RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Hinter dem Vorhang

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦

 

Herzlich willkommen zu meiner neuen Kolumne. Heute möchte ich Euch einen Einblick in meinen persönlichen Schreibprozess gewähren. Ein wenig das Geheimnis hinter RRRrrrr lüften. Sie sozusagen Backstage führen und Ihnen einen Blick hinter den Vorhang gewähren. (Warum ich Euch jetzt plötzlich sieze? Weil ich sonst 3x hintereinander „Euch“ geschrieben hätte).


Beim Schreiben achte ich nur auf den Klang und auf meine Dermatologin. Denn sie ist Ausschlag gebend für die Kreation meiner Texte! Kein Witz! Das Lektorat übernimmt tatsächlich ein Gott in weiß. Und da die Götter bekanntlich in Frankreich leben, darf ich Euch Woche für Woche in eine der schönsten Patisserien Bordeaux entführen. Pastellfarben leuchtet sie Euch schon von weitem entgegen. Und dieser Duft erst! Dieser Duft, der sich über die ganze Strasse ergiesst.. Und dann schaue man sich mal die Auslage an: Wo der Blick auch hinfällt, finden sich nur Delikatessen. Wobei es sich hier natürlich um Moulagen handelt. Achtung, an dieser Stelle folgt Sperriges von Wikipedia: «Moulagen sind farbige, dreidimensionale und lebensgroße Abformungen von Körperteilen zur naturnahen Wiedergabe menschlicher Krankheitsbilder.» Neben der Akne, findet sich im üppigen Schaufenster die Neurodermitis, diverse Melanome (schwarzer Hautkrebs), Fuß- und Nagelpilze, Schuppenflechte und Feigwarzen. Die ganz besonderen Leckereien aber präsentiert sie Euch im Inneren ihrer kleinen Zuckerbäckerei: Lepra, Masern, Röteln und die nekrotisierende Faszilitis. (Das Nachschauen kann ich beim besten Willen nicht empfehlen. Also Finger weg von Google Bild.) Ja, dies alles und noch viel mehr ist der ganze Stolz meiner süßen Wunderfee. 


Was die Dermatologie mit dem Korrekturlesen verbindet? Mehr als Ihr denkt. Denn meine Ärztin ist ein: Mustererkennungsgenie! Natürlich hat sie sich dies in hunderten Stunden antrainiert. Fachbedingt. Wie ein Kunsthistoriker auch, verfügt sie über ein enormes Bildgedächtnis. Abgespeichert bei ihr sind allerdings nicht die Picassos, Monets und Expressionisten dieser Welt, sondern allerlei liebreizende und schillernde Ekzeme. Denn auf einen Blick muss sie den Ausschlag erkennen können oder zumindest eine Vermutung anstellen, um mittels Probe herauszufinden, ob sich diese bewahrheitet. Dann werden munter Tabletten, Salben, Kuren oder das Herausschneiden des Schädlings empfohlen. Genau, wie bei meinen Texten auch.

 

Das Reich hinter der Bühne, die Welt hinter den Kulissen von RRRrrrr, beinhaltet aber nicht nur eine Dermatologie aus Bordeaux. Sondern auch ein Tonstudio und ein Bildhauer Atelier. Kleine verwinkelte Gänge führen Euch an den zahlreichen mit Ganzkörperspiegeln, Schminktischen und farbigen Glühbirnen ausgestatteten Garderoben vorbei, bis Ihr, nach einer scharfen Biegung nach links, im zweiten Untergeschoss, vor einer roten Türe steht. Dahinter befindet sich ein unterirdischer Gang, der die ganze Länge des Theaters umfasst. Beschreitet Ihr ihn, läuft Ihr quasi unter der Bühne, dem Orchestergraben und den Stuhlreihen des Parketts hindurch bis ans Ende des Saales. Und da erwartet Euch ein Lift. Dieser führt direkt in den zweiten Balkon. D.h. ganz eigentlich hinter den zweiten Balkon.

Die Rückwand des zweiten Balkons wird von einer dunklen Vitrine gebildet. Dahinter verstecken sich die Tonregie, das Tonstudio und die Soundbibliothek. Denn das meiste, was Ihr auf der Bühne hört, wird auf die eine oder andere Weise verstärkt. Zudem werden je nach Inszenierung auch andere Tonquellen als das Orchester zur Untermalung der Bühnenaktivität eingespiesen. Dies alles wird von der Tonregie kontrolliert. Die durch die Vitrine auf das Bühnengeschehen blicken kann. Das anschliessende Tonstudio kreiert spezielle Klänge oder Textpassagen, die aus was für Gründen auch immer, von den gerade andersweitig beschäftigten, nichtsprechenden weil denkenden oder nicht auf der Bühne vorhandenen Schauspielern im Stück gesagt werden und daher eingeblendet werden müssen. Und die Soundbibliothek ist für das authentischen Knarren von Türen, das Schliessen von Fenstern, den Lärm der Strasse, von Werkstattgeräuschen, denjenigen von: Schiffanlegeplätzen, Innenstädte und Einkaufszentren, aber auch für das Erklingen von Björk, Massive Attack, Parov Stelar oder Pomplamoose während den Vorstellungen zuständig.

 

Beim Schreiben achte ich auf den Klang meiner Worte. Auf die Satzmelodie, auf den Schreibfluss, den sogenannten Flow, auf alles was da piepst, tschilpt und zwitschert.

Denn eine gelungene Schrift erklingt. Es springen einem nicht nur Gassen, Plätze, Kopfsteinpflaster, Cafés und Personen entgegen, wenn sich uns ein Text offenbart, sondern die Natur, das Quietschen von Fahrrädern, die Gespräche am Nebentisch, das Klirren von Geschirr, das Klicken eines Zippo Feuerzeuges...

 

Was immer wir auch schreiben, wir beschreiben Klänge mit. Denn im Inneren Auge des Lesers formiert sich bei jedem Satz, bei jedem Abschnitt eine eigene kleine Welt. Und diese schöpft sich aus seinem Erfahrungsschatz. Ob wir nun wollen oder nicht, dieser schwingt bei jedem unserer Worte mit. Schreibende sind nichts anderes als Harfenbauer. Wir stellen einen Hohlkörper zur Verfügung, der von möglichst vielen Saiten bespannt wird. Die Melodie erzeugt die Fantasie des Lesers...

 

Bevor ich Euch ins Bildhauer Atelier entführe, möchte ich zuerst eine banale Erkenntnis mit Euch teilen: Damit ein Text zustande kommt, ist es wichtig, dass mal überhaupt etwas auf dem Papier steht. Egal was. Dies ist die Grundvoraussetzung. Ohne einen Marmorblock vor sich zu haben, kann man keine Skulptur erschaffen. Also muss man sich diesen irgendwo besorgen. Und wenn es einen nach Carrara in die Toskana verschlägt. Die bauen da seit dem 2ten Jahrhundert vor Christus den Marmor ab. Man stelle sich dies mal vor: Seit 2200 Jahren hauen die Marmor aus ihren Steinbrüchen und finden immer noch welchen! Ich meine, der wächst ja nicht nach... In der Zwischenzeit müssen die ganze Gebirge abgetragen oder zumindest Löcher in einem unvorstellbaren Ausmaß geschaffen haben. Item. Auf was ich hinauswill: je mehr auf dem Blatt steht, je mehr Text man vor sich hat, desto besser lässt sich damit spielen, modellieren, kneten, Collagen und Assemblagen ertüfteln und dem was man sagen will eine Gestalt geben, an der man solange rumfeilen kann, bis es stimmt. 

Zumeist lege ich das Thema einer Kolumne lange im Voraus fest. Oder zumindest unmittelbar, nachdem ich die vorhergehende abgeschlossene habe. Dies ermöglicht es, mir laufend Ideen und Gedanken auf meinem i-Phone abzuspeichern. So wächst aus vielen kleinen Krümeln und Bröseln ein unförmiger Kalkstein heran, der Mittwochs, oder allerspätestens Donnerstags, unter massiven Veröffentlichungsdruck der Mittelländischen Zeitung, zu Marmor erstarrt. So gewonnen, schleppen die Bühnenarbeiter den Klotz ins Atelier und dann machen wir uns, mit Hammer und Meißel, an die Bearbeitung. Eine andere Methode ist das sampeln. Wie bei den Beats der Rapper oder bei den elektronischen Musikproduzenten. Ist ein Thema rechercheintensiv, so wie es z.B bei der Kolumnenreihe über Fluchwörter war, erlaube ich mir spannende Formulierungen, Aussagen und ganze Abschnitte aus diversen Artikeln zusammenzutragen. Oftmals durchstöbere ich nicht nur mein Gedächtnis und meine private Bibliothek sondern insbesondere auch Google und Youtube. Gerade bei letzterem lässt sich so manch toller Beitrag finden. Entdeckt man hier etwas Passendes, bleibt einem nichts anderes übrig als mitzuschreiben. Man spielt dann sozusagen den Sekretär eines vorlauten 20jährigen, der einem gerade die Welt erklärt. Dummerweise tun er oder sie das in der Regel so eloquent, dass man sich nicht nur unsäglich alt, sondern gleich auch noch ganz schrecklich dumm fühlt.
Die eigentliche Arbeit bleibt dann diejenige des Plastikers, des Bildhauers, des Innenarchitekten - der Text soll bis in seine hintersten Winkel schön sein, auch wenn man gerade in seine Nasenlöcher kuckt - und des Musikproduzenten. Aus dem ganzen Kram den man da gesammelt hat, gilt es eine Komposition zu kreieren. Ein guter Text schwingt, klirrt und flirrt, berührt und animiert zum Träumen, zum Schwelgen, zum Nachdenken, zum Mitsingen, zum Summen und...

 

«Oh, der Gong erklingt. Schnell, Ihr müsst auf Eure Plätze. Die Vorstellung beginnt. Danach zeige ich Euch noch die Graphik Ateliers von Olivia Aloisi. Versprochen.»


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