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Morgellonen - das "neue" Gespenst der Corona-Lästerer

DMZ –  WISSENSCHAFT ¦ Walter Fürst ¦

KOMMENTAR

 

#Morgellons - eine der verrücktesten alternativen Krankheitserklärungen, die es gibt. Aber spätestens seit Corona weiss man, die Verschwörungslämmer glauben alles, ist es noch so abwegig. Oder anders gesagt: Je abwegiger, desto glaubhafter für diese Spezies. Und statt einmal einer dieser abstrusen Theorien treu zu bleiben, kommen immer neue Themen dazu und werden auf unmögliche Weise verknüpft, dass schon Kleinkinder den Kopf schütteln beim Anhören solcher Märchen.  Fairerweise muss erwähnt werden, dass Märchen natürlich viel mehr Wahrheit in sich tragen als all diese absurden Erdichtungen und Wunschvorstellungen. Weltweit sind zehntausende Menschen vom Fehlglauben betroffen, es handle sich um eine geplante und zielgerichtete Verbreitung der Viren. Dieser Irrglaube kann so ansteckend sein wie ein Gähnen. Aktuell werden die Widersinnigkeiten ergänzt mit den Morgellons oder zu Deutsch "Morgellonen".

 

Kurz: Worum geht es? Ursprünglich haben Menschen mit unerklärten Hautleiden sich ihre Hautstellen genauer angeschaut und dabei bunte fädige Strukturen gefunden, manchmal verknäult, besonders auch unter dem Mikroskop.

Mikroskopiker kennen diese "Dinger" und nennen sie Dreck oder auch Hausstaub, bei dem es sich um winzigen Faserabrieb von Textilien handelt. Solche Faserreste sind überall (Stichwort Mikroplastik bei Kunstfasern!), meist sehen wir sie nicht, weil sie zu klein sind.  Jeder Abstrich einer Oberfläche aus dem Alltag enthält solche Fusselchen.´

Für die Morgellongläubigen – die natürlich keine Negativkontrollen machen und schauen, ob solche Fusselchen vielleicht überall vorkommen – sind diese Fussel nun „Morgellons“ – ganz fiese Parasiten, die aus dem Weltraum, von der Regierung, gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln oder allem zusammen kommen. Ja, traurig aber wahr. Auch das wird geglaubt. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Corona-Lästerer auch dazu bekennen.

Der Begriff Morgellonen (engl. morgellons) bezeichnet eine geheimnisvoll erscheinende, bizarre und angeblich neuartige Hauterkrankung, die teilweise in den Medien Beachtung fand und eine typische Krankheitserfindung (disease mongering) darstellt.

Bis heute konnte kein Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine neue Krankheit handelt. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um eine seit mehreren Jahrhunderten bekannte psychiatrische Erkrankung handelt (Psychose ohne Bewusstseinsstörung mit haptischen Halluzinationen), die als Dermatozoenwahn oder Ekbom-Syndrom bezeichnet und auch bei Hypochondern beobachtet wird.

 

Synonyme Bezeichnungen

Chronische Entomophobie oder Parasitophobie

Taktile (oder haptische) Halluzinose

Epizoonosewahn

Insektenwahn

Ekbom-Syndrom

Dermatozoenwahn (Ekbom 1938)

Acarophobie

Circumskripte Hypochondrie

Wahnhafter Ungezieferbefall

Chronische taktile Halluzinose

 

In der englischsprachigen Literatur bekannt als:

delusionary parasitosis

entomophobia,

parasitophobia usw...

 

In der französischsprachigen Fachliteratur:

nevrodermie

délire de parasitose

 

Derartige Störungen lassen sich als sekundärer Dermatozoenwahn auch bei Kokainabusus oder der Zuckerkrankheit regelmässig beobachten. Da Insektenwahner häufig versuchen, ihre angeblichen Plagegeister in Streichholzschachteln zum Arzt mitzubringen, wird in Ärztekreisen hinter vorgehaltener Hand auch mal vom matchbox-Syndrom gesprochen.

 

Namensherkunft Morgellonen

Anhänger der Chemtrail-Hypothese nennen die mit Morgellons bezeichnete Störung als Beweis dafür, dass von Flugzeugen Fasern in der Atmosphäre verteilt würden, die sich dann in der Haut bestimmter Einzelpersonen wiederfänden. Für diese Vermutung werden jedoch keinerlei Beweise erbracht. In der Trutherszene wird ausserdem die Ansicht verbreitet, dass die Untersuchungsergebnisse des CDC eine absichtliche Täuschung der Bevölkerung seien.

 

Was Morgellons tatsächlich ist

  • Nach einer Studie, welche mehrere Betroffene untersucht hat, kamen Experten zum Resultat, dass die Morgellons-Krankheit keine physische, sondern vielmehr eine psychische Erkrankung ist.
  • Aufgrund der fehlenden Viren, Bakterien oder Parasiten im Körper der Betroffenen weiss man, dass es sich vielmehr um eine psychische Erkrankung handelt.
  • Zumal viele der untersuchten Patienten ebenfalls an Depression oder einer Wahrnehmungsstörung leiden.
  • Bei einigen Betroffenen fiel zudem ein Drogentest positiv aus. Diese hatten kurz vor der Untersuchung Drogen oder Schmerzmittel konsumiert.
  • Bei den mysteriösen Fasern, welche laut Betroffenen aus der Haut wachsen sollen, handelte es sich in den meisten Fällen um Fusseln von Kleidung, welche auf der aufgekratzten, eiternden oder nässenden Haut kleben blieben.
  • Die Kratzspuren und entzündeten Stellen können zudem eigens zugeführt sein. Da die meisten Patienten einen starken Juckreiz empfinden, können sie sich durch ständiges Kratzen die Hautstellen selbst aufgerieben haben.

Wahnerkrankung

Aktuelle Studien haben bakteriellen Ursprung ausgeschlossen und zur Klassifikation der Erkrankung als Wahnerkrankung geführt. Die Behandlung der Patienten erfolgt symptomatisch mit Antipsychotika und kann ausserdem von Psychotherapie begleitet werden. Besserungen der Wahnvorstellung wurden vor allem mit Pimozid, Risperidon und Aripiprazol herbeigeführt.

Da diese Substanzen zu einer Besserung der Symptome geführt haben, ist die Einordnung der Erkrankung in den Bereich der Wahnvorstellung mit ziemlicher Sicherheit korrekt. Eine psychotherapeutische Betreuung ist indiziert. Zur ursächlichen Behandlung von Morgellons müsste die psychische Ursache für das Einsetzen der Wahnvorstellungen zunächst identifiziert werden, um mittels Gesprächstherapie aufgelöst werden zu können.

Falls die Hypothese von einem gestörten Körpergefühl im Sinne einer Übersensibilisierung gegenüber eigener Körperprozesse korrekt ist, könnte eine Neubelegung der wahrgenommenen Reize unter der Haut zu einer ursächlichen Heilung der Symptomatik führen. Diese Neubelegung würde den Patienten einen anderen Blickwinkel der Betrachtung eröffnen und könnte dazu führen, dass die wahrgenommenen Reize nicht mehr als furchteinflössend empfunden werden.

Sobald das nicht mehr der Fall ist, fokussieren sich die Patienten nicht mehr derart stark auf die Detektion der Reize selbst und die Wahnvorstellungen gehen Stück für Stück zurück. Diese Art der Therapie wäre eine deutlich sanftere Variante als die symptomatische Gabe von Antipsychotika. Sogar ohne die psychische Ursache zu detektieren, könnte durch eine positive Neubelegung der Wahnvorstellungen eine subjektive Besserung herbeigeführt werden.

 

Verbindungen zur Organisation ILADS (Lyme-Borreliose-Aussenseitertherapieempfehlung)

Es kann belegt werden, dass Mitglieder der ILADS-Organisation (International Lyme and Associated Diseases Society) bereits in den 2000er Jahren versuchten, das Konstrukt Morgellonen mit einer chronischen Form der Lyme-Borreliose in Verbindung zu setzen. Genannt werden kann hier das ILADS-Mitglied Raphael Stricker, ein Arzt aus San Francisco. Stricker verfasste mit Mary Leitao und der Krankenschwester Virginia R. Savely (Ginger Savely) im Februar 2006 einen Artikel im American Journal of Clinical Dermatology "The Mystery of Morgellons Disease - Infection or Delusion?". In dem Artikel wird nahegelegt, dass die behauptete Morgellonen-Krankheit existieren könnte, es eine Verbindung zur Lyme-Borreliose gebe und die Patienten auf Antibiotika ansprechen würden. Stricker ist aktuell Vizepräsident der ILADS und war jahrelang deren Präsident. Er ist zudem Direktor der ILADEF, einer Ausbildungseinrichtung der ILADS. Absolventen nennen sich LLMDs (Lyme Literate Medical Doctors). Die ILADS ist eine umstrittene Organisation von Befürwortern einer angeblich häufig vorliegenden chronischen Erscheinungsform der Lyme-Borreliose, eine Sichtweise, die mit dem aktuellen Wissensstand in der Medizin nicht vereinbar ist. Entsprechende Verdachtsdiagnosen ermöglichen Ärzten, kostspielige Testverfahren und Therapien anzubieten.

 

Analyse einer Mikroskoperin

Was hat das nun mit Corona zu tun? Verschwörungstheoretiker und/oder Morgellongläubige haben Teststäbchen mikroskopiert und ach was – sie finden einzelne farbige Fasern!

Natürlich arbeiten diese Leute eben nicht in einem Reinraum oder auch nur so sauber wie erfahrene Mikroskopiker.

In diesem Video steht das Mikroskop zum Beispiel auf einer Stofftischdecke, auf der man ab 0:09 min sogar einen makroskopischen dunklen Fussel liegen sieht! Ideale Bedingungen für Dreck im Objekt also!

Noch absurder wird es natürlich, wenn man Masken mikroskopiert – selbst schon faserige Strukturen, deren Zweck es ist, staubgrosse und kleinere Objekte zu filtern. Natürlich findet man darauf bei einem solchen Versuchsaufbau Fussel, auch farbige!

Was ist jetzt aber damit, dass sich diese Objekte teilweise zu bewegen scheinen? Nun, erstmal ist das nie Bewegung, wie man sie von einem lebenden Objekt erwarten würde – wer die Eleganz eines echten Nematoden beobachten will, kann das hier tun:

Die „Morgellons“ bewegen sich dagegen, wenn man sie anpustet, an den Tisch oder das Mikroskop stösst oder wenn man sie länger mit Licht bestrahlt, sie also warm werden.

Wärme dehnt Objekte aus, kann sie auch verformen und erhöht die Brownsche Bewegung, die durch das Anstossen eines kleinen Objekts durch sich zufällig bewegende Moleküle zustande kommt.

„Morgellons“ sind also zu erwartende Fussel, die sich so verhalten wie Fussel – wenn man ein wenig Erfahrung auf der mikroskopischen Ebene hat.

Sind „Morgellons“ nach Impfchips also der neue heisse Scheiss zur Bevölkerungskontrolle oder nicht?

Leute, ganz ehrlich, Mikroskopie ist ein wunderbares Hobby und man kann da unglaublich viel Spannendes entdecken, aber ein bisschen Mitdenken tut gut.

Mäuschen out!

 

Den Original-Thread mit allen Kommentaren gibt’s übrigens hier :

 

 

Links

Virginia R. Savely, Mary M. Leitao, Raphael B. Stricker: The Mystery of Morgellons Disease - Infection or Delusion? American Journal of Clinical Dermatology, Febr. 2006, Vol 7, 1, Seiten 1-5


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