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Ungarn im Einparteiensystem

Mária Vásárhelyi
Mária Vásárhelyi

DMZ – POLITIK / INTERNATIONAL ¦ Mária Vásárhelyi ¦ 

KOMMENTAR

 

„In Ungarn gibt es nichts Neues. Die Leute werden von Orbán verführt, wie damals die Bürger von Hameln durch den Rattenfänger“ (Imre Kertész in Le Monde 9.2.2012)

Die politischen Diskussionen seit 2010 werden in Ungarn meistens durch die Definition des Systems beherrscht. Meines Erachtens ähnelt das System Orbán in seinem Wesen, Struktur und Funktionieren seiner Institutionen am meisten einer Diktatur. Dabei denke ich an Diktaturen des 21. Jahrhunderts, die sich bewegen zwischen den Grenzen der Diktatur und der Autokratie.

 

Im scheinbar Mehrparteien- in Wirklichkeit jedoch Einparteiensystem - gibt es zwar eine Verfassung und es werden auch alle vier Jahre Wahlen abgehalten, doch diese Verfassung und das Wahlsystem wird von einer einzigen Partei diktiert und nur ihre Interessen werden dort vertreten. Nur diese Partei hat die Macht, sie zu verändern. Als Koalitionspartner von Fidesz gibt es im ungarischen Parlament die Partei der Christlich-Demokraten (KDNP) quasi als bezahlte lebende Dekoration, so wie damals die CDU in der DDR.

 

Zwar sitzen im ungarischen Parlament auch Abgeordnete der Opposition, jedoch hat das Parlament in zehn Jahren nicht eine ihrer Gesetzvorlagen akzeptiert. Mehr noch, die meisten hatten es nicht einmal auf die Tagesordnung geschafft. Regt die Opposition in einem Ausschuss eine Untersuchung oder Debatte an, wird diese durch die 2/3 Mehrheit der Fidesz-Partei vom Tisch gefegt. Der von der Fidesz gestellte Parlamentspräsident beschneidet die Rechte der dort arbeitenden Journalisten, wenn sie der Öffentlichkeit berichten wollen, was im zur Gesetzesfabrik verkommenen Hohen Haus passiert.

 

Eine echte Kontrolle des verfassungskonformen Vorgehens ist in Ungarn nicht gewährleistet, denn die Richter des Verfassungsgerichtes sind allesamt Fidesz-Parteisoldaten.

Das Grundgesetz – zuvor war es die Verfassung - legt in Prinzip die Machtverteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative fest. In Wirklichkeit aber besetzt Orbáns Regierungspartei alle führenden Positionen mit eigenen Leuten.

 

Die Fidesz kann mit seiner 2/3 Mehrheit im Parlament das Grundgesetz nach Belieben ändern und immer wieder neue Gesetze erlassen, die stets ihren politischen und wirtschaftlichen Präferenzen entsprechen. Sie hält jedoch ihre eigenen Gesetze nicht einmal für sich selbst bindend.

Seit 2010 hat man sogar Gesetze erlassen, die nur auf eine für die Regierung wichtige Person zugeschnitten waren.

Das gleiche gilt auch für alle weiteren eigentlich zur Kontrolle des Machtapparates vorgesehenen sogenannten Verfassungsorgane und Behörden.

Im Kontrollorgan des staatlichen Rechnungshofs, Amt für wirtschaftlichen Wettbewerb, Medienaufsicht und Nationale Wahlkommission gibt es niemanden, der nicht Mitglied von Fidesz ist. Natürlich werden sowohl der Staatspräsident als auch der Parlamentspräsident von Orbán ausgewählt. Aber warum ist für ihn die 2/3 Mehrheit im Parlament nicht genug? Warum wahrt er nicht einmal den Schein, indem er jemanden aus der Opposition für ein Amt berücksichtigt? Die Antwort ist simpel: Für Orbán ist die Demonstration unbegrenzter Macht eben viel wichtiger als der Schein. Auch soll ihm kein Oppositioneller in seine Karten sehen können.

 

Es ist kein Zufall, dass er gleich nach der Machtübernahme in 2010 als erstes den Generalstaatsanwalt ausgewechselt hatte. Er suchte nach Jemandem, der sich nicht als neutraler Beamter im öffentlichen Dienst begreift, sondern eher als Handlanger seines Auftraggebers. Seine Tauglichkeit dafür hatte Péter Polt bereits zur Zeit der ersten Orbán-Regierung (1998-2002) bewiesen. Er bekleidet heute noch diese Position. Der Erfolg der von ihm geleiteten Verbrecherjagd bestimmt sich stets nach der Parteizugehörigkeit. Seit 2010 - das belegen alle internationalen Untersuchungen - hat sich das Ausmaß der Korruption in Ungarn dramatisch erhöht, während es in den meisten europäischen Ländern zurückgegangen ist. Laut Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) wurden in den letzten Jahren die meisten Gelder der EU in Ungarn unterschlagen, zehnmal (!) mehr als in anderen Mitgliedstaaten.

Sämtliche Führungspositionen werden In der öffentlichen Verwaltung, in der Kulturszene und im Gesundheitswesen von Orbáns Parteifreunden besetzt. Bei ihrer Auswahl zählt nicht die fachliche Kompetenz, sondern nur die Loyalität zu Orbán und seiner Fidesz. Im manischen Wahn, alles zu zentralisieren, können diese Leute nicht autonom handeln. Alle Lösungen von fachlichen Problemen werden der Politik unterworfen.

 

Auch den örtlichen Verwaltungen wurde jegliche Autonomie entzogen, man hat ihr Vermögen kassiert, ihre Schulen und Krankenhäuser sind in jeglicher Hinsicht von der Regierung abhängig, ein wesentlicher Teil ihrer Einnahmequellen wurden eingezogen. Die Regierung schikaniert sie nach Belieben mit immer neuen finanziellen Einschnitten, bis sie vollständig ausbluten.


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