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Orbán im sicheren Schoss der EU

Zoltán Kovács - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher- Jahrgang 1952, Foto anbei, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.
Zoltán Kovács - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher- Jahrgang 1952, Foto anbei, Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von „Élet és Irodalom“. 1996 Pro Literatura-Preis, 1998 Joseph Pulitzer Preis.

DMZ – POLITIK ¦  Zoltán Kovács ¦

KOMMENTAR

 

Vor kurzem erklärte Vera Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission, dass Viktor Orbán nur von den Ungarn selbst abgewählt werden kann und dass es am besten wäre, wenn das Problem der Rechtsstaatlichkeit von den Bürgern Ungarns und Polens an den Wahlurnen geklärt werden könnte.

Der Anlass dazu war, dass die Europäische Kommission den Bericht zur Rechtstaatlichkeit in Österreich vorgelegt hat und dabei auch auf die laufenden Verfahren nach Art.7 des EU-Vertrags gegen Ungarn und Polen eingegangen ist.

 

Laut Jourová werde Brüssel nicht zögern, von Budapest und Warschau beachtliche Beträge einzubehalten, wenn diese Staaten gemeinsame Werte verletzen. Das wird möglich durch den ab Januar 2021 geltenden rechtsstaatlichen Mechanismus. Die Politikerin betonte, dass aus dieser Sackgasse nur dann ein Ausweg hinausführen würde, wenn Ungarn und Polen einen Rückzieher machten. Damit könne man aber kaum rechnen. Darum wäre es gut- so Jourová, wenn die Menschen bei der nächsten Wahl auf dem Stimmzettel das Richtige ankreuzten.

 

Unter den Mitgliedern der Kommission redet Jourová am ehesten Tacheles. Sie kann nichts dafür, dass die ungarischen Behörden bei der Vergabe von Aufträgen seit zehn Jahren nach den Regeln der Vetternwirtschaft vorgehen. So ist ein Kreis von kapitalstarken Unternehmen entstanden, der anhand seiner Loyalität zur Regierung fast alle Ausschreibungen gewinnt.

 

Das dürfte für Jourová nichts Neues sein, sie schätzt die Lage aber falsch ein, wenn sie auf die Kreuze auf den Stimmzetteln hofft. Die Wähler in Ungarn passen sich nämlich der herrschenden Meinung mehr an, als sie denkt. Zwar hat ein Großteil des Volkes in den letzten zehn Jahren höchstens Brotkrümel erhalten, dennoch hat dieser das Gefühl, als wären da ganze Brotstücke von den Tellern der Speisenden für ihn heruntergefallen.

 

In seinem Innern hält der Großteil des Volkes es für ungerecht, dass er nur eine Scheibe Brot bekommt, während andere sich feudaler Grundstücke am Ufer des Balaton oder an der Donau bemächtigen. Doch weiter interessiert ihn all das kaum. Die Apparatschiks und Vasallen der Regierung haben den Leuten ohnehin eingetrichtert, sie würden selbst die Krümel nicht kriegen, sollten sie bei der Wahl nicht für Orbán stimmen.

 

Während Ungarn in der Tat erstaunlich viel Geld von der EU bekommt, bleiben viele Fragen offen. Wie kam es zum Beispiel dazu, dass die Staatsverschuldung gemessen am GDP im vergangenen Jahr um über 81 Prozent gewachsen ist, also mehr als nach der Finanzkrise 2008-2009. Solange sich dieser Wert verringerte, hörte man täglich nur Erfolgsmeldungen. Heute aber vernimmt man kein Wort mehr darüber. Indes sinken die verkommenen Gegenden des Landes immer tiefer; für einen Teil der Bevölkerung reicht das Ersparte gerade mal für eine Woche.

Unter solchen Umständen wächst der Wert der herabfallenden Brotkrümel natürlich noch mehr, bedeuten sie doch das pure Überleben.

Dieses Bakschisch an die Bevölkerung ist die Grundlage des ganzen Regierens. Daraus entstand die 2/3 Mehrheit von Fidesz im Parlament. Regieren verkommt so zu politischer Profitmacherei. Was wird die EU Orbán noch durchgehen lassen?

 

Beinahe alles, wie man sieht. So gesehen stimmt die These nicht, dass das Orbán-Regime nur durch die EU gestürzt werden kann. Es ist nämlich gerade umgekehrt! Die EU hält Orbán am Leben. Zwar gibt es in Ungarn eine an Stärke zunehmende Opposition, dennoch ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass Orbán weiter der Schoßhund der EU sein wird.

Man traut sich nicht, ihn auf den Boden zu setzen, er könnte sofort den Teppich zerreißen. Es wäre gut, wenn die Ungarn beim nächsten Mal auf dem Stimmzettel das Richtige ankreuzten - sagt Jourová. In der Tat, es wäre gut! Aber was passiert inzwischen mit den europäischen Werten? Wir könnten uns Sorgen machen um Europa, wenn nicht gerade wir selbst mit Mist beworfen würden.

 

Die tschechische Politikerin fügte noch hinzu, dass die Lage in Ungarn nicht vergleichbar sei, mit der in Polen. Orbán schaffe die Demokratie nämlich schleichend mit einer Salami-Taktik ab, egal ob es um das Justizwesen, die freie Presse oder die Rechte von Minderheiten geht. Die Polen würden hingegen bezüglich der Rechtsprechung mit der Tür ins Haus fallen, indem deren Unabhängigkeit systematisch verletzt wird - betont Vera Jourová.

Welch äußerst zutreffende und nuancierte Diagnose! Sie fällt leicht, weil der Patient genau vor unseren Augen in einen solchen Zustand geraten ist. 


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