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„Das zweite Mal hatte ich Angst um mein Leben“

Manu Brunner bei ihrer zweiten Infektion im Oktober im Krankenhaus.
Manu Brunner bei ihrer zweiten Infektion im Oktober im Krankenhaus.

DMZ – GESUNDHEIT / MEDIZIN ¦ Christine Möllhoff ¦

 

Corona-Reinfektionen gelten bisher als selten, doch Verdachtsfälle nehmen zu. In Brasilien und Großbritannien wurden nun Reinfektionen mit neuen Virusvarianten bestätigt. Was Forscher vor Rätsel stellt: Nicht selten verläuft die Zweitinfektion schwerer.

 

Das erste Mal erwischt das Virus Manu Brunner Anfang Juni 2020. Mitten in der Nacht wacht sie mit hohem Fieber und Schüttelfrost auf. „Richtig, richtig schlecht habe ich mich gefühlt“, erinnert sich die 43-Jährige mit den kurzen, dunkelblonden Haaren. Ihr Abstrich ist positiv für SARS-CoV-2, sie leidet so an Atemnot, Lungenschmerzen und Schweißausbrüchen, dass sie es kaum bis zum Bad schafft. Drei Wochen später scheint das Schlimmste überstanden und sie kehrt zur Arbeit zurück.

 

Zwei Bluttests hätten Antikörper gegen Corona nachgewiesen, erzählt sie. Als sie Mitte Oktober erneut über 40 Grad Fieber sowie heftige Glieder-, Hals- und Kopfschmerzen bekommt, glaubt sie zunächst an einen grippalen Infekt. Weil sie im Gesundheitswesen arbeitet, macht ihr Hausarzt dennoch einen Test. Sie fällt aus allen Wolken, als er anruft: „Tut mir leid, Sie sind zum zweiten Mal positiv. Und Sie sind hochansteckend.“ Wenige Tage später testet auch Manus Lebensgefährte, der im Juni verschont blieb, positiv.

 

Diesmal schlägt das Virus ungleich schlimmer zu. „Ich hatte zum ersten Mal Angst um mein Leben“, sagt sie. Sie entwickelt eine Thrombose und eine schwere Bronchitis, muss für eine Woche in eine Lungenfachklinik. Ihr Kreislauf und Blutdruck sind außer Kontrolle, ihr Herz rast, sie reagiert mit Hautausschlägen und Nervenschmerzen. „Es war, als ob mein Körper verrücktspielt.“ Später stellt ein Kardiologe eine leichte Herzschwäche fest. Weltweit mehren sich Berichte über mögliche Reinfektionen. Im US-Bundesstaat Michigan testeten 115 Gefängnisinsassen über 90 Tage nach einer Erstinfektion erneut positiv. Auch in Schweden werden 150 mögliche Reinfektionen untersucht. Dort berichten ganze Familien von Zweitinfektionen. Gemessen an der Gesamtzahl der Infizierten sind die Fälle zwar noch selten. Nach einer Übersicht der niederländischen Agentur BNO News gelten weltweit bisher nur 33 Reinfektionen als wissenschaftlich bestätigt, dazu kommen 2387 Verdachtsfälle (Stand: 14.01.2021).

 

Doch viele Verdachtsfälle wie der von Manu tauchen in keiner Statistik auf, weil viele Länder sie nicht systematisch erfassen. Zudem ist der Nachweis schwierig. Nur wenn sich die Virusroben der ersten und zweiten Infektion genetisch ausreichend unterscheiden, gilt eine Reinfektion in der Fachwelt als bewiesen. Aber oft fehlen Proben der Erstinfektion. Viele Verdachtsfälle bleiben daher ungeklärt.

 

Dabei können Reinfektionen wichtige Hinweise darüber liefern, wie lange die Immunantwort anhält und ob sie auch gegen Virus-Varianten hilft. Gleich mehrere Studien lassen zwar hoffen, dass der Immunschutz aus einer Erstinfektion sechs Monate oder länger währt. Zwei Reinfektionen in Brasilien geben allerdings nun Anlass zu der Sorge, dass die Antikörper aus einer Erstinfektion gegen einige Virusvarianten insbesondere mit der problematischen Mutation E484K, wie sie in Südafrika und Brasilien aufgetaucht sind, weniger wirksam sind. Noch ist unklar, ob diese Varianten auch die Wirksamkeit der aktuellen Impfstoffe mindern. Das wird derzeit geprüft. Forscher hoffen aber, dass Impfungen einen verlässlicheren Schutz bieten als natürliche Infektionen. Vor allem mRNA-Impfstoffe können zudem schnell an Varianten angepasst werden.

Auch eine weitere Beobachtung stellt die Forscher vor Rätsel: In einigen Fällen verläuft die Reinfektion milder, in anderen dagegen wie bei Manu schwerer. Weltweit gebe es inzwischen „eine ganze Menge Berichte“, die erneute Infektionen nach nur wenigen Monaten beschreiben, sagte die Virologin und Unternehmerin Helga Rübsamen-Schaeff in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“. Dabei sei nicht vorauszusagen, ob eine Reinfektion schwerer oder leichter verlaufe.

 

Dies zeigen auch die beiden Fälle aus Brasilien. Dort infizierten sich eine 37-Jährige und eine 45-Jährige, beide im Gesundheitswesen beschäftigt, binnen vier bzw. fünf Monaten erneut, das zweite Mal mit einer Variante mit der E484K-Mutation. Bei der 37-jährigen verlief die Zweitinfektion milder, bei der 45-jährigen dagegen schwerer (https://www.preprints.org/manuscript/202101.0132/v1).

 

In Großbritannien wurde bei einem 78-jährigen Diabetiker nach einer milden Erstinfektion eine Reinfektion mit der britischen Variante B.1.1.7 festgestellt (https://academic.oup.com/cid/advance-article/doi/10.1093/cid/ciab014/6076528). Er musste beatmet werden. Die indische Zeitung New Indian Express meldete Anfang Dezember, dass sich gleich fünf Ärzte einer Covid-Station in Delhi zum zweiten Mal infiziert hätten, drei davon seien bei der Zweitinfektion kritisch erkrankt. Man werde sie nicht mehr auf die Covid-Station zurückschicken, zitiert die Zeitung einen Zuständigen. „Wenn sie sich ein drittes Mal infizieren, können wir sie nicht mehr retten.“

Im Fachmagazin „The Lancet“ berichteten US-Forscher bereits im Oktober von einem 25-jährigen aus Nevada, der bei der Reinfektion einen schwereren Verlauf zeigte (https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30764-7/fulltext).

 

Die Niederlande und Israel meldeten je einen Todesfall bei Zweitinfektionen. Auch in den großen Covid-Facebook-Gruppen berichtigen nicht alle, aber einige Betroffene, das die Reinfektion schlimmer war.

Das sind schlechte Nachrichten für Anhänger der „natürlichen“ Herdenimmunität, da eine Erstinfektion offenbar keinen milden Verlauf bei Reinfektionen garantiert. Aufmerksam beobachten Forscher auch die Lage in Manaus. Die brasilianische Stadt galt als Beispiel für „natürlich“ erreichte Herdenimmunität. Auf Basis von Antikörper-Analysen schätzten Forscher, dass sich dort bis Oktober 76 Prozent der Menschen bereits infiziert hatten. (https://science.sciencemag.org/content/early/2020/12/07/science.abe9728). Trotzdem wird die 2,2 Millionen-Einwohner-Stadt im Amazonas nun von einer weiteren Welle heimgesucht. Auch dort tauchte eine neue Virusvariante auf, die unter anderem die Genveränderung E484K aufweist.

Bislang können Forscher nur spekulieren, warum bei einem Teil der Betroffenen Reinfektionen schwerer verlaufen. Möglicherweise führe eine höhere Virenlast oder eine virulentere Variante zu heftigeren Symptomen. Oder es könnte, wie z.B. bei Dengue, ein Phänomen namens Antibody Dependent Enhancement mitspielen. Dabei wirken Antikörper aus der Erstinfektion nicht schützend, sondern verstärken die Infektion.

 

Weil sie noch im August Antikörper aufwies, mutmaßten auch Manus Klinikärzte, dass sie sich mit einer Variante angesteckt haben könnte, gegen die ihr Immunschutz aus der Erstinfektion nicht optimal wirkte. Die 43-jährige arbeitet als medizinische Fachangestellte in einer Lungenarztpraxis. Studien zeigen, dass gerade Gesundheitsberufe ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Sie sind vermutlich auch eher Virusvarianten ausgesetzt.

 

In der Statistik wird Manu inzwischen als „genesen“ geführt. Doch sie kämpft weiter mit den Folgen der Infektion. Noch immer ist sie schnell kurzatmig, ermüdet leicht und muss regelmäßig zur Kontrolle beim Kardiologen. Seit Anfang Januar arbeitet sie wieder. Doch die Angst bleibt, dass sie sich erneut anstecken könnte. „Wir wissen noch so wenig über dieses Virus.“ 


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