Wiederholungen

DMZ – PSYCHOLOGIE/SOZIALES ¦ Patricia Jungo ¦

Wir Menschen werden seit unserem ersten Lebenstag auf dieser Erde jeden Tag mit unendlich viel Neuem konfrontiert. Nach der Zeit der sicheren Geborgenheit im Mutterleib beginnt das Leben in der Aussenweilt mit ihren zahlreichen Reizen. Während das Baby in den ersten Lebenswochen vor allem im Körperkontakt, im Herzschlag der Mama und ihrem Atem Sicherheit findet, löst es sich Schritt für Schritt und bekommt auch in anderen Dingen Sicherheit, die ihm nun bekannt sind.

Dabei kann es sich um Menschen, Situationen oder Gegenstände handeln. Fühlt sich das Kind damit schon sicher, startet es von diesem Anker aus seine weitere spannende, aber anspruchsvolle Entdeckungsreise. Da kann es schon vorkommen, dass es einfach zu viele neue Eindrücke sind und das Kind Sicherheit suchen muss bei dem, was es schon kennt. Was gibt es dann Beruhigenderes als die Geschichte, die Mama oder Papa schon unzählige Male vorgelesen oder erzählt haben? Im Bekannten schöpft das Kind auf diese Weise Selbstvertrauen und Sicherheit. Kinder wollen und brauchen die Gewissheit, dass alles wiederkommt. Rituale und Wiederholungen bieten dafür den geschützten Rahmen und erlauben, die unbekannte Welt Stück für Stück zu entdecken. Wiederholungen schaffen Gewissheiten und vermeiden die Überlastung des kindlichen Geistes, denn jeden Tag sind unsere Kinder einer Unzahl von neuen Eindrücken und Reizen ausgesetzt. Natürlich dienen Wiederholungen den Kindern vor allem auch fürs Lernen.

Da schaffen es schon die ganz Kleinen, mit ihren Experimenten wie beispielsweise den Schnuller gefühlte hundert Mal aus dem Kinderwagen zu werfen, festzustellen, ob Papa ihn auch wirklich jedes Mal wieder aufhebt. Das in den Wiederholungen Gelernte wird dann fest verankert und gespeichert und bei der nächsten Gelegenheit angewendet. Dies beschert dem Kind Erfolgserlebnisse, die das Selbstbewusstsein der Kleinen stärken. Zudem schafft Bekanntes dem Kind zwischen all den neuen Reizen immer wieder sichere Inseln. Auch wenn die Geduld der Eltern oft ganz schön auf die Probe gestellt wird, ist die «verlangte» Geschichte für das Kind so wichtig; auch wenn, und gerade, weil sie ihm schon zum zehnten Mal vorgelesen wurde. Nicht nur Kinder lieben und brauchen Struktur im Alltag. Wenn wir älter werden, sind wir zwar weniger auf Wiederholungen angewiesen, um uns sicher zu fühlen, dennoch verschaffen uns ein geregelter Tagesablauf und Rituale dennoch ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens. Nicht zuletzt lernen Kinder und auch Erwachsene, indem Dinge ständig geübt und wiederholt werden. Dabei spielt es keine so grosse Rolle, ob es sich um Sprachen, Physik, Tanzen oder den Führerschein handelt.

Einem Kind Sicherheit und Geborgenheit durch Wiederholungen zu gewähren, bedeutet, ihm eine Lebenswelt zu schenken, in der es sich auf viele Dinge einfach verlassen kann, um so gestärkt seinen Weg in die grosse, unbekannte Welt zu gehen.