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Veras Gedanken im März

DMZ – Veras Gedanken ¦ Vera Kaa ¦

 

Ich blende fast 60 Jahre zurück....die erste Erinnerung an meinen Vater:

Ich bin kaum drei Jahre alt und warte hinter der Türe, wenn er Abends von der Arbeit kommt... Kaum betritt er den Raum, stürze ich mich auf ihn und will mit ihm „Schwingerkämpfli“ machen. Wir rollen auf dem Boden und natürlich lässt er mich gewinnen. Mein Vater war ja ein bekannter Kranzschwinger und kannte viele Kniffe und Griffe... Abend für Abend war das unser Begrüssungsritual.

 

Das Morgenritual auch eins nur für ihn und mich. Er rasiert sich und ich darf ihn einseifen. Das geht nur mit viel Schaum und viel Wasser.

Es sind diese ersten Erinnerungen, die in mir so fest verankert sind, die wahrscheinlich meinen Kampfgeist geschärft, geformt haben. Auch später im Chindsgi, als das reale Leben begann, mit hänselnden Kindern und Buben, die meinten, Meitli seien auch da, um sie zu plagen, da war mein Vater omnipräsent. Er meinte: „hei cho und brüele nötzt der gar nüt. Du muesch dech wehre Meitschi.“ Wir übten einen Trick, wie ich einen grad ungespitzt auf den Boden legen konnte. Das machte ich dann, als D. vom unteren Haus meinen neuen Regenschirm kaputt machte. Von da an genoss ich Respekt unter den Buben.

 

Heute wär das undenkbar. Heute würde mit einem Schulpsychologen alles aufgearbeitet werden. Aber hey, das gabs damals nicht, und wir mussten da irgendwie durch. Ich bin trotzdem ein empathischer Mensch geworden, der gegen Gewalt und Ungerechtigkeiten ist. Aber: ich wusste, dass ich nicht einfach alles hinnehmen muss und mich im Notfall verteidigen kann. Das hat mich mein Vater gelehrt. Spuren gelegt. Er war kein Mann grosser Worte. Freude, im Moment das Leben zelebrieren und meistens laut, wild und fröhlich. Wie viele Male sind wir auf einen der vielen Höfe unserer Verwandten gefahren und jedes Mal, wenn wir laut hupend um die Ecke bogen rannten Cousinen und Cousins hinter unserem Auto her und ich höre sie heute noch rufen: „Onkel Otti kommt, Onkel Otti kommt.“

 

Soviel Freude und Spass generierte mein Vater, weil er selber seine kindliche Seite und Seele lebte. Spuren.

Als ich dann soviel las und viele Fragen hatte, das war dann nicht so seins. Da hat er den Zugang nicht wirklich gefunden. Er fing erst in späteren Jahren an, Abends zu lesen. Ich erinnere mich an Berge von Büchern neben seinem Bett. Mein Vater...Sonntags schauten wir die Serie Daktari zusammen. Fast immer weinte er, wenn einem Tier unrecht geschah. Er liebte sie so sehr. Er liebte uns Kinder, die Familie ohne grossen Worte, die ausgesprochen mir viel bedeutet hätten. Aber das war damals nicht üblich, Angelegenheiten ins Detail zu besprechen. Dafür hatte ich dann auch Freundinnen. Mein Vater...soviele Stunden pulsierendes Leben, sovieles gebe es über ihn zu erzählen.... Ein volles Leben, das hatte er. Hatten wir mit ihm. Auch meine Kinder liebten ihn so sehr... wenn er kam, mindestens einmal die Woche, liefen sie dem Auto entgegen und ich höre sie rufen: Dädi Dädi... und dann wurden Schwingertrickli, Armdrücken geübt… Spuren.

 

Am 14. März 2018 um 4 Uhr morgen schloss er seine Augen zuhause, wie er es sich so gewünscht hatte für immer. Ich durfte bei ihm sein ohne Worte...der erste Morgen ohne ihn. Die Vögel fingen an zu pfeifen, die Sonne ging auf. Friedlich, still das Zimmer...so friedlich und ich begriff, wieviel wir verloren hatten, und wieviel ich von ihm bekommen hatte.... Die Spuren, die er legte, mit denen ich einen Teil meines Lebens formen konnte. Es an meine Kinder weitergeben konnte. Spuren....Das Vermissen wird nie aufhören, aber die Erinnerungen auch nicht...Sie bleiben. Sie bleiben für immer...Danke Babi...Dädi ...

 

Vera Kaa, eine der vielseitigsten Sängerinnen der Schweiz, geboren in Luzern, seit 40 Jahren auf den Bühnen dieses Landes unterwegs...


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