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Schweden - Bereits 5’893 Tote zu beklagen - Auf dem Holzweg Richtung Abgrund

DMZ – INTERNATIONAL / WISSENSCHAFT ¦ Redaktion ¦

 

Schweden geht in der Coronakrise einen Sonderweg. Dessen Ziel es offenbar ist, Herdenimmunität zu erreichen. Schwedische Forscher sahen das Land schon auf einem guten Weg dahin. Nun kommt auch der Chefepidemiologe Anders Tegnell endlich zur Vernunft und richtet einen warnenden Appell an seine Landsleute.

 

Lässig, entspannt, auf Eigenverantwortung setzend - der Umgang der Schweden mit der Corona-Pandemie unterschied sich teilweise stark von dem anderer Länder. Dass man vor allem in der heutigen Zeit nicht mehr auf Eigenverantwortung setzen kann, sieht man in fast allen Ländern. Die Eigenverantwortungsstrategie ist gescheitert. Maskenpflicht beim Einkaufen, in Lokalen oder gar in Schulen? Bei den Nordeuropäern durchgehend Fehlanzeige. Dieses unverantwortlcihe Verhalten hat sich mehrfach gerächt.

 

Immer mehr Schweden infiziert

Seit Anfang September verzeichnen Schwedens Gesundheitsbehörden wieder mehr Neuinfektionen. Vor allem in und um Stockholm zeigt die Kurve deutlich nach oben. Anfang September lag die Inzidenzzahl, also die über sieben Tage hinweg gemessene Durchschnittszahl an Neuerkrankungen, in der Hauptstadt bei 29. Am 21. September hingegen schon bei 81.

Vor allem seien die Neuinfektionen im jüngeren Teil der Bevölkerung festgestellt worden, erklärt Jonas Björk, Epidemiologie-Professor an der Lund-Universität gegenüber "The Local".

Es werde zunehmend schwerer, die Risikogruppen zu schützen, wenn die Infektionszahlen weiter steigen, führt Björk aus.

 

 

Tegnell warnt: Entwicklung geht in die falsche Richtung

Bereits vor einer Woche hatte Anders Tegnell, Schwedens oberste Instanz in Sachen Corona-Massnahmen, gewarnt: "Es sieht leider so aus, als würden wir auf eine neue Rekordwoche zusteuern. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die in letzter Zeit einen dramatischen Anstieg verzeichnet haben." Das beunruhigende Fazit des schwedischen Chefepidemiologen: "Wir haben in den letzten Wochen einen leichten Aufschwung erlebt. Nicht annähernd so dramatisch wie in anderen Ländern Europas, doch es geht langsam, aber sicher in die falsche Richtung."

 

Lokale Lockdowns möglich - mit zeitlicher Begrenzung

Gegenüber der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter" kündigte Tegnell angesichts der steigenden Zahlen einen Strategiewechsel an. Während er zuvor einen Lockdown, Schulschliessungen und eine zahlenmässige Begrenzung privater Zusammenkünfte kategorisch ausgeschlossen hatte, seien solche Massnahmen nun denkbar, allerdings lokal begrenzt auf "ein einzelnes Büro oder einen Stadtteil und für maximal zwei bis drei Wochen", so Tegnell.

Bislang habe er sich gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit - etwa durch vorgeschriebene Quarantäneregelungen - gewehrt, auch weil diese auf starken Protest bei sozial schwachen Bevölkerungsgruppen treffe, die von solchen Regelungen besonders stark betroffen seien. "Aber ich denke, es wird einfacher zu vermitteln sein, wenn wir klarmachen, dass diese Massnahmen nur für eine kurze Zeit gelten werden."

 

 

Schwedens Premier Löfven rät: Homeoffice, Hände waschen, nicht umarmen

Auch Schwedens Premierminister Stefan Löfven hatte Ende vergangener Woche seine Landsleute öffentlich aufgefordert, die Empfehlungen im Kampf gegen das Virus wieder besser zu befolgen. "Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Die Dinge, die wir jetzt richtig machen, werden uns später helfen. Und für das, was wir in dieser Phase falsch machen, werden wir später leiden müssen", mahnte Löfven.

Er forderte Arbeitgeber und Unternehmen auf, ihren Mitarbeitern das Arbeiten von zu Hause zu ermöglichen, wenn dies die Tätigkeit erlaube. Ausserdem appellierte er an die Bevölkerung, private Feiern zu vermeiden, kontinuierlich Hände zu waschen und Freunde nicht zu umarmen.

Tegnell hatte die Zunahme an Infektionen auf das Ende der Sommerferien zurückgeführt und die gestiegene Zahl an Berufspendlern als mögliche Ursache ausgemacht: "Dies ist einer der grossen Unterschiede zu früher."

Konkrete verschärfte Massnahmen sind dennoch zunächst nicht angedacht. Ab 1. Oktober sollen sogar wieder Besuche von Altenheimen möglich werden. Die Regierung mahnt lediglich zur Vorsicht. Gruppenbesuche sollten unterlassen werden, und wer zuletzt viel unterwegs war oder viele soziale Kontakte hatte, solle doch bitte auf eine Stippvisite im Altenheim verzichten. Ein gesetzliches Verbot gibt es allerdings nicht. Vernunft auf Raten. Es bleibt zu hoffen, dass es dadurch nicht weiterhin Tote zu beklagen gibt.

 

Schweden geht in der Coronakrise einen Sonderweg schrieben wir am 20. August

Dessen Ziel es offenbar ist, Herdenimmunität zu erreichen. Schwedische Forscher sahen das Land schon auf einem guten Weg dahin. Doch unabhängig voneinander wurden nun zwei Studien wegen schwerwiegender Fehler zurückgezogen.

Immer wenn es ja darum ging, schnell Lockerungen durchzusetzen oder Sperren erst gar nicht zu verhängen, wurde Schweden mit dem sehr lockerem Umgang mit Corona als Paradebeispiel genannt. Wie gut doch alles trotz des "Weiterlaufens" des öffentlichen Lebens gehen würde, man brauche gar keine Einschränkungen. Ein ganz schlechtes Beispiel, welches man schnellstens vergessen sollte. Schweden hat rund 10.3 Millionen Einwohner und hat derzeit 18'177 Infektionen bei 2192 Toten. Eine viel höhere Todesrate als die Nachbarländer. Genesen sind 550. Dies schrieben wir bereits am 25. April.

 

Noch zuvor, am 7. April 2020, berichteten wir bereits "Kritik an Schwedens Corona-Strategie - Regierung räumt Fehler ein" (https://www.mittellaendische.ch/2020/04/07/kritik-an-schwedens-corona-strategie-regierung-r%C3%A4umt-fehler-ein/#gsc.tab=0)

 

Weitere Berichte folgten in regelmässigen Abständen, besser wurde es in Schweden nie:

 

Nun die bisher schlimmste Meldung aus Schweden

Schweden hat in der ersten Hälfte des Jahres so viele Todesfälle verzeichnet wie seit 150 Jahren nicht mehr. Bis Ende Juni starben rund 4.500 Menschen an Covid-19. Insgesamt gab es 51.405 Todesfälle, wie die Statistikbehörde mitteilte. Das ist mehr als in jedem Jahr seit 1869. Damals starben unter anderem wegen einer Hungersnot 55.431 Menschen. Schweden hatte im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie deutlich weniger Kontaktbeschränkungen erlassen als viele andere europäische Staaten.

Bis 13. August 2020 wurde in Schweden Covid-19 bei 83.852 Patienten festgestellt, 2.538 Patienten wurden auf einer Intensivstation betreut und 5.776 Infizierte verstarben.

 

Wie sieht es in Schweden tatsächlich aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner aus? Wir machen uns auf die Suche. Fündig werden wir u.a. mit der FB-Gruppe Schwedenforum

Über all diese Fakten wird auch gerne im "Schwedenforum" diskutiert. Eine FB-Gruppe (2600 Mitglieder) nennt sich Schwedenforum - Schweden findet man darin allerdings kaum, dafür sehr viele emotionale und empathielose Kommentare. Es scheint ein Teil einer Aluhutfraktion hier ihr Unwesen zu treiben und verbreitet mit Vorliebe Fake-News und sagt sogar, dass Schweden kein Problem habe. Mit ein paar tausend Toten sei dies kein Problem. Diese Gruppe kann also nicht empfohlen werden, wenn man sich sachlich und faktenbasiert informieren will. Leider findet man ausser Anfeindungen und skurrilen Verschwörungstheorien kaum inhaltlich wertvolle Informationen. Weder über Schweden, noch den aktuellen Stand in Schweden. Im Gegenteil. Vieles wird rigoros verleugnet.

 

Viel besser eignet sich dazu die Seite www.visitsweden.de. Hier findet man alle Informationen zur Ein- und Ausreise und jeweils aktuelle auch die Covid-19 Situation und Regeln. 

Reisen von einem anderen EU-Land (wie Deutschland und Österreich), einem Teil des EWR, Großbritanniens und aus der Schweiz nach Schweden sind möglich. Ein Transit über Dänemark ist für Urlauber möglich, die nach Schweden wollen. Für genaue Bestimmungen lies die Seite der dänischen Polizei. Bis zum 31. August 2020 besteht allerdings ein vorübergehendes Einreiseverbot in die EU über Schweden für nicht notwendige Reisen. Weitere Informationen findet man auf der FAQ-Seite der schwedischen Regierung.

Schweden hat keine Quarantänepflicht für Reisende. 

 

Das Leben in Schweden

  • Im Allgemeinen haben viele Unternehmen in Schweden geöffnet, es gilt jedoch das Prinzip der physischen Distanzierung, und alle Unternehmen müssen Vorkehrungen treffen, um das Risiko der Verbreitung von Covid-19 zu verringern
  • Restaurants, Bars und Cafés dürfen geöffnet haben, wenn die neuen Bestimmungen eingehalten werden (Bedienung am Platz, angepasste Sitzplätze, Take-away usw.).
  • Die meisten Geschäfte sind geöffnet, haben jedoch möglicherweise eingeschränkte Öffnungszeiten.
  • Viele Museen sind geöffnet
  • Einige Kinos und Theater haben geöffnet 
  • Öffentliche Verkehrsmittel sind in Betrieb, können jedoch eingeschränkt verkehren. Bitte überprüfe das regional unterschiedliche Angebot und befolge die Richtlinien für Inlandsreisen und öffentliche Verkehrsmittel.
  • Das Tragen von Gesichtsmasken in Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht vorgeschrieben.
  • Nationalparks sind geöffnet. Weitere Informationen findest du auf der Website der schwedischen Nationalparks.
  • Weitere Informationen darüber, was physische Distanzierung bedeutet und welche Massnahmen zu ergreifen sind, findest du auf der Covid-19-Seite des schwedischen Gesundheitsamtes.

Schwedische Forscher kritisieren: "Keine Strategie, kein Trend"

Knapp 2.000 Wissenschaftler haben die schwedische Regierung zuletzt in einem Brief zum Umdenken aufgefordert. Unter ihnen ist Bo Lundbäck, Professor für klinische Epidemiologie von Lungenerkrankungen in Göteborg. Er hält die hohen Todeszahlen für inakzeptabel und den Preis, den Schweden im Corona-Kampf bezahlt, für zu hoch.

Weil es immer noch Hunderte neuer Ansteckungen täglich gebe, forderte Lundbäck die Schliessung aller Schulen und einen besseren Schutz des Personals in den Altersheimen. „Wir in Schweden glauben, wir sind besser als die anderen und müssen nicht auf die WHO hören. Das ist dumm“, sagte Lundbäck.

 

Krasse Fehler

Staatsepidemiologe Anders Tegnell – der als Architekt von Schwedens Sonderweg in der Corona-Pandemie gilt – gestand sogleich Fehler ein. Ihm zufolge habe man schlicht "eine falsche Variable verwendet". Diese habe "eine andere Variable erhöht, um den vorgegebenen Richtwert von zweieinhalb Prozent Durchseuchung zu treffen", erklärte Tegnell laut "Tagesschau".

 

Es blieb nicht bei diesem einen Fauxpas. Ein weiterer Irrtum passierte ausgerechnet einer von Europas grössten und angesehensten medizinischen Universitäten: dem Karolinska-Institut.

Forscher des Instituts und der Karolinska-Universitätsklinik zogen am Donnerstag eine auch international viel beachtete Studie zurück. Die Autoren hatten darin behauptet, dass sich schon mindestens 11 Prozent und – unter Einbeziehung eines Korrekturfaktors – eventuell sogar bis zu 30 Prozent aller Schweden mit dem Coronavirus angesteckt hätten und damit immun sein könnten.

Am Donnerstag begründete der klinische Mikrobiologe Jan Albert, einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler, den Rückzug beim schwedischen TV-Sender SVT damit, dass er "nicht überzeugt" von den Ergebnissen sei. Wie die "Tagesschau" berichtet, sei eine Verwechslung von Proben nicht auszuschliessen.

 

Die schwedische Regierung gibt der Bevölkerung nur Hinweise, wie sie sich verhalten soll, um eine Verbreitung des Virus zu bremsen. Die Aufforderungen sind aber dieselben wie in anderen Ländern: Bleibt zu Hause, haltet Abstand und wascht die Hände.

 

Corona: Sterberate in Schweden viel höher als in Deutschland

Die Philosophie der Freiwilligkeit steht zunehmend unter Druck. Denn die Zahlen widersprechen dem Eindruck vom schwedischen Erfolgsmodell. Am Freitagmittag wies die Johns-Hopkins-Universität für Schweden 2192 Todesopfer auf – bei einer Gesamtbevölkerung von 10,3 Millionen.

Zum Vergleich: Für Deutschland wurden 5.575 Todesopfer gemeldet – bei achtmal so vielen Einwohnern wie in Schweden.

Schwedens Sonderweg in der Bekämpfung des Coronavirus fordert einen hohen Preis. In keinem anderen skandinavischen Land gibt es sowohl absolut als auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Corona-Tote.

 

 

 

Quellen:


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