Viele Medien haben Kommentarspalten nicht im Griff

Wozu dienen die Kommentarspalten?
Wozu dienen die Kommentarspalten?

DMZ – GESELLSCHAFT / MEDIEN ¦ David Aebischer ¦

KOMMENTAR

 

Nicht nur Facebook hat ein Problem mit Hasskommentaren, sondern auch die Nachrichtenportale, weltweit freilich, nicht nur in der Schweiz. Bei vielen sind die Kommentarspalten längst zu Kampfzonen verkommen, in denen den Moderatoren alles abverlangt wird, um justiziable Meinungsäusserungen zu löschen. Könnte man meinen, wenn man sieht, was alles stehengelassen wird. Dabei ist es einfach, die Kommentare zuerst zu prüfen, bevor man sie freischaltet. Der Verdacht liegt nahe, dass die meisten Medien, die so agieren, vor allem eines wollen - mehr Clicks generieren (Clickbaiting). Die Verantwortung wird in den Wind geschossen.

 

Einschränkungen des Kommentar-Angebotes

Viele Zeitungsredaktionen haben deshalb bereits ihr Kommentar-Angebot eingeschränkt. Wieder andere scheinen es nicht im Griff zu haben oder tun zumindest so. Die Gründe dahinter mögen vielfältig sein, zum einen evtl. die Bequemlichkeit, aber zum anderen durchaus auch der soziale Aspekt, dass ein Austausch zu den Themen in den Kommentarspalten möglich ist. In den Nullerjahren, als die Kommentarspalten eingeführt wurden, galten sie noch als demokratische Errungenschaft. Journalisten sollten fortan nicht mehr nur Sender und Leser nicht mehr nur Empfänger sein. In den vergangenen Jahren aber kapitulierten immer mehr Medien vor Kommentatoren, die gehässig schreiben und aus Sicht der Redaktionen keine konstruktiven Debatten führen.

Wer die Menschen sind, die den Hass in die Kommentarspalten spucken, verliert sich in der Anonymität des Internets. Das Wort „Troll“ suggeriert ein verschrumpeltes und verbiestertes Wesen, einen von den sogenannten Abgehängten. Menschen voll von Frust und Hass. Kanadische Wissenschaftler schrieben in einer Studie, Trolle hätten sadistische, psychopathische und machiavellistische Veranlagungen. 

 

Online-News-Portale gehören zur heutigen Medienwelt. Und zu ihnen gehören Leserkommentare. Diese dienen der öffentlichen Meinungsbildung. So lautet die Theorie aller mir bekannten Medienexperten. Aber: Stimmt diese politisch hochkorrekte Meinung? Dummes Zeug! Leserkommentare dienen nur dazu, dem von den Verlagen umworbenen Medienkonsumenten vorzugaukeln, er sei wichtig, seine Meinung gefragt. Dabei sind diese häufig anonym publizierte Ergüsse. So sieht es Gottlieb F. Höpli.

 

Verantwortung der Medien

Die Medien sollten sich ihrer Verantwortung bewusst werden (was sie in Tat und Wahrheit längst sind, nur mag man sich der Zahlen wegen nicht gerne daran halten). Es hat sich nämlich auf der anderen Seite auch gezeigt, dass Medien, die moderieren, keine grösseren Probleme mit dem Ausarten ihrer Kommentarspalten haben. Beispielhaft sei die vorbildliche Welt genannt. Allerdings: Dort sitzen vier ausgebildete Journalisten vor den Rechnern und bearbeiten die ca. 60.000 Kommentare am Tag, unterstützt durch eine Filtersoftware. Es geht auch einfacher und kostenneutral, denn freischalten der Kommentare nach dem Lesen kostet nichts, ausser etwas Zeit. Denn in der Schweiz haben die Medien natürlich nicht solche Zugriffszahlen. Selbst wenn, es gehört in die Verantwortung der Medien, ihre Portale "sauber" zu halten. Noch einfacher ist es, die Kommentarfunktion auszuschalten = NULL Kosten. Also lasst die Ausreden...

 

Auch NetzCourage erneut mit einem Post auf der Facebookseite trat schon an die Öffentlichkeit mit einer Nachricht an die Redaktion von nau.ch gerichtet: "Es wäre jetzt an der Zeit, endlich was zu tun, NauWir bemühen uns wirklich immer um eine gepflegte Sprache, aber eure Kommentarspalte ist das Bahnhofsklo der Nation. Soviel Hass, Sexismus, Rassismus, Frauenverachtung, für die ganze Welt einsehbar nach nur einem Klick. Wenn ihr schon selbst nicht moderiert, stellt die Kommentarfunktion wenigstens ab. Es reicht jetzt. #WeareSibel / Sibel Arslan.

 

Grosse Redaktionen, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ)  und die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), haben die Leserkommentare deshalb schon weitestgehend abgeschafft. Die Stimmung sei zu gehässig geworden, schreibt die NZZ dazu als Erklärung. Beschimpfungen hätten zugenommen und inhaltliche Debatten würden kaum mehr geführt. Die Journalisten der NZZ hätten die Kommentarspalte ohnehin nicht mehr gelesen. Vernünftiger Entscheid - allemal besser als eine Kloake der tiefsten Abgründe zu ermöglichen.

 

Tatsächlich steht die Debatte über den richtigen Umgang mit dem Hass in den Kommentarspalten scheinbar auch nach langjähriger Erfahrung immer noch am Anfang. Ein schlichtes Abschalten der Kommentare scheint für viele Medien auch keine Lösung zu sein, weil sie Angst haben auch die engagierten Nutzer, die an einer lebendigen Diskussion teilhaben wollen, zu verlieren. Ausrede? Wir wissen es nicht. Der SZ-Digitalchef, Stefan Plöchinger, sagt, dass es auch „Kern des Jobs“ sei, „die öffentliche Debatte zu moderieren“.

 

Emotionale Themen bereiten den Boden für Hasskampagnen

Die Beobachtung der letzten Jahre hat gezeigt, dass gerade emotionale Themen besonders oft von den Nutzerinnen und Nutzern kommentiert werden. Verdeckt agierende Initiativen  haben es durch verschiedene Kampagnen (z.B. über Hashtag-Kampagnen, gezielte Shitstorms oder aber auch mit Hilfe von Fake-Mehrfachprofilen) geschafft, die Meinungshoheit an sich zu reissen bzw. suggerierten, dass die Grenze des Sagbaren weiter verschoben wurde.

Es geht da auch nicht mehr nur um das Äussern einer wütenden Meinung, vielmehr hat eine Sprache Einzug gehalten, die nichts weiter als herabwürdigend gegenüber Menschengruppen auf Grund ihrer Herkunft, ihres Äusseren oder ihrer Religion ist. Der Unterschied ist vielen Menschen gar mehr so bewusst, wenn sie darüber diskutieren, dass der „N*ger“ ja natürlich schwarz ist und daher von „negros“ abgeleitet wurde oder der Mohrenkopf Schweizer Tradition sei.

 

Letztlich verstärken Parteien wie die SVP oder AfD mit ihren verbalen Aussetzern, die sie ständig als „Satire“ verkaufen, dieses Verschieben des Sagbaren. Immerhin haben sehr viele Leute diese Parteien gewählt, nehmen sie quasi zum Vorbild und heissen das für gut. 

 

Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit, genauer Meinungsäusserungsfreiheit, ist das wohl am häufigsten missverstandene Recht und eines der meist angeführten „Legitimationsargumente“ für allerhand Dummheiten, die verbreitet werden.

Denn letztlich ist es nur das Recht auf freie Rede sowie freie Äusserung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln, wenn sich dies auch im rechtlichen Rahmen bewegt. Und sonst nämlich nicht. Und hier endet dann meistens bereits die zumeist sehr arrogant angeführte „Meinungsfreiheit“ hinter einer abstrusen Idee.

 

Darf man im Namen der Meinungsäusserungsfreiheit alles sagen und wie können strafbare Äusserungen von nicht strafbaren unterschieden werden? Diese Fragen stellt sich ein weiteres Mal die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR).

Steht die Rassismusstrafnorm im Widerspruch zur Meinungsäusserungsfreiheit? Wo hört die Meinungsäusserungsfreiheit auf, wo fängt die Hassrede an?

 

Die Meinungsäusserungsfreiheit in den sozialen Netzwerken wird seit Langem überstrapaziert, deshalb setzt sich das neue TANGRAM, das Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), mit diesen Fragen auseinander. Endlich und hoffentlich nachhaltig und mit den nötigen Instrumenten und dem Einsatz der Rechtssprechung.

 

Rechtliche Grenzen der Meinungsfreiheit (kleiner Auszug)

  • der Schutz der persönlichen Ehre gegen Beleidigung oder Verleumdung,
  • die Weitergabe als geheim klassifizierter Informationen,
  • die übermässige Kritik an eigenen oder ausländischen höchsten Staatsvertretern wie Staatsoberhaupt, Gerichten oder manchmal selbst einfachen Beamten,
  • die Grenzen der Sittlichkeit und des Jugendschutzes,
  • die Grenze der öffentlichen Sicherheit
  • der unlautere Wettbewerb durch Diskreditierung der Ware oder Dienstleistung eines Konkurrenten.
  • die nicht autorisierte Weitergabe urheberrechtlich geschützter Informationen
  • Auch die Rassendiskriminierung steht in Europa meist auch unter Privatleuten unter Strafe (siehe Volksverhetzung).

Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht und wird in Verfassungen als ein gegen die Staatsgewalt gerichtetes Grundrecht garantiert, um zu verhindern, dass die öffentliche Meinungsbildung und die damit verbundene Auseinandersetzung mit Regierung und Gesetzgebung beeinträchtigt oder gar verboten wird. Nicht mehr und nicht weniger. Eine gute Sache. Heute gilt die Meinungsfreiheit ebenfalls als einer der wichtigsten Massstäbe für den Zustand eines demokratischen Rechtsstaates.

 

"Die Juristin Vera Leimgruber hat in ihrer Analyse der aufgrund der Rassismusstrafnorm gefällten Urteile gezeigt, dass Artikel 261bis extrem zurückhaltend angewendet wird und dass dem Argument der Meinungsäusserungsfreiheit in den Gerichtsurteilen immer grosses Gewicht gegeben wurde. «Meinungsäusserungsfreiheit ist [...] nicht die allumfassende Freiheit, Beliebiges zu sagen», schreibt hingegen der Strafrechtsprofessor Gerhard Fiolka. Äusserungen, welche die Menschenwürde angreifen, könnten in keinem Fall durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sein. Doch laut Gerhard Fiolka genügt das Gesetz allein nicht: «Eine staatliche symbolische Reaktion auf die Meinungsäusserungen erlaubt es, […] zu verdeutlichen, welche Äusserungen in einem demokratischen Rechtsstaat zulässig sind und welche nicht. »" 

 

Die Meinungsfreiheit ist also durchaus keine Legitimation (Berechtigung) für Beleidigungen, Verleumdungen und Shitstorms gegen Menschen, Rassendiskriminierung, Verbreiten von Lügen, "Übler Nachrede" usw. Also schlicht nichts von fast alle dem, was im Internet so kursiert, was dann vom jeweiligen Verfasser als Meinungsfreiheit deklariert wird. Man kann also mit einiger Sicherheit Lügner bereits daran erkennen, dass sie sich hinter der Meinungsfreiheit tarnen (wollen).

 

Von Anfang an wurde die Rassismusstrafnorm immer wieder mit dem Argument kritisiert, Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs sei eine Einschränkung und eine Bedrohung für die Meinungsäusserungsfreiheit, was sich als nicht gegeben herausgestellt hat.

 

"Das TANGRAM beschäftigt sich auch mit der wachsenden Problematik der Hassrede, für die das Internet den idealen Nährboden bietet. Im Netz dient die Meinungsäusserungsfreiheit häufig zur Rechtfertigung von Äusserungen gegen Minderheiten. «Was im „virtuellen“ öffentlichen Raum geschieht, hat durchaus einen Einfluss auf die Realität [...]. Auch wenn Rassismus, Mobbing und Einschüchterung über verschiedene digitale Medien aus Distanz zum Ausdruck kommen, sind ihre Folgen keineswegs abstrakt», wie Thomas Jammet und Diletta Guidi darlegen."

 

«Hassreden sind in den europäischen Ländern zu einem grossen gesellschaftlichen Problem geworden. Die Staaten müssen ihre Verantwortung mehr denn je wahrnehmen und fest auftreten [...]».

 

«Niemand darf das Gesetz missachten. Wer es übertritt, muss die Folgen gewärtigen. Dies ist der Preis für jede unserer Freiheiten, auch für die Meinungsäusserungsfreiheit», sagt die Präsidentin der EKR, Martine Brunschwig Graf. 

 

Meinung ist gefragt

Leserkommentare dienen nur dazu, dem von den Verlagen umworbenen Medienkonsumenten vorzugaukeln, er sei wichtig, seine Meinung gefragt. Dabei sind diese häufig anonym publizierten Ergüsse keine Beiträge zur demokratischen Meinungsbildung. Sie sind zumeist inhaltlich wertlos, negativ, bösartig, voller Unterstellungen und Verschwörungstheorien. Ihre Streichung aus dem Instrumentarium moderner Medien wäre kein Schaden – im Gegenteil. Zumindest dann nicht, wenn die Zeitung nicht im Stande sein will oder kann, einfachste Regeln und Gesetze einzuhalten.

 

"Wenn solche Foren als Gradmesser für demokratische Schwarmintelligenz wären, dann läge der IQ des Volkes so um 50 Punkte herum, das meint: debil. Das Beispiel des US-Magazins «Popular Science» wird deshalb hoffentlich nicht das letzte seiner Art bleiben: Es hat die Kommentarfunktion wieder abgeschafft." (Gottlieb F. Höpli)

 

DMZ Die MIttelländische Zeitung

Auch bei uns sind nicht alle Artikel kommentierbar, oder nicht mehr. Bei Artikeln, welche erfahrungsgemäss zu viele pietätlose bis justiziable Vermutungen und Kommentare auslösen würden, wird die Kommentarfunktion deaktiviert. Einige Diskussionsbeiträge können nur schon aus presserechtlichen Gründen nicht publiziert werden. 

Rund 15 Prozent der an uns geschickten Kommentare zu Artikeln veröffentlichen wir nicht. Damit liegen wir im Vergleich zu bekannten Zahlen anderer Medien im Mittelfeld - auf dem gleichen Niveau wie die New York Times, deutlich unter CNN (23%) und etwas über Blättern wie Neue Zürcher Zeitung (10%) oder Der Standard aus Österreich (5%). Was den Redaktionen täglich an direktdemokratischer Schwarmintelligenz um die Ohren fliegt, ist unglaublich. Denn, was in diesen Foren zu lesen ist, ist noch der bessere Teil der Einsendungen! Das sollte man nie vergessen.

Bei Facebook mit einem hohen Anteil ganz kurzer Kommentare verbergen wir rund fünf Prozent. Dies immer dann, wenn die Kommentare aus genannten Gründen untragbar sind. Wir übernehmen Verantwortung.

Was wir ab und zu zu lesen oder hören kriegen: "Sie zensieren doch unliebsame Meinungen!" Klare Antwort: Nein, machen wir nicht. Schaut man sich die Kommentare unter unseren Artikeln an, stellt man fest, welch grosses Spektrum an Meinungen und auch sehr scharf formulierten Meinungen es dort gibt. Aber tatsächlich erscheint nicht jeder der Kommentare. Einen Teil davon veröffentlichen wir nicht. Was das für Kommentare sind und warum sie nicht erscheinen, hat immer einen triftigen Grund.


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Kommentare: 1
  • #1

    Andreas Keusch (Donnerstag, 04 März 2021 14:59)

    Problematik der „Zensur“: Man lässt die Kommentarschreiber aufgeheizt zurück, welche mit der Zensur erst Recht das Gefühl erhalten, im Recht zu sein! M.E. sollte man jeden Kommentar, der nicht aufgeschaltet, gelöscht wird, mit einem Hinweis der Redaktion beantworten, warum! Dies eben, um dem Vorwurf der Unterwanderung der Meinungsfreiheit entsprechend sachlich entgegenwirken zu können.

    Dafür fehlt es den Redaktionen aber an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen!

    Wer dies nicht bereit zu leisten ist, soll m.E. gänlich auf die Kommentarfunktion verzichten!

    Alles andere verschärft nur die Unzufriedenheit, steigert den Verdacht der gezielten Meinungsmanipulation durch die Leitmedien ...