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Wahrscheinlich schon mehrere tausend Ansteckungen mit mutierten Viren

DMZ – GESUNDHEIT / WISSEN ¦ Walter Fürst ¦

 

In der Schweiz sind bislang 1000 Ansteckungen mit den mutierten und ansteckenderen Formen des Coronavirus nachgewiesen worden. Experten zu Folge wird aber die Zahl der Angesteckten um ein Vielfaches höher sein. Der Grossteil der entdeckten Mutationen ist keiner der bekannten Mutationen aus Grossbritannien und Südafrika zuzuschreiben.

 

Von der britischen Variante sind bislang 474 Fälle nachgewiesen worden, von der südafrikanischen 16. 484 Fälle konnten demnach keiner der beiden Varianten zugeordnet werden. Insgesamt waren es am Montag also 974 nachgewiesene Ansteckungen mit mutierten Viren. Eindeutige Nachweise der beiden Mutanten gab es in Deutschland bereits in 30 Städten oder Gemeinden. Der grösste Ausbruch wurde bisher in Berlin festgestellt. Im Bezirk Reinickendorf wurden rund 1500 Beschäftigte des Humboldt-Klinikums unter Quarantäne gestellt, weil 22 Patienten und Mitarbeiter positiv auf die britische Coronavirus-Variante B.1.1.7 getestet worden waren. Dazu kommen noch eine Angehörige und eine Nachbarin von früheren Patienten des Krankenhauses. Es ist nicht auszuschliessen, dass bei den nun flächendeckenden Testungen weitere Fälle gefunden werden.

 

Auch in Österreich sind die neuen Varianten angekommen. Die britische Variante wurde bei 17 Skilehrern (in Ausbildung) entdeckt. Schlechte Nachrichten gibt es auch in Wien. In einem Pflegeheim der Caritas wurde ebenfalls auf ­Betreiben des Pflegewohnhauses ein grösserer Cluster von der AGES untersucht. Innerhalb kurzer Zeit hätten sich ab Anfang Januar 42 Pflegeheimbewohner (von 101) infiziert. Die PCR-Tests haben ebenfalls Auffälligkeiten aufgewiesen und den Verdacht erhärtet, dass es sich um die mutierte Variante handelt.

 

Bisher galt die in Grossbritannien entstandene Coronavirus-Variante B.1.1.7. als infektiöser, nicht aber aggressiver. Doch nun legt ein britisches Expertengremium Daten vor, nach denen die Mutante doch eine höhere Fallsterblichkeit verursachen soll. Stimmen ihre Zahlen, dann könnten an dieser neuen Variante von SARS-CoV-2 statt zehn Menschen von 1.000 nun zwölf bis 13 sterben. 

 

Aus der letzthin veröffentlichten Studie geht hervor, dass es bereits über 12700 Mutationen des Virus gibt. "Glücklicherweise haben wir festgestellt, dass keine dieser Mutationen die Ausbreitung von Covid-19 beschleunigt", sagt Lucy van Dorp, Professorin am Institut für Genetik des University College London zu den Ergebnissen der Untersuchung. Dazu wurde der Datensatz von Virusgenomen von 46.723 Menschen aus 99 Ländern genutzt. Bei ihrer Analyse stiessen die Forscher auf 12.700 Mutationen oder Veränderungen im neuartigen Coronavirus. 

Lediglich für die Entwicklung von Impfstoffen kann es erforderlich sein, sich immer neu an das Virus anzupassen. "Wir müssen wachsam bleiben und weiter neue Mutationen überwachen, insbesondere wenn Impfstoffe eingeführt werden." Dass Viren ständig mutieren, ist jedoch lange bekannt und nichts, was speziell auf das Coronavirus zutrifft. Grippeviren verändern sich etwa weit häufiger als andere Viren-Arten. 

 

Mit der weltweit steigenden Anzahl von infizierten bekommt das Coronavirus SARS-CoV-2 immer mehr Chancen, mutierte Stämme zu entwickeln. Unter ihnen ist die Variante B.1.1.7., eine im Herbst 2020 in Südengland erstmals aufgetretene Virusform mit insgesamt 17 genetischen Veränderungen gegenüber dem Grundtyp von SARS-CoV-2. Bislang galt diese Variante vor allem als deutlich infektiöser, nicht aber als pathogener oder tödlicher.

Doch nun gibt es erste Hinweise darauf, dass die Virusvariante B.1.1.7. doch die Sterblichkeit erhöht und schwerere Krankheitsverläufe fördern könnte. Zu diesem Schluss kommt das britische Expertenkomitee NERVTAG (New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group) nach Auswertung von mehreren britischen Studien. In diesen hatten verschiedene Forscherteams die Fallsterblichkeit – den Anteil der Todesfälle unter den Infizierten – für das „normale“ und das mutierte Virus verglichen.

 

Neue Varianten mit geballten Mutationen

In den letzten Wochen sind gleich mehrere Coronavirus-Varianten entdeckt worden, die Medizinern Sorge bereiten. Zu ihnen gehören genannte britische Variante B.1.1.7, eine in Südafrika neu aufgetretene Virenlinie, Variante 501Y.V2 aus, die ebenfalls ansteckender zu sein scheint [bbc.co.uk], und eine im Januar 2021 in Brasilien nachgewiesene Variante. Ihnen ist gemeinsam, dass sie gleich mehrere Mutationen aufweisen, von denen einige offenbar die Infektiosität des Virus verstärken.

 

Diese geballt auftretenden Mutationen wecken aber noch eine andere, entscheidende Frage: Wie gross ist die Gefahr, dass das Coronavirus sogenannte Flucht-Mutationen ausbildet? Als „Escape-Mutation“ bezeichnen Forscher Genveränderungen, durch die ein Virus die Immunantwort seines Wirts unterlaufen kann. Meist geschieht dies, indem sich die viralen Proteinstrukturen verändern, an denen die Antikörper und Abwehrzellen des Immunsystems ansetzen.

Als Folge solcher Mutationen kann der Immunschutz nach durchlebter Erkrankung oder auch nach einer Impfung abgeschwächt oder sogar unwirksam werden.

 

In der Schweiz sei die brasilianische Variante bislang nicht aufgetaucht, heisst es beim BAG. Für Brasilien gilt bereits ein Einreiseverbot, zudem wurde das südamerikanische Land am Mittwoch auf die Quarantäneliste gesetzt.

Die Mutation gehöre zu den drei Varianten, die vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) als besorgniserregend eingestuft werden. Auch die brasilianische Variante weise Veränderungen auf, die zu einer erhöhten Übertragbarkeit und einer Verschlechterung der epidemiologischen Situation führen kann und soll Ähnlichkeiten haben mit der Mutation, die in Südafrika entdeckt wurde: Beide sollen sich sehr rasch in Gegenden ausbreiten, die von der bisher vorherrschenden Variante bereits stark betroffen waren. Über die brasilianische P1 hingegen ist am wenigsten bekannt. Was sie aber besonders macht, ist, dass sie in Manaus festgestellt wurde. Einem Ort, der schon die Herdenimmunität erreicht haben sollte, weil sich laut einer Studie offenbar bereits 75 Prozent der Bevölkerung angesteckt haben. Eigentlich sollten damit kaum noch Neuinfektionen registriert werden. Tatsächlich steigen die Fallzahlen dort jedoch wieder rapide.

Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Variante so anders ist, dass bereits Infizierte sich wieder anstecken können. Es könnte aber auch sein, dass einfach grundsätzlich die Immunität in der Bevölkerung nach über einem halben Jahr anfängt zu schwinden. Oder die erwähnte Studie hat die Quote der Immunen überschätzt. Die Schätzung der Herdenimmunität basiert nämlich auf Blutspendern, die einen kostenlosen Test auf Covid-19-Antikörper erhielten. Das könnte vor allem jene angelockt haben, die vermuteten, infiziert gewesen zu sein.


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