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London - Opernsänger schenken neuen Atem

DMZ - LEBEN ¦ Patricia Jungo ¦

 

Solidarität hat viele wundervolle Gesichter. Einen ganz unerwarteten Akt der Solidarität hat im vergangenen Frühjahr in London die English National Opera (ENA) an den Tag gelegt. Damals waren in Grossbritannien die Corona-Infektionszahlen rasant gestiegen und viele Krankenhäuser verfügten nicht über die notwendige Ausstattung für einen derartigen Andrang. So fehlte es auch an einfachen Kitteln. Spontan schlug daraufhin die English National Opera dem für die Gesundheitsversorgung im Nordwesten von London zuständigen Imperial College NHS Trust vor, solche Kleidung aus ihrer Kostümabteilung zu liefern.

 

Voller Dankbarkeit wurde das wunderbare Angebot angenommen. Dieser Akt besiegelte die Partnerschaft, die im folgenden Sommer in ein innovatives Programm namens «Breathe» mündete. Darin wird das Wissen und Training von Sängern, Gesangstrainern und Blasmusikern zum Wohle der Genesung Corona-Patienten zur Verfügung gestellt. Wie Jenny Mollica, Leiterin des Pädagogik- und Projektprogrammes der Oper und nun auch bei «Breathe» treibende Kraft, erklärte, bestehe bei der ENO schon seit längerem ein besonderes Interesse an der Schnittstelle zwischen Gesundheit und den Künsten. Weiter berichtet sie, dass seit Juni letzten Jahres das Phänomen «Long Covid» zu einem wirklichen Problem geworden sei und dabei klar wurde, dass die Künstler mit ihrem Wissen dazu beitragen könnten, einige Probleme im Zusammenhang mit den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung anzugehen.

 

«Long Covid» bezeichnet eine Reihe von Symptomen, die noch einen bis drei Monate nach dem Ende der eigentlichen Erkrankung auftreten können. Dies können Brust-, Kopf- und Gelenkschmerzen, Schwindel, Tinnitus oder Ausschläge sein. Am häufigsten kommt es aber zu Atemlosigkeit, Beklemmungsgefühlen oder permanenten Angstzuständen. Hier wird «Breathe» aktiv. Jenny Mollica erzählt, die Gesangsexpertin Suzi Zumpe habe ein Programm entwickelt, welches mit einer Gesangsausbildung im Kleinen zu vergleichen sei. Dazu gehörten unter anderem Haltung, bewusstes Atmen und Stimmbildung. Es gehe dabei mehr darum, wieder zu spüren, wie man Zwerchfell und Lunge effektiv einsetzt, als um das eigentliche Singen. So ist Vorsingen auch kein Muss. Gesungen wird aber in jedem Fall. Priorität haben Wiegenlieder aus aller Welt. Jenny Mollica erklärt, dass es für diese Lieder keinen allzu grossen Stimmumfang brauche, sie universell und beruhigend zugleich seien. Dies sei vor allen angesichts der traumatischen Erfahrungen, die viele Teilnehmer gehabt hätten, sehr hilfreich.

 

Viele von ihnen seien ja auch an Atemgeräte angeschlossen gewesen und hätten längere Zeit auf der Intensivstation verbracht. Die Wirkung von Einschlafliedern wirke dabei besonders entspannend und meditativ. Der «Abendsegen» aus Engelbert Humperdincks Oper «Hänsel und Gretel» sowie «Summertime» aus George Gershwins «Porgy and Bess» würden sich besonderer Beliebtheit erfreuen, was ja bestimmt auch an der der "optimistischen, hoffnungsvollen Botschaft" liegen würde. «Breathe» richtet sich an alle Menschen landesweit, welche mindestens seit acht Wochen oder länger mit Beschwerden zu kämpfen haben und bei einem Spezialisten untersucht worden sind. Die Treffen finden während sechs Wochen jede Woche für eine Stunde online statt. Den Patienten stehen zwischen den Sitzungen auf Internet auch Lehrvideos zur Vertiefung der Übungen zur Verfügung. Auch von den ENO-Sängern aufgenommene Lieder gibt es für die Patienten und ihre Eigeninitiative ist ebenfalls sehr gewünscht. Die Klickzahlen waren weit höher als bei normalen pulmonalen Online-Rehabilitationsprogrammen, was die Ärzte sehr erstaunte. Jenny Mollica ist überzeugt, dass dafür das künstlerische Element verantwortlich ist, das sogenannte «learning by stealth - lernen durch die Hintertür."

 

Mit dem Programm war im Herbst begonnen worden und dies ausschliesslich in London. 90 Prozent der Teilnehmer berichteten dadurch Hilfe beim Atmen erhalten zu haben, 91 Prozent waren glücklich, dass ihre Ängste weniger wurden. Diese wunderbare Bilanz hat dazu geführt, dass nun «Breathe» auf etwa 1000 Teilnehmer an 25 Standorten im ganzen Land ausgedehnt wird. Ein nicht zu unterschätzender, sehr erfreulicher Nebeneffekt von «Breathe» darf dabei auch erwähnt werden: Professionelle Musiker, die wegen der geschlossenen Konzert- und Opernhäuser nur noch sehr selten Arbeit haben, dürfen einer äusserst systemrelevanter Beschäftigung nachgehen.

 

 

 

Quelle: ±südwestfunk±


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