesses», «Ein Portier packt aus, Advent(ures)», «Jakobstage», «Jakobsmuscheln», die Erzählungen «Bourgeoiserien» sowie die Gedichtbände «Milano Centrale» und «Jenesland». Sein malerisches Schaffen umfasst mehr als zweitausend Werke.

Das Buch: Giorgio Avanti: «Damenwahl», Bucher Verlag, 2020, 978-3-99018-531-5, 112 Seiten


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