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Vergangenheit vergessen?

DMZ - HISTORISCHES ¦ Urs Berger ¦

KOMMENTAR

 

In diesem Jahr haben wir am 1.9. 2019 den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen von 1939 gedacht. Gelernt haben wir aus der dunkelsten Zeit im 20. Jahrhunderts offensichtlich nicht viel.

Offenbar reichen über sechs Millionen tote Juden nicht aus uns zu einem Umdenken zu bewegen. Erschossen, vergast, aufgehängt, verhungert zu Tode gearbeitet, gefoltert, auf dem Weg zur Arbeit vor Erschöpfung umgekippt. Dies alles scheint uns nicht mehr gross zu interessieren. Es geschah ja nicht in unserer Generation. Es waren die anderen. Wir haben nichts damit zu tun.

 

Doch, wir haben etwas damit zu tun. Die Vergangenheit haben wir nicht aufgearbeitet. Wieso kann die AFD in Deutschland gegen Muslime hetzten? Wieso gelingt es der SVP mit ihren Kampagnen gegen Menschen auf der Flucht zu hetzten? Oder gegen Sozialschmarotzer, welche sowieso zu faul sind zu arbeiten und sich nur vom Staat ernähren lassen? Woher kommt diese Wut auf andere Glaubensrichtungen? Oder an den Rand gedrängte Menschen welche dem mörderischen Tempo der neoliberalen Wirtschaft nicht mithalten können?

 

Weil wir nicht aus der Vergangenheit gelernt haben. Das Dritte Reich hatte seinen Ursprung in der Unzufriedenheit der Bevölkerung. Viele suchten nach dem verlorenen ersten Weltkrieg nach Anerkennung in ihrem Vaterland, kamen traumatisiert zurück. Fanden nicht mehr zurück in diese oder waren, wie der spätere Reichsmarschall Hermann Göring, wegen dem «Verrat» des Deutschen Reiches wütend auf die Regierung.

 

So begann nach 1918 in Bayern mit der Räteregierung die «völkische» Orientierung überhand zu nehmen. Verschiedene Bewegungen fanden sich. Die kommunistische Partei lieferte sich Schlägereien mit dem Völkischen Bund. Tote und Verletzte waren an der Tagesordnung. Die Zeitungen fanden fast jeden Tag eine solche Auseinandersetzung und berichteten darüber.

Als der ehemalige Korporal Adolf Hitler in München in einem Bierkeller die Revolution in Deutschland ausrief, wurde dieser vorerst in Keime erstickt. Hermann Göring floh nach Österreich, Adolf Hitler und Heinrich Himmler erhielten Festungshaft. Und Joseph Goebbels, der spätere Reichpropagandaminister floh wieder nach Hause zu seinen Eltern. Er verkroch sich dort.

Die Deutsche Regierung in Berlin unternahm nichts dagegen. Die Vorfälle beträfen nur Bayern. Der Freistaat mit seinem komischen Dialekt sei eh weit weg. Diese Einschätzung, so lernt uns die Geschichte, war fatal. 

Genau so ohnmächtig schaut die Regierung in Berlin heute zu. Die deutsche Polizei, so berichten Medien immer wieder, sei zu 30% von Neo Nazis durchsetzt. Verfolgungen von Rassendiskriminierungen würden verschleppt, bis diese nicht mehr verfolgt werden könnten. Der Aufstieg der AFD ist nicht zufällig. Es regiert wieder die Haltung: «Wir gegen Sie». Hass verbreitet sich über das Land.

 

Deutschland ist indes nicht allein. Frankreich, Italien, USA, Chile, Spanien und Russland sind von dieser Seuche erfasst. Die kleine Schweiz? Sie mischt in diesem Konzert dank der SVP und der FDP mit. Ich könnte schreiben, dank den bürgerlichen Parteien. Dies würde aber den gemässigten Kräften in der Schweiz nicht gerecht werden.

 

Angeführt und orchestriert wird die SVP vom Doyen Christoph Blocher. Dieser krempelte ab 1994 die Partei um. Aus einer für die Bürger agierende Volkspartei wurde nach und nach eine rechtspopulistische Partei. Diese ist heute gefährlicher als die AFD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich. Blocher baute gezielt seine Hetzer auf. Begonnen bei Christoph Mörgeli, Roger Köppel, Toni Brunner und weiteren. Nach und nach sprangen andere gemässigtere Politiker auf den Zug.

Langsam rutschte die Partei weg vom Bauernstand, von den KMU`s und den Bürgern. Hin zum Populismus. Zu übertriebenen Forderungen.

 

Die Partei des Bürgertums hamstert unter dessen Milliarden, ihre Politiker sind in mehr Verwaltungsräten vertreten als die SP, CVP, die GLP oder die Grünen. Nur die FDP hat einige Politiker mit Einsitz in Verwaltungsräten. Aussen vor bleiben die KMU`s, die Bürger, der kleine Mann.

 

Rund 23% Prozent der Bevölkerung haben an der letzten Wahl die SVP gewählt. Lassen sie sich von der Volkspartie manipulieren, instrumentalisieren, verunsichern und sind diese oft voller Hass auf andersdenkende, andersgläubige sozial ausgestossenen oder bereits am Abgrund befindende (Mit) Bürger? Oder fehlt ihnen einfach jegliche menschliche Empathie? Überlegen sie, was ihre Haltung in einem (Mit) Bürger auslöst? Wenn sie dies Wissen würden, wäre ihr Entscheid ein anderer? Hinterfragen sie ihre eigenen Meinungen? Oder haben Sie sich von den Präsidenten und deren Doyen einvernehmen lassen? Es scheint, dass die Mitglieder glauben was die Parteileitung ihnen präsentiert.

 

Wie sonst könnten im Kanton Aargau zum Beispiel eine Regierung einen Gesetztes Artikel verabschieden, der Sozialhilfe Empfänger in ein Armenhaus abschieben könnte? Der gleiche Kanton Notabene, welcher eine Kürzung der Sozialhilfe um 70% diskutiert? Der Kanton, der von einem Sozialhilfeempfänger verlangt, sein Auto zu exmatrikulieren und auf dieses zu verzichten egal ob er auf dieses angewiesen ist oder nicht. Und dann auch noch das Auto am Sozialhilfebetrag abzieht, weil er dies «verkaufen und zu Geld machen könnte»? Allein dies ist eine Missachtung der Bundesverfassung des Artikels 12 und 36. Beide Artikel gewähren einem Bürger in der Schweiz das er den sozialen Kontakt wahrnehmen kann, dass er in Würde Leben kann und dass er sich in der Schweiz frei bewegen kann.

 

Der Kanton Aargau ist auch der Kanton, welcher anstelle der in den SKOS Richtlinien vorgegebenen 5% des Grundbedarfes für den ÖV nur deren 4% gewährt. Für einen Bürger, welcher arbeitet mag dies nicht viel sein. Doch für einen Sozialhilfebezüger ist dies eine weitere Kürzung.

Die SVP hackt aber nicht nur auf den Sozialhilfebezüger herum. Auch auf Menschen auf der Flucht. Diese Menschen, welche in ihrem Heimatland vor Krieg, Folterung, Vergewaltigung, Mord oder Verfolgung geflohen sind. Menschen, wie Du und ich. Sind sie den weniger Wert, nur weil sie eine andere Sprache sprechen, einen anderen Glauben haben oder eine andere Hautfarbe? Wohl kaum.

Der SVP fehlt die Empathie im Umgang mit Menschen auf der Flucht. Lieber faselt die Partei in ihrem Stammblatt, der Schweizerzeit, von «Milliarden Ausgaben für Sozialschmarotzer» oder für «Sozialflüchtlinge». Damit weis die Partei genau wie sie ihre Klientel beeinflussen kann. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht, Asyl oder auch Krieg findet gar nicht statt.

 

In weit wichtigeren Themen, wie dem Elternurlaub, Kriegsmaterialen Export, dem Kampf gegen die weit fortgeschrittene Klimaerwärmung oder dem kontinuierlichen Abbau der Staatlichen Leistungen bietet die Partei keine Lösungen an. Im Gegenteil. Den Elternurlaub will sie streichen, den Export von Kriegsmaterial befürwortet sie, die Klimaerwärmung finde nur in linken Köpfen statt und den Abbau staatlicher Leistungen befürwortet sie.

Dieses Verhalten ist nicht neu für populistische Parteien. Es wurde und wird immer wieder angewandt. Den Mittelstand und die ärmere Bevölkerung werden systematisch ausgepresst um deren Hass auf die anderen, auf das Andere zu lenken. Sie sind schuld, dass es uns schlecht geht.

Es sind immer die anderen die Schuldigen. Die Linke, der Mensch auf der Flucht, der Staat, der Sozialhilfebezüger oder der Arbeitslose. Nur nicht die eigene politische Richtung. Schliesslich ist dies die einzige Wahrheit.

 

Dazu gehört auch die gezielte falsch Information mit angeblicher Ungerechtigkeit. War es in Deutschland der 30er Jahre der Jude der als Schmarotzer, als Ratte, bildlich dargestellt, so wurde in diesem Wahlkampf die Linken und netten mit einem Wurminserat verunglimpft. Dass sich die Volkspartei hier das Niveau der NSDAP erreicht, erstaunt nicht.

Bereits bei der Masseneinwanderungsinitiative hat die SVP mit einem Messerschlitzer Plakat gezielt Werbung gegen Menschen aus anderen Ländern gemacht. Was der Partie eine Verurteilung durch das Gericht einbrachte.

 

In der Politik bewegen wir uns wieder in den späten 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Nicht nur rhetorisch. Sondern auch politisch. Für die Lösung wichtiger Probleme wurde vier Jahre lang kein Fortschritt erzielt. Dies kommt der SVP nur zu Gute. Doch diese Zeiten scheinen nun mit dem Linksrutsch etwas abgefedert zu werden. Noch sind wir nicht aus diesem Sumpf ausgebrochen und können aufatmen.

 

Vielleicht ist dieser kleine Lichtblick ein Aufbruch in die Moderne. Weg von Populismus, weg von Hetzte und Hass. Abschliessend beurteilen kann ich dies erst in vier Jahren. Erst dann wird sich zeigen, ob der Rückgang der SVP nur ein Strohfeuer war oder ob die Schweiz etwas aus der Geschichte gelernt hat. Dazu reichen aber die über sechs Millionen sinnlos geopferten Leben von Juden und anderen ausgegrenzten nicht.

 

Es gilt den Teufelskreis Populismus zu verdammen. Es braucht jeden einzelnen, diesen Populismus die Rote Karte zu zeigen. Nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei Abstimmungen. Erst wenn dieser wirkungsvoll bekämpft und die Wähler nicht mit Mogeleien oder mit aufgebauschten falschen Zahlen geködert werden, erst dann könnten wir vielleicht wieder aufatmen.

 

Bis dahin gilt: Aufklären, korrigieren und informieren. Sachlich, fair und ohne Kompromisse. 


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