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COVID-19-Therapie: Weißt du wirklich alles?

DMZ – GESUNDHEIT / WISSEN / WISSENSCHAFT ¦ 

www.doccheck.com - Artikel

 

Ein eigens gegen COVID-19 entwickeltes Medikament gibt es nicht – noch nicht. Doch einige Ansätze sind derzeit in Arbeit. Was ist von ihnen zu halten und was passiert eigentlich, wenn SARS-CoV-2 mutiert?

 

Wenn ihr diesen Artikel lest, ist er bereits nicht mehr aktuell. Denn wenn es um COVID-19 geht, ist nichts so beständig wie der Wandel. Jeden Tag werden neue Daten über Infektionszahlen, aber auch über Impfstoffe und Virustatika, die die Pharmaindustrie derzeit in der Pipeline hat, veröffentlicht.       

 

Und weiterhin werden natürlich jeden Tag auch neue Berichte über COVID-19 selbst veröffentlicht; in den Printmedien, im Radio und im Fernsehen. Einer davon hat mich nachhaltig beeindruckt. 

 

Krankenschwester auf der Walz

 

Die reisende Krankenschwester Alyssa Johnson kommt aus Florida und arbeitet als Intensivschwester in den ganzen USA. „Es ist nicht so, wie es in den Medien rüberkommt. Es ist viel schlimmer“, sagt sie in einem Video. Sie berichtet, dass Corona in jedem Bundesstaat der USA andere Symptome auslöst. Mal ist es hohes Fieber, mal Gerinnungsstörungen, mal extreme Atemprobleme mit Langzeitschäden.

 

Warum ist dieser Einzelbericht so besorgniserregend? Er und viele weitere Beobachtungen sprechen dafür, dass das Virus einen Shift durchgemacht hat und noch durchmacht, sich verändert. Um das zumindest etwas im Blick zu behalten, veröffentlichen Forscher schon seit Beginn der Pandemie täglich hunderte von Genomsequenzen auf der Plattform GISAID

 

In einer Variante des Wuhan-Referenzstamms wurde eine veränderte Aminosäure des Spike-Proteins festgestellt. Diese Variante hat sich innerhalb weniger Wochen von Europa aus weltweit ausgebreitet. Ob sich derartige Veränderungen auf die Infektiosität oder auf die Wirkung von Impfstoffen auswirken können, ist nicht eindeutig belegt.

 

Die meisten Mutationen bleiben Einzelfälle, weil sie die Infektiosität des Virus nicht beeinflussen. Bei der Variante G614, die durch eine Punktmutation aus D614 entstanden ist, war dies anders. Die Variante wurde erstmals Ende Januar in China und in Deutschland entdeckt. Sie war in einem Haplotyp mit zwei weiteren Mutationen verbunden. Der jetzige Haplotyp, zu dem eine weitere Mutation hinzukam, wurde erstmals am 20. Februar in einem Isolat aus Italien identifiziert.

Die aktuelle Variante von SARS-CoV-2 hat sich rasch ausgebreitet und das ursprüngliche Muttervirus in den meisten betroffenen Regionen ersetzt. Das durch die Mutation veränderte Spike-Protein bindet effizienter an den ACE2-Rezeptor. Dies erleichtert dem Virus vermutlich das Eindringen in die Wirtszelle. Die Infektiosität ist erhöht und außerdem die Viruslast beim Patienten, so eine Studie von Korber et al.

Viele Kandidaten in den Startlöchern
Nach einem Bericht des internationalen Dachverbands der Pharmaindustrie (IFPMA) werden derzeit weltweit mehr als 140 Wirkstoffe auf ihren Effekt gegenüber SARS-CoV-2 untersucht. 77 davon sind Medikamente, die für andere Krankheiten entwickelt wurden, 68 neue Entwicklungen. An Impfstoffen stehen etwa ein Dutzend in der Warteschlange.

Es existieren fünf Therapiestrategien:

 

  • Virustatika, die ursprünglich gegen HIVEbolaHepatitis CInfluenzaSARS und andere Infektionen entwickelt wurden. Sie sollen die Viruslast mindern oder das Eindringen in die Lunge verhindern.
  • Immunmodulatoren, die beispielsweise gegen Rheuma oder entzündliche Darmerkrankungen entwickelt wurden. Sie sollen bei schwerer Lungenbeteiligung die Abwehrreaktionen des Körpers begrenzen.
  • Medikamente gegen Lungenkrankheiten, wie idiopathische Lungenfibrose. Sie sollen verhindern, dass die Lunge des Patienten das Blut nicht mehr mit genug Sauerstoff versorgen oder sich nicht richtig reparieren kann.
  • Antikoagulantien, die beispielsweise gegen Blutgerinnsel oder Herzkrankheiten entwickelt wurden.
  • Impfstoffe, die bei einem Kontakt mit dem Virus die spezifische Immunabwehr aktivieren.

Tocilizumab verkürzt Beatmungsphase

Bei der Beurteilung von Pharmaka spielen das Studiendesign und -ziel eine herausragende Rolle. Es geht darum, ob der Patient länger überlebt, weniger Begleitmedikation benötigt, eine bessere Lebensqualität hat oder, im Fall von COVID-19, kürzer beatmet werden muss. 

In einer Phase-III-Studie hat der Interleukin-6-Hemmer Tocilizumab bei COVID-19-Patienten das Risiko gesenkt, eine künstliche Beatmung zu benötigen. Die Mortalitätsrate konnte der monoklonale Antikörper aber nicht senken. Das Risiko der Kranken, eine mechanische Beatmung zu brauchen, war um 44 Prozent geringer als in der Placebogruppe (12,2 versus 19,3 Prozent). Damit wurde der primäre Studienendpunkt erreicht. 

Zugelassen ist der Antikörper zur Therapie von Patienten mit schwerer rheumatoider Arthritis. Er hemmt die entzündungsfördernde Wirkung von Interleukin-6 (IL-6). Der therapeutische Ansatz bei COVID ist, die Zytokinkaskade zu bremsen.

Außerdem führt der Hersteller noch die REMDACTA-Studie durch, bei der Tocilizumab auch in Kombination mit Remdesivir untersucht wird. Zwei Aspekte schmälern die Studiendaten: Die Daten sind zu 100 Prozent herstellerfinanziert. Die Studienzentren lagen in den USA, Südafrika, Kenia, Brasilien, Mexiko und Peru. Etwa 85 Prozent der Probanden gehörten, bezogen auf Europa, zu ethnischen Minderheiten. 

 

Typ-I-Interferone: Grund für schweren Krankheitsverlauf?
Die Typ-I-Interferone könnten der Grund dafür sein, dass manche Menschen bei einer SARS-CoV-2-Infektion einen schwereren Krankheitsverlauf erleiden als andere, so zwei Studien (hier und hier) von Bastard et al. 

Sollte sich die zentrale Rolle der Typ-I-Interferone auf die Immunantwort auf SARS-CoV-2 bestätigen, könnte dies auch therapeutisch genutzt werden. Die Interferone sollten dann wahrscheinlich möglichst früh im Krankheitsverlauf gegeben werden.

 

Pharmakon statt Film

Fujifilm hat eine eigene Pharmasparte und damit ein Medikament entwickelt, das Favipiravir enthält. Dieser antivirale Wirkstoff stammt aus der Gruppe der RNA-Polymerase-Inhibitoren. Favipiravir inhibiert als Guanin-Analogon die RNA-Polymerase, die Grippeviren für ihre Vermehrung benötigen. Es wird vermutet, dass der Arzneistoff auch die RNA-Polymerase von Coronaviren hemmen kann, die wie Influenzaviren zu den RNA-Viren gehören.

An einer entsprechende Phase-III-Studie nahmen 156 Probanden mit einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion teil, die eine nicht schwerwiegende Lungenentzündung entwickelt hatten. Die randomisierte, einfach verblindete, placebokontrollierte Studie ergab: Die Probanden benötigten unter Favipiravir 11,9 Tage, bis sie den primären Endpunkt erreichten. In der Placebogruppe waren es dagegen 14,7 Tage. 

Primärer Endpunkt war die Verkürzung der Zeit, bis die Patienten wieder virusnegativ im PCR-Test waren sowie eine deutliche Symptomerleichterung in Bezug auf Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung und Bildgebung der Lunge. 

 

Erstes Virustatikum erhielt Zulassung

Der Firma Gilead, unter anderem aktiv im Bereich Virustatika gegen Hepatitis, wurde die EU-Zulassung für das erstes Medikament gegen SARS-COV2 und Sauerstoffpflichtigkeit erteilt. Remdesivir wurde im Rahmen eines beschleunigten Zulassungsverfahrens zugelassen.

Basierend auf den Ergebnissen der SIMPLE- und ACTT-1-Studie hat die US- amerikanische Food and Drug Administration (FDA) eine Emergency Use Authorization (EUA) erteilt, um die Notfallanwendung von Remdesivir bei Erwachsenen und Kindern mit schwerem Krankheitsverlauf zu ermöglichen. Das Medikament ist umstritten (DocCheck berichtete).

 

Zellenmüllabfuhr als Lösung

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgen Forscher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an der Berliner Charité. Sie untersuchen einen autophagiefördernden Wirkstoff, der Substanzen aus der Zelle herausschleust.

Die Vermehrung des Virus wurde reduziert. Positiv ist, dass sich unter den getesteten Inhibitoren auch bereits zugelassene Wirkstoffe befinden, zum Beispiel das Bandwurmmittel Niclosamid.

 

Impfstoffe: Datenlage heterogen

Schaut man sich die Wirkung von Virustatika und Impfstoffen gegen Influenza an, ist man ernüchtert. Ein knappes Dutzend von Impfstoffen werden derzeit weltweit untersucht.

„Eine 1. Generation von COVID-19-Impfstoffen wird voraussichtlich Ende 2020 oder Anfang 2021 zugelassen“, schreiben dagegen Prof. Malik Peiris und Prof. Gabriel M. Leung von der University of Hong Kong in The Lancet.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass Impfstoffe eine Verringerung des Krankheitsrisikos um mindestens 50 % aufweisen sollten. „Selbst, wenn Impfstoffe Schutz vor Krankheiten bieten könnten, könnten sie die Übertragung nicht unbedingt in ähnlicher Weise verringern“, so die Autoren.

Wie lange eine Impfung vor einer Neuinfektion schützt, ist nicht bekannt. Bei Coronaviren, die Erkältungen auslösen, verschwindet der Schutz oft nach weniger als einem Jahr. Sollte das Virus einen Shift durchmachen, kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzu.

Eine weitere Fragestellung ist, wer geimpft werden soll. Risikopatienten wie Senioren oder Lungenkranke, verfügen nicht selten über eine reduzierte Immunantwort. Die US National Academy of Medicine definierte, wer außerdem eine Impfung erhalten sollte: Personen, die das Risiko einer Infektion verbunden mit negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, wenn sie ausfallen. Dazu zählen beispielsweise Angestellte im Gesundheitswesen, aber auch Lehrkräfte. 

 

From Russia with riscs?

Pressewirksam wurde aus Russland der Impfstoff Sputnik V vermarktet. Eine Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse großer klinischer Studien der Phase III widerspricht dem international üblichen Vorgehen. Der Impfstoff enthält nicht SARS-CoV-2, sondern zwei rekombinante humane Adenovirusvektoren. Alle 40 Probanden der Phase-II-Studien bildeten Antikörper gegen das Spikeprotein von SARS-CoV-2. 

Die Autoren selbst merken auch an, dass die Aussagekraft der Studienergebnisse durch die geringe Teilnehmerzahl und die kurze Nachverfolgung limitiert sei.

„Die Immunogenität ist ein gutes Zeichen, lässt aber keine Rückschlüsse auf Menschen höheren Alters zu“, so der Infektionsmediziner Naor Bar-Zeev vom International Vaccine Access Center (IVAC) der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in einem Kommentar zu der Veröffentlichung der russischen Wissenschaftler.

Die Preise für eine COVID-Impfung werden je nach Hersteller zwischen 2,50 und 35 Euro liegen. Hier die Impfstoffe mit Wirkweise und Herstellern im Überblick:

Name Hersteller Wirkweise Status

mRNA-1273

Moderna and NIAID

mRNA vaccine

Phase 2

BNT162

BioNTech and Pfizer

mRNA vaccine

Phase 1/2

INO-4800

Inovio Pharmaceuticals

DNA vaccine

Phase 1

AZD1222

University of Oxford and AstraZeneca

Adenovirus vaccine

Phase 2b/3

Ad5-nCoV

CanSino Biologics

Adenovirus vaccine

Phase 2

Unnamed

Wuhan Institute of Biological Products and Sinopharm

Inactivated virus

Phase 1/2

Unnamed

Beijing Institute of Biological Products and Sinopharm

Inactivated virus

Phase 1/2

PiCoVacc

Sinovac

Inactivated virus, plus adjuvant

Phase 1/2

Unnamed

Institute of Medical Biology and Chinese Academy of Medical Sciences

Inactivated virus

Phase 1

NVX-CoV2373

Novavax

Protein subunit

Phase 1/2

 

Ende August 2020 teilte das US-Pharmaunternehmen Moderna mit, der Impfstoff mRNA-1273 habe in der Phase-I-Studie auch bei älteren Probanden eine robuste Immunantwort ausgelöst. Allerdings war das Probandenkollektiv mit zehn Personen zwischen 56 und 70 Jahren sowie ab 70 Jahren relativ klein.

 

Mundspülung und Naturheilmittel

Ein Forscherteam aus Großbritannien hat eine Studie zu Mundspülung und Corona im Fachmagazin Functionveröffentlicht: Darin heißt es, dass es sich lohne, „weiter zu erforschen, ob orale Spülungen als potenzieller Weg zur Verringerung der Übertragung von Sars-CoV-2 in Erwägung gezogen werden sollten.“

Das Schweizer Labor Spiez, das zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz des Alpenlandes gehört, veröffentlichte im renommierten Virology Journal eine Studie, die konkret einem Präparat, einem alkoholischen Auszug aus dem roten Sonnenhut Echinacea purpurea, eine viruzide Wirkung gegen SARS-CoV-2 bescheinigte – allerdings lediglich in vitro.

„Wenn ein Medikament in der Zellkultur wirkt, kann es dennoch bedeuten, dass es auf der Schleimhaut von Rachen und Nase nicht wirkt. Hierfür sind weitere klinische Studien notwendig“, sagt Dr. Axel Finckh von der Rheumaliga Schweiz.

Der Mediziner äußert sich skeptisch gegenüber einer vorbeugenden Einnahme: „Solange der potenzielle Nutzen in der klinischen Realität nicht nachgewiesen ist, empfehle ich nicht, solche Mittel prophylaktisch einzunehmen.“

Zink, Apfelessig, Cystus, Zimt, Propolis, Rosenwurz, Kurkuma, Vitalpilze, NiacinKieselsäure – die Liste der propagierten Nahrungsergänzungsmittel, die vorbeugend gegen COVID-19 wirken sollen, ist sehr lang. Die Verbraucherzentrale NRW stuft alle diese Mittel als unwirksam ein. 

 

So denke ich darüber

Mein Fazit: Die Impfung gegen Masern gibt es in Deutschland seit über 40 Jahren und die Erkrankung ist immer noch nicht ausgerottet. Vermutlich werden wir noch lange Zeit mit dem Corona-Virus leben müssen.

Bildquelle: United Nations COVID-19 Response, unsplash

Originalartikel erschienen bei www.doccheck.com

 


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