RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Scheitern

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦  

 

Scheitern! Herzlich willkommen zu meiner neuen Kolumne, in der es um das Scheitern geht. Der Anlass für das Thema ist die neuerliche Verschiebung der Rahmenhandlung. Ja, schon wieder. Was nach dem grossartigen, prickelnden und wunderschönen ersten Anlass im letzten August nach einer Wiederholung schrie, haben wir nun vom Dezember in den Januar, von da in den März und nun in den April verschoben.

 

Die Rahmenhandlung, ein Literaturfestival in meinen gemütlichen vier Wänden, glänzt derzeit nicht mit den schönsten Hausgeschichten, sondern mit deren Corona bedingt fortlaufendem Aufschub. Um dies gebührend zu würdigen, widmen wir die Kolumne dieser Woche einer ausführlichen Betrachtung des Scheiterns. Dies vor allem auch, weil der Bündner Autor und Mundart-Rapper Gimma letzthin hierzu ein ganz offenherziges Buch veröffentlicht hat, aus dem er selbstverständlich während des Festivals gelesen hätte....

 

Scheitern ist ein Begriff wie «unten» oder «rechts», der sich durch die Unterscheidung zu seinem Gegenteil erklärt. Denn die Angst vor dem Scheitern tritt erst dadurch hervor, dass ihm als Gegenpol der Erfolg gegenübersteht. Der Erfolg, der im Gegensatz zum Scheitern von den meisten angestrebt wird.

Scheitern setzt Handeln voraus. Und eine Zielsetzung. Dieses und jenes soll erreicht werden. (Eine Ausbildung, ein bestimmter Job, eine Familie, Karriere, ein Haus, ein Auto, eine Weltreise etc. ) Unser Handeln zielt oftmals nach Erfolg. Erfolg und Scheitern sind daher fest miteinander verbunden. Nur wo gehandelt wurde, kann man auch scheitern. An eigenen Zielen und Ansprüchen, bei Prüfungen, in Wettkämpfen, als Unternehmer, aber auch an widrigen Umständen, am Widerstand Anderer und an menschlichen Beziehungen.

 

Scheitern hat viele Namen. Von denen einer schrecklicher als der andere klingt. Misserfolg und MIsslingen, wenn man an einer Sache scheitert, die Niederlage, wenn man im Wettkampf verliert und das Versagen, wenn ein Stranden als selbstverschuldet beschrieben wird. Als Bezeichnung, als Titel der einem anhaftet, mit dem man sich herumschlägt und der tonnenschwer auf den Schultern liegt, wiegt das Stigma des Versagens überdies äusserst schwer.

 

Gleichwohl hebt sich Scheitern vom einfachen Misslingen bedeutend ab. Die Bezeichnung «Scheitern» entstammt der «Seefahrt» und geht auf das Zerschellen eines Schiffes zurück, das an einem Felsen in die Brüche geht und in einzelne Holzscheite zerfällt. Das auf diese Weise «gescheiterte» löst sich in seine Bestandteile auf und ist unwiederbringlich verloren. Dies im Unterschied zu blossen Misserfolgen, die wieder korrigiert werden können. Eine schlechte Note bei einer Prüfung, der vierte oder gar vierzehnte Platz in einem Wettkampf, ein misslungener Auftritt, die Abfuhr beim Liebeswerben, etc. – dies alles lässt sich wieder ausbügeln. Man rappelt sich auf und versucht es aufs Neue. Beim gesunkenen Schiff hingegen stellt sich die Frage, ob es überhaupt weitergehen kann, nachdem es auf Grund gelaufen ist...

Die Karriere ist dahin, die Ehe zerrüttet, das Bankkonto im Minus und das Haus verpfändet. Oftmals löst ein Scheitern in einem Lebensbereich den Zusammenbruch weiterer oder gar aller Lebensbereiche aus. In einem solchen Fall bedeutet Scheitern, dass die Handlungsmöglichkeiten einer Person abrupt enden.

Denn wer so scheitert, wird in jeder Hinsicht auf null gesetzt. Dies führt, so wird dies von den meisten Betroffenen geschildert, zu einer grossen Isolation. Zu einem Verlust an Geschäftspartnern, Bekannten, Freunden und was viel schlimmer wiegt: zu einem persönlichen Bedeutungsverlust, was die ganze Identität einer Person infrage stellt.

 

Scheitern als Zusammenbruch einer Biographie zu verstehen, ist etwas relativ Neues, etwas Modernes, das wir Menschen erst seit gut zweihundert Jahren so kennen. Vor der heutigen Zeit, also vor der Industrialisierung, wurde das Scheitern in der Ständegesellschaft kaum als persönliches Versagen oder als Misslingen individueller Handlungspläne begriffen. Die Geschicke des Lebens waren nicht mit dem Ehrgeiz, dem Können und den Plänen des Einzelnen verbunden. Denn alles war vorbestimmt. Das ausschlaggebende Kriterium für das Schicksal eines Menschen waren zumeist sein Stand (Klerus, Adel, Bürgertum oder Bauernstand) und somit sein Platz in der Gesellschaft, sein Geschlecht, der Beruf der Eltern und sein Glaube. Lief es nicht so wie es sollte, so war dies von Gott gewollt und das Karma schlug zu oder man hatte schlicht und ergreifend: Pech.

In unserer heutigen, modernen Gesellschaft hat Erfolg eine dermassen wichtige Bedeutung angenommen, dass sie zu einer Art Plicht geworden ist, will man mit gesellschaftlicher Anerkennung rechnen. Zu keiner Zeit der Menschheitsgeschichte ist es so normal geworden, sich beruflich oder privat gegenseitig Erfolgsbilanzen zu präsentieren, um die Wertigkeit des eigenen Seins zu betonen und den persönlichen Vorrang zu unterstreichen. Ihr findet, dass ich übertreibe? Dann werft doch einmal einen Blick auf die Social Media Accounts Eurer Freunde. Jede Handlung, jedes Tun und jedes Sein wird da festgehalten. Die tägliche Inszenierung ihrer puren Existenz kommt einher mit allen möglichen und unmöglichen Dingen, die sie erleben, die sie erstehen, sich und ihren Lieben leisten, die sie zelebrieren und uns unter die Nase halten. Stellt Euch einmal vor, wir wären die Bewohner eines Slums in Afrika, in Asien, in Südamerika.... Wie würden diese Bilder auf uns wirken? Wahrscheinlich müssten wir nicht einmal die Bewohner eines Slums sein. Einfache Bürger dieser Kontinente, oder sogar Europas ginge auch... Oder wie Kinderreiche ihre Familien inszenieren, während andere keine Kinder bekommen können. Oder wie Essen zelebriert wird. Während andere strengen Essensregeln unterworfen sind (Veganer, Vegetarier, Muslime, Juden, Allergiker...) oder gar verhungern. Und dabei möchte ich dies alles gar nicht kritisieren, denn ich habe selber Freude an den Posts meiner zahlreichen Freunde. Ich möchte nur aufzeigen, wie sehr wir doch dieser Inszenierung, dieser Spektakelkultur verfallen sind, die es darauf auslegt, sich zu präsentieren, zu zeigen, seine Besitztümer vorzuführen...., Und auch wenn man sich gegenteilig verhält: dann inszeniert man sich doch. Dann befindet man sich im Wettbewerb der Yoga Schulen, des veganen Essens, der Meditation, der ganzheitlichen Betrachtungen, des politischen Weltverständnisses...

Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Erfolg und Perfektion getrimmt ist. Wie auch immer wir diese für uns definieren. Wir alle haben Angst vor dem Scheitern. Denn Scheitern ist ein Tabu. Warum dies so ist? Weil uns Betreffendes von klein auf so beigebracht wurde. Fehler gilt es zu vermeiden. Unser ganzes Schulsystem ist darauf aufgebaut. Denn wir leben in einer Fehlervermeidungskultur.

Dumm nur, dass Fehler passieren. Und Niederlagen zum Leben gehören. Wer keine Fehler macht, macht höchstwahrscheinlich auch sonst nichts. Vor lauter Angst zu versagen, lassen es viele Menschen unversucht, ihre Ideen, Träume und Pläne zu verwirklichen. Dies ist fast so, als ob man scheitern würde. Denn wenn man es versucht, hat man wenigstens etwas gelernt (oder eine Geschichte zu erzählen...) Nämlich wie man es beim nächsten Mal nicht mehr macht. Denn Scheitern ist nach Henry Ford: «Die Möglichkeit es nochmals zu versuchen.» Es ist nicht schlimm hinzufallen. Schlimm ist es: liegen zu bleiben. 

Dabei wäre es so einfach. Und der Schlüssel hierzu liegt erst noch in unserem Schoss. Er nennt sich: Gelassenheit. Wir sollten alle viel gelassener mit dem Scheitern umgehen. Als Kind konnten wir das nämlich. Ein Kind probiert, versucht, testet Dinge aus, tut dies nochmals und nochmals. Gibt ein Baby auf, wenn es mit dem Greifen nicht gleich hinhaut? Nein, es beobachtet genau und versucht es solange bis es klappt. Ob beim Essen mit dem Löffel, die ersten Schritte, beim Bauen einer Sandburg, beim Fangen eines Balles, nichts, absolut nichts was wir heute können, was für uns selbstverständlich ist, hat von Anfang an geklappt... Der aufrechte Gang steckt in unserer DNA, ist aber eine Meisterleistung für den Körper. Bis wir soweit sind üben wir hunderte Stunden. Ein Kind kommt auf die Welt und erfüllt alle Voraussetzungen um ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen. Das Einzige, das uns im Weg steht ist die Angst! Die Angst vor Fehlern und die Angst vor dem Scheitern! 

 

Im «Z’Buach vom Scheitera» berichtet Gimma von ganz unten. Von zerplatzten Träumen, zerstobenen Funken, Glitter zwischen den Arschbacken und einer Rapkarriere, die im Sand verlief. Pleite, Obdachlosigkeit, Nächte unter der Brücke, Nahtoderfahrungen, Drogensucht und weiteres Ungemach sind die Zutaten die dieses Buch auf Schritt und Tritt begleiten.

Auf Mundart, Bündner Mundart, und so offenherzig, wie dies nur ein Rapper von sich geben kann. Gimma nimmt kein Blatt vor den Mund und dieses Buch in die Hand.

 

Zu bestellen bei: www.gimmasworld.ch


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Kommentare: 1
  • #1

    fritze (Sonntag, 21 Februar 2021 19:58)

    genialer artikel!
    "es ist nicht schlimm hinzufallen, schlimm ist es liegenzubleiben"...
    das sagt alles aus...
    erfolg, selbstpräsentation, ewige selbst-optimierung, selbst-inszenierung, sich permanent in dieser kapitalistischen
    verwertungslogik einen platz zu schaffen nur um nicht abgewertet zu werden, ins off zu fallen, ausgeschlossen
    zu werden, entmenschlicht zu werden, den zwängen nicht gerecht zu werden...jaaahaaa, dies ist die logik des
    aktuellen status quo des turbo-kapitalismus, wer nicht mitschwimmt, muss "scheitern", - diese logik ist so was von menschenverachtend dass es kracht.. die wenigsten schnallen es, sondern fügen sich immer noch unhinterfragt in dieses konzept von verwertbarkeit...tolle foties in den social media, super magerbarbie schönheitskult, die illusion zu haben in diesem ganzen gewusel "mitreden" zu können und auch ernsthaft gehört zu werden, und vieles mehr...nenee liebes system-opfer und dennoch mitmensch, das system hat dein gehirn und deine gefühle gefickt, und du merkst es nicht mal...this is how capitalism works these days....also ich finde dass wir "scheitern" als was positives ansehen sollten, es zelebrieren, es durchziehen sollten, weil das zeigt auf wie der laden wirklich tickt! lass uns alle scheitern, and smile!!!