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Covid-19 - Die bedrohliche Lage in der Schweiz - Experten informieren: "Wir können nicht auf diesem Niveau weitermachen"

Der Leiter der Covid-Task-Force des Bundes, Martin Ackermann
Der Leiter der Covid-Task-Force des Bundes, Martin Ackermann

DMZ – POLITIK / GESUNDHEIT ¦ MM

 

Das BAG informiert an der heutigen Medienkonferenz: 

Die Zahlen der Neuansteckungen steigen wieder. Fachleute des Bundesamts für Gesundheit (BAG), der Covid-19-Taskforce und Behördenvertreter geben ihre Einschätzung zur aktuellen Entwicklung der Lage.

 

«Es ist alles so kompliziert und mühsam geworden.» Die Weihnachtsempfehlungen könnten frustrieren, sagt Steffen. Am besten sei, die Massnahmen Schritt für Schritt zu befolgen und innerhalb der Familie zu diskutieren.

 

Folgende Fachleute nehmen teil:

  • Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, Bundesamt für Gesundheit BAG
  • Martin Ackermann, Präsident, National COVID-19 Science Task Force
  • Raynald Droz, Brigadier, Stabschef Kommando Operationen, Armee
  • Mike Schüpbach, Stv. Sektionsleiter Rechtsbereich 2, Bundesamt für Gesundheit BAG
  • Thomas Steffen, Kantonsarzt Basel-Stadt, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte
  • Esther Walter, Stv. Leiterin Sektion Nationale Gesundheitspolitik, Bundesamt für Gesundheit BAG

Mathys: «Wir müssen uns am Riemen reissen»

Patrick Mathys vom BAG eröffnet die Pressekonferenz. «Wir müssen uns am Riemen reissen», sagt er. Die Situation habe sich nicht so entwickelt, wie man sich das seitens des Bundes erhofft hatte. Bestensfalls sehe man eine Stagnation – «auf hohem Niveau.» Es sei zu befürchten, dass die Fallzahlen in den nächsten Tagen wieder zunähmen. Deshalb seien jetzt alle gefordert.

 

Mathys wirft einen Blick auf die Zahlen und kommt auf die Inzidenzrate zu sprechen. Die Spannbreite habe sich verkleinert und liege zwischen 400 und 900 Neuansteckungen pro 100'000 Einwohner. Die Kantone hätten sich einander angenähert, wobei die Inzidenzraten in der Westschweiz etwas tiefer lägen.

 

«Kaum Erholung für Gesundheitspersonal» 

Nachdem die Ansteckungszahlen in der zweiten Welle abgenommen hätten, stiegen sie jetzt wieder, analysiert Mathys die Zahlen. Die wieder steigende Zahl der Neuansteckngen habe sich in den Hospitalisierungen noch nicht niedergeschlagen. «Es ist aber zu erwarten, dass das bald passiert. Der Druck auf das Gesundheitssystem bleibt also unglaublich hoch», sagt Mathys. Für das Personal werde es kaum Erholungsphasen geben. Doch genau das müsse man verhindern.

  

Die Lage in den Spitälern

Die Intensivstationen sind derzeit zu rund drei Vierteln belegt, wobei die Hälfte der Patientinnen und Patienten an Covid-19 erkrankt sind. Noch gebe es Kapazitäten, sagt Mathys, doch die Lage könne schnell kritisch werden. 

Mathys kommt noch auf den «Aktionstag psychische Gesundheit» zu sprechen. Die Pandemie sei für viele eine grosse psychische Belastung. Mit dem morgigen Aktionstag wolle das BAG auch dazu aufrufen, der psychischen Gesundheit in der Pandemie eine grössere Beachtung zu schenken. «Die Hilfe beginnt bereits im persönlichen Umfeld: Es geht darum, Personen anzusprechen, wenn man das Gefühl hat, dass sie leiden», sagt Mathys. Auch könne man sich extern Hilfe holen, zum Beispiel bei der Dargebotenen Hand oder Pro Juventute.

 

Mathys schliesst mit einem Appell

«Wir können nicht auf diesem Niveau weitermachen, ohne zu riskieren, dass wir in einen Bereich kommen, in dem die Bewältigung sehr schwierig wird», sagt Patrick Mathys. Er wiederholt: «Wir müssen uns wirklich am Riemen reissen.» Wenn man nichts mache, werde sich die Situation über die Feiertage noch viel weiter verschlechtern. «Es geht darum, Kontakte zu verhindern.» Sei das nicht möglich, solle man sich an die Hygienemassnahmen halten.

Zu den Festtagen sagt Mathys: «Es ist schwierig. Aber überlegen Sie, wie Sie feiern können – und akzeptieren Sie, wenn es Leute gibt, die Angst haben.» Zum Schluss appelliert Mathys an alle, sich bei Symptomen testen zu lassen.

  

Ackermann: R-Wert steigt stark

Covid-19-Taskforce-Chef Martin Ackermann übernimmt das Wort. «Die Sars-Cov-2-Infektionen sind stark angestiegen. Die Reproduktionszahl hat stark zugenommen und liegt nun bei 1. Jetzt kann es wieder zu einem exponentiellen Wachstum kommen.»

 

Drei Faktoren würden die Situation erschweren: Die Temperaturen sänken und Menschen hielten sich mehr drinnen auf, führt Ackermann aus. Festtage: Die Menschen würden sich näher kommen. Wenn Menschen im Durchschnitt mit 6 statt mit 5 Personen Kontakt hätten, dann steige das Ansteckungsrisiko um 20 %. «100 Personen stecken demnach 120 Personen an.» Zudem seien die Menschen mobiler, was die Kontaktverfolgung über die Kantonsgrenzen hinweg noch erschwere.

 

Brigadier Droz zur Situation in der Armee

Seit Anfang November sei die Armee wieder im Einsatz. In verschiedenen Kantonen, ab Montag neu im Kanton Schaffhausen. Bis heute stünden 700 Armeeangehörige im Einsatz, zudem 350 Freiwillige. Die gesundheitliche Lage in der Armee sei «stabil und unter Kontrolle», sagt Droz.

Wegen der Stabilisierung der Lage in der Westschweiz habe bereits eine Sanitätstruppe entlassen werden können, bald komme eine zweite hinzu. «Wir müssen aber jederzeit in der Lage sein, die Zahl der Armeeangehörigen im Einsatz aufzustocken.» Das Parlament habe einen Einsatz schliesslich bis März 2021 genehmigt.

 

Steffen: Nicht von Coronamüdigkeit übermannen lassen

Thomas Steffen, Kantonsarzt Basel-Stadt, fasst zusammen: «Die Zahl der Neuinfektionen ging im November zunächst zurück. Nun befinden wir uns aber in einer nicht konsolidierten Lage mit hohen Ansteckungszahlen.» Diese Lage sei gefährlich. Gerade die Festtage könnten zu Änderungen in der Ausbreitungsdynamik führen, sagt Steffen. Bund und Kantone seien dran, Massnahmen zu ergreifen. «Wir müssen die Massnahmen aber auch breit ideell mittragen. Die Frage der Coronamüdigkeit ist im Moment wichtig.» Es begegnen Steffen dabei viele Situationen, die viel Kraft kosten. Er nennt folgende «Energiekiller»:

«Ich bemühe mich, anderen ist es egal.» Es sei wichtig am gleichen Strang zu ziehen, weil wir im Moment die grösste Krise unserer Generation erleben würden.

«Wir sind doch alles Egoisten.» Man höre häufig, dass in der ersten Welle viel Solidarität vorhanden war, nun sei diese Solidarität weg. Das stimme aber nicht, man erlebe weiterhin viel Solidarität.

«Es ist alles so kompliziert und mühsam geworden.» Die Weihnachtsempfehlungen könnten frustrieren, sagt Steffen. Am besten sei, die Massnahmen Schritt für Schritt zu befolgen und innerhalb der Familie zu diskutieren.

Man dürfe sich von diesen Energiekillern nicht zu sehr vereinnahmen lassen. Wichtig sei sich zu überlegen: «Was ist mein persönlicher Beitrag, damit die Ansteckungsrate sinkt.»

 

Wirken die neuen Massnahmen?

Damit ist die Fragerunde eröffnet. Eine Journalistin möchte wissen, ob die gestern vom Bundesrat bekannt gegebenen Massnahmen helfen, die Situation zu verbessern. «Es ist klar, dass diese Massnahmen wirksam sind», sagt Martin Ackermann von der Taskforce. Das sehe man in der Westschweiz. Entscheidend sei jedoch, dass die Massnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden.

Alle Massnahmen zielten darauf ab, dass die Kontakte zwischen den Menschen reduziert würden. «Das ist der Schlüssel zum Erfolg», sagt Ackermann. Eine weitere Journalistin spricht die Kommunikation der Taskforce an. «Wir nehmen Kritik an unserer Kommunikation ernst», sagt Ackermann. Wie könnten die Behörden verbessern, dass die Massnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden? «Klare Signale sind wichtig – wie gestern vom Bundesrat.

 

Wären Ampelsysteme eine Lösung?

Eine Journalistin fragt: Könnte man die Massnahmen nicht von bestimmten Kennzahlen wie etwa der Spitalkapazität abhängig machen? «Das ist eine politische, keine wissenschaftliche Frage», sagt Ackermann. Was aus wissenschaftlicher Sicht klar sei: Die sogenannten Ampelsysteme könnten helfen, die Zeit zwischen Verschlimmerung der Situation und Handeln zu verkürzen.

 

Herr Ackermann, haben sie ein Szenario für die dritte Welle?

Taskforce-Leiter Martin Ackermann antwortet auf die Journalistenfrage: «Wir können keine Szenarien machen über die Festtage hinaus. Aber auch eine moderate Ansteckungsrate kann uns in ein exponentielles Wachstum bringen. Wir sind an der Kapazitätsgrenze, eine Verdopplung hätte verheerende Folgen.» 

 

Mehr Ansteckungen am Abend? 

Warum hilft es, wenn Restaurants und Freizeiteinrichtungen früher schliessen? Es gebe keine Angaben darüber, zu welcher Zeit sich Personen ansteckten, sagt Martin Ackermann. Doch: «Jeder Kontakt, der über die Arbeit und die Familie hinausgeht, stellt ein zusätzliches Risiko dar.» Wenn man diese Kontakte also vermeide, dann senke man auch das Risiko einer Ansteckung. Und Massnahmen wie etwa Einrichtungen abends zu schliessen, trügen genau dazu bei.

 

Mathys: «Eine sichere und lebenslange Immunität existiert wohl nicht.»

Patrick Mathys schätzt, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerung immun sein müsste, damit das Leben wieder normal verlaufen könne. «Das könnte entweder nach einer Erkrankung oder nach einer Immunisierung durch eine Impfung möglich sein.» Ab 60 Prozent wird die Situation sicher einfacher. Aber natürlich müsste man das auch global anschauen, wenn beispielsweise Leute aus dem Ausland einreisen würden. «Deshalb müsste die Immunisierung wahrscheinlich im Bereich von eher 70 % liegen. »

 

Im Moment dürften wir wahrscheinlich schon über 10 % der Immunisierung der Bevölkerung liegen, sagt Mathys weiter. Es heisse aber nicht, dass man sich nach einer Infektion nicht wieder anstecken kann. «Eine sichere und lebenslange Immunität existiert wahrscheinlich nicht.»

 

Wer übernimmt Haftung bei Impfschäden? 

«Grundsätzlich haftet für Impfschäden der Hersteller», sagt der BAG-Jurist. Die Verträge zwischen Bund und Hersteller würden daran nichts ändern. Der Bund könne Herstellern jedoch zusagen, allfälligen Schaden zu übernehmen.

 

Testkapazitäten über Festtage vorhanden

Journalistenfrage: Wie steht es mit den Testkapazitäten über die Festtage? Kantonsarzt, Thomas Steffen: «Das wird generell in den Kantonen geprüft. Die grösseren Testzentren werden sicher grössere Testkapazitäten freihalten. Durchgehende Kapazitäten sind geplant.»

 

Wie läuft Organisation von Impfungen?

Die Logistik für die Impfungen übernimmt die Armee. «Die grösste Herausforderung sind momentan die Emotionen – die Erwartungen der Leute», sagt Droz. Darüber hinaus liefen die Vorbereitungen. Die Armee kaufe etwa die Behälter, die es ermöglichen, Impfdosen wie notwendig stark herunter zu kühlen. Es gehe darum, alles vorzubereiten, damit die Versorgung dann klappe, wenn es so weit sei. Mehr Details könne er nicht geben, so Droz.

 


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