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Psychische Belastungen wegen Pandemie sind für jeden vierten Menschen in Europa auch ohne Pandemie seit Jahrzehnten Realität

DMZ – GESUNDHEIT / WISSEN ¦ Walter Fürst ¦

ANALYSE

 

Es gibt leider Medien, die immer mehr pauschal Unfug verbreiten: "Corona sorgt für mehr häusliche Gewalt" und "Corona schlägt auf die Psyche." Solche Schlagzeilen dienen dem Clickbaiting und Branchen, die ihr Geschäft des Lebens wittern. Allerdings gibt es natürlich, wie sollte es anders sein, auch Menschen, die unter den aktuellen Einschränkungen leiden, sind sie noch so klein wie z.B. in der Schweiz. Wenn sich nun in den sozialen Medien und den Boulevardblättern Leute leidend geben, nur weil sie in paar Wochen nicht ins Restaurant können, ist das purer Hohn für einen Viertel der Menschen in Europa. Ausserhalb Europas ist die Zahl noch grösser. Denn diese Menschen (25%!!) haben echte Probleme und Sorgen - und dies bereits seit Langem. Armut - Risikofaktor für die psychische Gesundheit. Bei diesen Problemen blieb bisher echte Hilfe aus! Dies sollte sich jede und jeder vor Augen führen, bevor man sich über Massnahmen beschwert und von psychischen Schäden fabuliert.

 

Fakten

Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) stellt für das Jahr 2020 keine signifikante Erhöhung bei Gewaltstraftaten im häuslichen Bereich fest. Für die «Task Force Häusliche Gewalt und Corona» steht fest: Es braucht weiterhin Wachsamkeit. Aber das braucht es immer und ist nicht coronabedingt nun erst plötzlich wichtig.  Betroffene sind immer auf Hilfsangebote angewiesen und die Öffentlichkeit muss weiter für das Thema sensibilisiert werden. Diverse Medien (Clickbaiting) reiten gerne darauf rum, dass die Menschheit generell psychisch leidet, wegen der Pandemie. Das stimmt natürlich so nicht. Und wenn das echte Leiden, der Menschen, die tatsächlich Mühe haben in dieser Krise, sind die Ursachen dieselben, die es schon vor der Pandemie waren. Einsamkeit, Ängste, Finanzen, Zukunftssorgen...

 

Clickbaiting

Mit Clickbaiting wird medienkritisch ein Prozess bezeichnet, Inhalte im World Wide Web mit einem Clickbait anzupreisen. Clickbaits dienen dem Zweck, höhere Zugriffszahlen und damit unter anderem mehr Werbeeinnahmen durch Internetwerbung oder eine grössere Markenbekanntheit der Zielseite bzw. des Autors zu erzielen.

Ein Clickbait besteht in der Regel aus einer reisserischen Überschrift, die eine sogenannte Neugierlücke (englisch curiosity gap) entstehen lässt. Sie teilt dem Leser gerade genügend Informationen mit, um ihn neugierig zu machen, aber nicht ausreichend, um diese Neugier auch zu befriedigen, ähnlich einem Cliffhanger. Die Überschrift kann durch grafische Elemente mit gleicher Funktion ergänzt oder ersetzt werden. Die hinter einem Clickbait liegenden Artikel sind üblicherweise gut mit Einrichtungen zum schnellen Teilen in sozialen Netzwerken ausgestattet, was die Zugriffszahlen ebenso erhöht.

 

Widmen wir uns echten (sozialen) Problemen

Die Corona-Pandemie stellt natürlich auch einige Menschen vor grosse Herausforderungen. Herausforderungen, die ein Viertel der Menschen in Europa seit Jahrzehnten zu tragen haben, ohne echte Hilfe. Denn Armut drängt Menschen an den Rand der Gesellschaft und bringt eine Vielzahl von Einschränkungen mit sich, die sich auch auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Armut, die meist verursacht wird, vom System, welches sich dann gerne auch Teil des Sozialwesens tarnt (Krankenkassen, Versicherungen, Abgaben, Steuern, Gebühren...).

 

Armut - Risikofaktor für die psychische Gesundheit

Armut und ihre Folgen sind häufige Ursachen für psychische Erkrankungen in der Bevölkerung und sie verringert die Lebenserwartung der Betroffenen.

 

„Armut führt dazu, dass die menschlichen Grundbedürfnisse nach existenzieller Sicherheit und sozialer Integration nicht ausreichend erfüllt werden. Sie erzeugt einen Mangel an Handlungschancen und Wahlmöglichkeiten und erschwert es, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, in dem die Lebensplanung, Freizeitgestaltung oder auch Ernährung für Einzelne oder Familien frei gestaltet werden kann“

Prof. Peter Falkai, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin

 

Für Betroffene bedeutet sie eine finanzielle Notlage, die oft mit Dauerstress verbunden ist. In der Folge treten Selbstwertkrisen und sozialer Rückzug sowie auch psychische Erkrankungen wie beispielsweise  Angststörungen, Depressionen, psychosomatische Erkrankungen oder Suchterkrankungen  vermehrt auf. Wer erwerbslos, alleinerziehend oder zugewandert ist oder einen schlecht bezahlten Arbeitsplatz hat, ist besonders armutsgefährdet. Frauen sind dabei stärker von Armut betroffen als Männer – insbesondere im Alter.

 

Soziale Stigmatisierung beeinträchtigt psychische Gesundheit

Verwirklichungschancen werden nicht nur durch ökonomische Einschränkungen vermindert, sondern auch durch soziale Ausgrenzung. In einer Leistungsgesellschaft ist es nur schwer möglich, dem sozialen Stigma zu entgehen, welches mit Armut verbunden ist. Menschen vergleichen sich und ihren Status mit anderen und reagieren mitunter sehr sensibel. Das Gefühl «man hat es nicht geschafft » kann das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sowie die allgemeine Zuversicht erheblich beeinträchtigen. Darüber hinaus sehen sich Arme vielfach mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Armut selbst verschuldet zu haben.

 

„Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, haben ein hohes Risiko psychisch zu erkranken.“

 

Armut und psychische Erkrankung befruchten sich gegenseitig

Zwischen Armut und seelischen Erkrankungen besteht also ein Zusammenhang, wobei die Armut Ursache sowie auch die Folge psychischer Erkrankungen sein kann. Menschen mit Behinderung und Kranke sind einem erhöhten Risiko für Armut ausgesetzt, da ein Zusammenhang zur Arbeitsunfähigkeit besteht. In den vergangen Jahren hat sich gezeigt, dass insbesondere psychische Erkrankungen einen wachsenden Anteil an Arbeitsausfällen haben, während die Fehlzeiten aufgrund körperlicher Erkrankungen zurückgegangen sind. 

 

Nach aktuellen Angaben der diversen Statistischen Ämtern weltweit ist die Zahl der von Armut gefährdeten Menschen massiv gestiegen.

 

Covid-19 Impfungen

 

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen gehören einer Risikogruppe an, denn sie sind durch das Corona-Virus in mehrfacher Hinsicht besonders gefährdet. Angehörige und Freunde von Personen mit solchen Krankheitsbildern sollten Betroffene möglichst dabei unterstützen, den Corona-Impfschutz für sich wahrzunehmen. Hierfür können sie auf ein erhöhtes Infektionsrisiko sowie auf erhöhte Risiken im Erkrankungsfall hinweisen und die Betroffenen auch motivieren, bei Fragen oder Unsicherheiten den behandelnden Arzt anzusprechen.

 

„Krankheitsbedingte Verhaltensveränderungen und Informationsdefizite bedingen ein höheres Infektionsrisiko. Zudem hat ein Teil dieser Patienten erkrankungs- und therapiebedingt oft mit metabolischen und kardiovaskulären Begleiterkrankungen zu tun. Das sind körperliche Gegebenheiten, die mit Risiken für einen schweren Verlauf von COVID-19 verbunden sind.“

Prof. Arno Deister von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

 

Die DGPPN hat sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt, dass Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen als Risikogruppe gelten. Sie infizieren sich häufiger mit dem neuen Coronavirus, zeigen einen schwereren Verlauf und haben ein höheres Sterberisiko als die Allgemeinbevölkerung. Aufgrund dieses Gefährdungspotentials gehören sie laut Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) inzwischen zur Prioritätsgruppe 2 für einen früheren Anspruch auf eine Schutzimpfung.

 

 

Corona trifft Menschen mit psychischen Erkrankungen härter

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Massnahmen haben tiefgreifende Veränderungen des Alltags und des gesellschaftlichen Zusammenlebens zur Folge, die für die psychische Gesundheit  herausfordernd sind. Dabei gefährden diese negativen Auswirkungen gesunde Menschen und psychisch erkrankte Menschen sowie andere Risikogruppen in einem unterschiedlichen Masse. Also Menschen, denen es ohnehin bereits schlecht geht, geht es in Krisenzeiten noch schlechter.

 

Denn die Krise verstärkt bestehende Tendenzen von Vorbelastung und Ungleichheit in der Bevölkerung. Manche Menschen, die während der andauernden Krise eine angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung besonders nötig haben, erhalten nicht immer Zugang zu einer ausreichenden Versorgung. Für die Betroffenen selbst aber auch für ihr Angehörigen und ihre Familien können das enorme Belastungen darstellen und erhebliches Leid verursachen.

 

Neben Menschen mit psychischen Erkrankungen sind insbesondere von Armut betroffene Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen und entwurzelte Menschen sowie Kinder von den Auswirkungen der Pandemie besonderes belastet. Am härtesten dürfte es Kinder in Familien mit psychisch erkrankten Eltern treffen. Für diese Familien ist es sehr wichtig, bestehende Hilfs- und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.

 

Hilfsangebote in der Nähe kennenlernen und nutzen

Wenn Unterstützung im persönlichen Umfeld nicht ausreichend vorhanden ist, sollten sich Familien, die sich sozial und/oder psychisch durch die Corona-Krise belastet fühlen, oder auch ihre Angehörigen, Hilfe und professionelle Unterstützung holen. In Europa steht ein breit gefächertes System von Unterstützungs- und Beratungsangeboten zur Verfügung, das genutzt werden kann. Aber nicht jede als Hilfe gekennzeichnete Organisation, hilft dann auch tatsächlich.

 

Problem "Sozialarbeit"

Die Beschäftigung mit Problemen der Gesellschaft auf der Welt macht es dringlich, das Umfeld von Armut und sozialen Fragen für gesellschaftlichen Wandel, Entwicklungen zur sogenannten Zivilgesellschaft, einzubeziehen. Armut und die soziale Frage ist das grosse Querschnittsproblem der internationalen Gesellschaft und allgegenwärtig. Heute noch weit weg, kann man morgen bereits tief drin stecken, im System des Schreckens.

 

Nimmt man die Praxisfelder der Sozialen Arbeit empirisch in den Blick, dann zeigt sich zwar, dass Soziale Arbeit grundsätzlich Leistungen zur Verfügung stellt, die auf vielfältige lebenspraktische Problemlagen von Individuen, Familien und sozialen Gruppen bezogen sind. Trotzdem arbeiten sie am eigentlichen sozialen Gedanken vorbei. Vielmehr ist es ein System, welches Milliarden generiert und viele Kosten verursacht, welche wieder um negativ auf die Gesellschaft zurückfallen. Denn diese Milliarden werden in erster Linie für diese Dienstleister verwendet und erst ganz zum Schluss wird auf ein paar sehr wenige Menschen etwas verteilt. So ist einmal mehr auch festzuhalten, dass nicht der Mensch, der Unterstützung und Hilfe benötigt Verursacher der immer steigenden Sozialkosten ist, sonder das System. Paradox. Der Soziale Gedanke (falls es denn je einmal einer war), verkommt zum Asozialen.

 

Verursacher

Zwar gibt es keinen Grund zu bestreiten, dass jeweilige Probleme der Lebensführung gesellschaftsstrukturelle Ursachen haben, aber genau da gehört dieses Soziale System eben auch mit rein, als Verursacher. Alles, was über die Soziale Arbeit zu sagen ist, kann sinnvoll nur im Hinblick auf die Strukturen der Gesellschaft gesagt werden.

 

Soziale Arbeit reagiert als Wissenschaft und Praxis jedoch nicht direkt auf soziale Probleme!

 

Was man nicht kennt und nicht erfassen kann, nicht selber erlebt hat, kann man nicht nachvollziehen oder verstehen

Sie ist eben nicht mit Sozialpolitik und Sicherheitspolitik identisch, sondern auf konkrete und komplexe lebenspraktische Konstellationen ihrer Adressaten ausgerichtet. Sie ist mit Mängellagen, Konflikten, Krisen, und Katastrophen im Lebenszusammenhang von Individuen, Familien und sozialen Gruppen konfrontiert, welche die Soziale Arbeit nicht in der Ganzheit erfassen kann, da sie selber, bzw. die am System Verdienenden und dort Ausübenden, nicht betroffen sind oder waren. Deshalb kann sie auch nicht wirklich helfen. Was man nicht kennt und nicht erfassen kann, nicht selber erlebt hat, kann man nicht nachvollziehen oder verstehen.

 

Weitreichende Konsequenz, welcher nicht Rechnung getragen wird

Der Zusammenhang mit den Strukturproblemen der Gesellschaft, mit gesellschaftliche Ungleichheiten, Benachteiligungen, Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung, ist in manchen Fällen zwar recht offenkundig, in anderen Fällen aber komplex und keineswegs einfach zu durchschauen. Unterscheidet man deshalb Strukturprobleme der Gesellschaft einerseits und lebenspraktische Probleme von Individuen, Familien und sozialen Gruppen andererseits, dann hat dies eine für Sozialpädagogik weitreichende Konsequenz, welcher nicht Rechnung getragen wird.

 

Soziale Arbeit benötigt eine Theorie der Lebensführung in der modernen Gesellschaft, um ihre Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen theoretisch begreifen und empirisch beschreiben zu können. Eine Theorie der Lebensführung, die dazu befähigt, die Entstehung lebenspraktischer Probleme systematisch zu analysieren sowie auf dieser Grundlage Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit zu bestimmen. Eine solche ist nicht verfügbar, aber viele Fachleute. Fachleute sind immer betroffene Menschen, die aus der Erfahrung schöpfen. Deshalb ist es dringend notwendig wegzukommen vom alten „Beamtentum“ und hin zur praxisbezogenen Arbeit zu bewegen. Die Ressourcen sind vorhanden.

 

Dies ist seit Jahren widerlegt und ein komplett falsches Bild

Es fehlt aber am Willen der Politik die selbsternannten und überteuerten Experten auszumustern und das Geld für sinnvolle Sozialarbeit zu nutzen. Einflussreiche Theorien der Sozialpädagogik und Sozialarbeit waren in den 70er und 80er Jahren kapitalismustheoretisch fundiert, was sich bis heute nicht geändert hat. Zu viele Institutionen, vielfach ohne positive Wirkung, kosten zu viel im Namen der „Sozialen Arbeit und Hilfe“. Das Signal an die Bevölkerung ist zudem ein falsches, da diese wegen falscher Tatsachenberichten, dieser Institutionen, jeweils davon ausgeht, dass der bedürftige Mensch der Verursacher ist, dieser immensen Sozialkosten. Dies ist seit Jahren widerlegt und ein komplett falsches Bild. Vielmehr ist die Soziale Arbeit eine Geschäftsidee mit riesigen Verdiensten. Es wird also letztlich Hilfe vorgegaukelt, um sich im Namen der „Guten Sache“, still und heimlich und gar mit Schulterklopfen zu bereichern. Nicht selten werden nämlich Institutionen und Institutionsleiterinnen, sowie -leiter für ihre "Verdienste" geehrt - eine Bestrafung wäre in vielen Fällen durchaus die bessere Wahl.

 

 

 

 

Quellen:  

 

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