Einfluss – Alles im Griff oder hilflos ausgeliefert?

DMZ – GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Natalie Barth ¦

KOMMENTAR

 

Warum wir mehr Einfluss haben als wir denken und gleichzeitig weniger Einfluss als wir denken. Und das ist KEIN Widerspruch!

 

Wieviel Einfluss haben wir eigentlich auf das, was uns im Leben passiert? Viele haben die Befürchtung, dass wir hauptsächlich hilflos ausgeliefert sind. Dem Leben, den Umständen, den eigenen Schwächen, anderen Menschen oder bösen Mächten.

 

Dann gibt es aber auch das komplette Gegenteil: Menschen, die glauben, dass wir ALLES beeinflussen können und uns JEDE Situation im Leben selbst erschaffen haben.

Beidem begegnete ich in meinem Leben sehr oft. Beides hielt ich selbst einmal für “die Wahrheit”.

“Die Wahrheit” (falls es so etwas denn überhaupt über irgend ein Thema geben sollte) liegt für mich heute genau dazwischen:

 

“Der grösste Fehler ist, zu glauben, wir haben keinen Einfluss. Der zweitgrösste Fehler, ist zu glauben, wir haben auf ALLES Einfluss im Leben.”

 

Einfluss oder nicht?

Wir haben tatsächlich mehr Einfluss, als wir glauben. Nein, wir sind nicht einfach nur hilflos ausgeliefert, wie ein Boot in den aufgepeitschten Wellen eines Sturmes. Weder dem Leben, noch anderen Wesen, noch unseren eigenen Schwächen. Wir können mehr erreichen als wir oft glauben, wenn wir diesen “Ich bin ein Opfer”-Gedanken einmal wirklich in Frage stellen. Mit dieser Einstellung halten wir uns selbst klein. Und im Endeffekt weisen wir jegliche Verantwortung von uns, sind nicht bereit diese zu übernehmen. Wenn wir ehrlich sind, macht das zwar nicht glücklich, ist aber schön bequem.

 

Gleichzeitig haben wir aber viel weniger Einfluss, als manche glauben, die den Standpunkt vertreten “Wir können ALLES erreichen, was wir wollen und wir können ALLES sein, was wir sein möchten”. Für mich grenzt diese Einstellung bereits an pathologischen Grössenwahn. Dass darüber ganze Bücher geschrieben und Kurse und Seminare in einem nie dagewesenen Ausmass abgehalten werden, macht die Sache nicht besser und nicht glaubwürdiger. Auch wenn viele darauf reinfallen. Hört sich halt schon toll an, dieses “Ich kann ALLES”. Man hat plötzlich wieder das Gefühl von Macht, statt Hilflosigkeit. Und das ist ja auch erst mal gut. Schwierig wird es dann, wenn man im Lauf der Zeit feststellt, dass eben doch nicht alles möglich ist.

 

Einfluss – Schuld – Scham

Auch mir ging es so. Es fällt mir manchmal schwer, das einzugestehen. Denn auch hier tauchten dann bei mir wieder die Themen “Schuld” und “Scham” aus der Versenkung auf. Beides wurde mir durch meine Sektenvergangenheit bereits von klein auf eingetrichtert. Und deshalb fällt es so wahnsinnig schwer, diese Gefühle erst mal zu hinterfragen und sie dann zu transformieren in Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.

 

Die Ideologie “Ich kann ALLES erreichen” bewirkt auf lange Sicht ähnliche Gefühle. Denn wenn man es selbst nicht schafft, es nicht umsetzen kann, trotz Büchern, Seminaren, Kursen und Menschen, die einen dabei unterstützen möchten, dann zweifelt man an sich selbst. Die anderen, die das propagieren, kriegen doch auch alles hin?! Warum ich nicht? Dann gibt es nur EINE ANTWORT: “Du kriegst es nicht hin, weil Du es nicht richtig angehst. Oder weil Du die falsche Einstellung hast – das falsche Mindset.”

Zitat aus dem Spiegel: “Wo alles möglich scheint, wird die Unmöglichkeit zum Feind des Individuums. Wer es noch nicht geschafft hat, seinen persönlichen Olymp zu besteigen, starrt neidisch auf die Gipfel und hört von dort: “Schau uns an! Es geht doch! Was machst du bloß falsch?”

 

Der Denkfehler bei “Alles ist möglich”

Und dann schämt man sich. Fühlt sich schuldig. Da helfen auch keine Sätze wie “Du sollst Dich nicht schuldig fühlen, sondern nur Deine Verantwortung übernehmen. Das ist etwas vollkommen anderes.” Und da muss ich tatsächlich zustimmen. Verantwortung zu übernehmen, die Möglichkeiten sehen, die ich habe, ist etwas ganz anderes als sich schuldig fühlen.

Schuld hält Dich klein. Verantwortung ermächtigt Dich.

Ein klitzekleines Problem bzw. einen riesengrossen Denkfehler gibt es da aber doch. Man kann und sollte Verantwortung übernehmen, ja. Das ermächtigt tatsächlich. Aber nicht für Dinge, die man nun mal nicht in der Verantwortung hat. Wenn ich für ALLES, was mir je passierte und passieren wird die Verantwortung übernehme, dann erschlägt mich das. So viel Verantwortung kann kein Mensch tragen.

Und es entspricht ganz einfach auch nicht der Realität. Es passieren Dinge, auf die wir KEINERLEI Einfluss haben. Manchmal bin ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Nicht weil ich magisch dorthin gezogen wurde. Nicht alles im Leben, hat einen Sinn. Und nicht alle Krisen dienen dazu, DASS ich was daraus lerne und sind nur deshalb in mein Leben getreten. Diese “Weisheit” ist eine riesengrosse Verarschung – um es mal deutlich auszudrücken. Es ist die gesellschaftsfähig gewordene Verleugnung der Verletzlichkeit des Menschen.

 

Wie bei allem im Leben: Balance

Aber wie gesagt, auch ich fiel auf diesen Irrsinn eine Zeitlang rein. Was mir persönlich heute wirklich hilft, ist das Bewusstwerden und Unterscheiden: DAS liegt in meiner Macht und Verantwortung. Und DAS nicht. Das eine kann ich angehen und meine Energie zur Veränderung investieren. Das andere will ich lernen zu akzeptieren, damit zu leben und den Widerstand abbauen.

 

Ich kann die Stürme und Wellen des Lebens nicht verhindern. Demnach kann ich einfach nicht ALLES erreichen. Ich habe auch den Sturm und die Wellen nicht selbst geschaffen. Was ich jedoch tun kann, ist meine Segel setzen oder einholen – je nachdem – und mich dem Sturm anpassen, statt auf Widerstand zu gehen. Demnach habe ich sehr wohl etwas in der Hand und kann nicht einfach nur betend in der Kajüte sitzen und warten. Ich KANN Entscheidungen treffen, die auch etwas bringen. Ich habe einen gewissen Spielraum und Macht. Aber eben nicht über ALLES.

 

Und ich kann sagen, dass diese Einstellung eine der angenehmsten ist, die ich an mir selbst erfahren habe. Genau das macht mich wesentlich gelassener und zufriedener. Nicht immer gelingt mir das, aber immer öfter Schuld und Scham können so ihre Macht und Berechtigung mit der Zeit verlieren.

 

Willst Du Dich in das Thema vertiefen? Dann schau mal hier, das hab ich für Dich im Netz herausgesucht:


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