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Viktor Orbán kann es nicht

Dóra Onody-Molnár war 10 Jahre Redakteurin bei Ungarns größter, inzwischen abgewickelten Tageszeitung „Népszabadság“. Jetzt schreibt sie für die unabhängige Wochenzeitung „Jelen“. Kürzlich erhielt sie den EU-Journalistenpreis
Dóra Onody-Molnár war 10 Jahre Redakteurin bei Ungarns größter, inzwischen abgewickelten Tageszeitung „Népszabadság“. Jetzt schreibt sie für die unabhängige Wochenzeitung „Jelen“. Kürzlich erhielt sie den EU-Journalistenpreis

DMZ – INTERNATIONAL ¦ Dora Onody-Molnár ¦

KOMMENTAR

 

Innerhalb von zwei Wochen ist es der Orbán-Regierung gelungen, Entscheidungen zu treffen, die für die Beherrschung der Pandemie kaum nachvollziehbar sind. Zunächst hat er ein ganzes Regiment Soldaten mit Maschinenpistolen auf die Straßen von Budapest geschickt, um dem Virus einen Schreck einzujagen. Dann hat man die Gymnasien und öffentliche Gebäude geschlossen. Das Regieren per Dekret wurde wieder eingeführt. Dementsprechend wurde auch das Grundgesetz zum x-ten Male verändert. Das alles hat aber mit der Pandemie kaum etwas zu tun.

 

Orbán hat es im Sommer versäumt, das Land auf die zweite Welle vorzubereiten. Er hat tatsächlich geglaubt, dass Ungarn mit einem blauen Auge davonkommen würde. Diese Untätigkeit wollte er durch das Zurschaustellen der Soldaten mit Maschinenpistolen kaschieren.

 

Er ist nicht boshaft, sondern nur unfähig.

 

Das Schicksal der Abgehängten interessiert ihn nicht. Der Grund für seine falschen Verordnungen ist nicht seine Boshaftigkeit, sondern schlicht seine Unfähigkeit zu regieren. Er kann es einfach nicht. Nicht die Pandemie hat ihn überfordert, sondern die erste echte Krise, die er bewältigen musste. Die gegenwärtige Hektik ist ein Beweis, dass es ihm bei der Entscheidungsfindung an jeglicher Kompetenz fehlt. Er hatte halt in den vergangenen zehn Jahren keine Krise zu überstehen, die sein Unvermögen derart offenkundig machte.

 

Kürzlich hat Orbán die Parkgebühren landesweit abgeschafft. Damit entgingen den Stadtverwaltungen Einnahmen und es war in der Pandemie dazu noch auch gegenüber den Menschen kontraproduktiv, denn die Bewohner in den gebührenpflichtigen Straßen fanden nun in der Nähe keinen Platz mehr. Der zusätzliche Autoverkehr hat die ohnehin schon schlechte Luft weiter verschlechtert. Der Smog in den Großstädten, besonders in Budapest, ist ausgesprochen gesundheitsschädlich. Nochmals: Damit wollte Orbán natürlich nicht die Zahl der Todesfälle steigern, er ist kein Bösewicht, er kann nur nicht regieren.

 

Konsequenterweise führt er den Kampf gegen das Coronavirus nun auch auf demselben Niveau. Wie auch alles andere in den vergangenen zehn Jahren. In diesem Frühling evakuierte er in Panik die Krankenhäuser, in der Meinung, dass dies notwendig sei. Auch das war keine böse Absicht. Dass er dadurch Menschen in Lebensgefahr brachte, gehört auf ein anderes Blatt.

Dann bestellte er 16.000 Beatmungsgeräte (in Österreich waren ca 1.000 ausreichend). Aber keine falschen Verdächtigungen! Er hat es nämlich nicht nötig, auf diese Weise zu Geld zu kommen. Er handelte nur in Panik. Und warum? Weil er über die Führungsqualitäten, von denen viele seiner Anhänger überzeugt sind, nicht verfügt. Seit zehn Jahren sagen viele: okay er ist skrupellos, korrupt, machtbesessen und er hat die Kontrollmechanismen des Rechtsstaates abgeschafft. Aber Ungarn entwickelt sich gut, also versteht er doch das Regieren.

 

Wegen der gutlaufenden weltweiten Konjunktur hat man ihm alles durchgehen lassen, zusätzlich wurden die Fehler der Regierung durch das viele Geld aus Brüssel verschleiert.

 

2016 starben laut Eurostat unter Hunderttausend Ungarn 345 an Krebs. Das ist ein Spitzenwert in der EU. Dass so viele Ärzte Ungarn gen Westen verlassen haben, ist dem schlechten Regieren zu verdanken und bis Orbán dann aufgewacht ist, war es längst schon zu spät. Das ungarische Gesundheitswesen ist derart heruntergekommen, dass die Menschen gezwungen sind, sich den überteuerten, privaten Praxen anzuvertrauen. Damit blüht einer der ungerechtesten Märkte in Europa auf.

 

Der Ministerpräsident behauptete 2012, dass die Jugend aus dem Westen massenweise zurückkommen werde. Keiner kam und kaum jemand plant jetzt so etwas.

Unter den Abgewanderten waren in den letzten Jahren immer mehr mit Hochschulabschluss und so ist es der Regierung tatsächlich gelungen, dass die bestens ausgebildeten Arbeitnehmer das Land verlassen haben.

Und auch bei der Digitalisierung gehört Ungarn in der EU zu den Staaten mit dem größten Nachholbedarf.

 

Mein Lieblingsgebiet ist die Demografie. Auch da versagt Orbán, obwohl er alles versucht hat, koste es, was es wolle. Den Bevölkerungsschwund konnte er trotzdem nicht bremsen.

 

Die Coronakrise bringt jetzt das falsche Regieren der letzten zehn Jahre an den Tag.

Die meisten Ungarn haben das auch mitbekommen, wollen es dennoch nicht zur Kenntnis nehmen.

 

Das geht auch auf das Konto der fortwährend schwächelnden Opposition. Die eklatanten Fehler der Regierung konnte sie bei den Wählern nicht thematisieren und somit davon auch nicht profitieren.

 

Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit, schon wegen der Pandemie. Mit allen verfehlten Regierungsaktivitäten der letzten zehn Jahre werden wir jetzt konfrontiert.

Freilich, die Maschinenpistolen machen deutlich, dass sich die Führung des Landes noch immer in sicheren Händen wähnt... 


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Kommentare: 1
  • #1

    magyarlazi (Sonntag, 17 Januar 2021 21:46)

    Das Militär steht nicht nur in Budapest.
    Ihr Artikel trifft die Realität hier auf den Punkt.