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Homöopathie und andere Pseudowissenschaften profitieren vom Glauben an Verschwörungstheorien

DMZ – WISSENSCHAFT ¦ GESUNDHEIT ¦ Walter Fürst ¦

 

Bis heute existiert weder ein formaler, reproduzierbarer Nachweis noch eine akzeptable naturwissenschaftliche Begründung für eine Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel, die über den Placebo-Effekt hinausgeht. Von der wissenschaftlichen Medizin wird die Homöopathie daher als pharmakologisch wirkungslose, in einigen Fällen sogar riskante Behandlung abgelehnt. Der Homöopathie wird diesbezüglich vorgeworfen, nicht in angemessener Weise auf diese Befunde zu reagieren. Es fehle an Systematizität. Homöopathie wird deshalb als Pseudowissenschaft angesehen.
Das Misstrauen gegen Machtstrukturen beeinflusst die Wahl medizinischer Verfahren. 
Westliche Industrieländer verfügen über ein hoch entwickeltes Gesundheitssystem und eine leistungsfähige medizinische Versorgung. Trotzdem wenden sich viele Menschen komplementären und alternativen Methoden zu, selbst wenn davor ausdrücklich gewarnt wird. Dies hängt nach neuen Studien mit einem starken Hang zum Glauben an Verschwörungstheorien, der Verschwörungsmentalität, zusammen.

 

„Die Homöopathie-Bewegung ist ja grundsätzlich skeptisch gegenüber der direkten Intervention in den Körper, das ist sozusagen medizinisch-technisch.“

Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen

 

In den verschiedenen Inhalten dieses Corona-Tickers der Hahnemann-Gesellschaft werden Behauptungen aufgestellt, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten können. Unter der Überschrift „wir werden zunehmend ‚immunkompetent‘ für das neuartige Coronavirus“ steht beispielsweise, dass die Schutzmassnahmen zur Eindämmung des Virus wirkungslos seien und dass Impfungen unnötig seien, da sich Infektionsgeschehen selbst limitieren.

 

„Wenn Sie jede Infektionskrankheit ihren natürlichen Verlauf nehmen lassen, dann sterben eben ein paar Leute und ein paar Menschen haben irreversible Langzeitschäden. Wenn das etwas ist, was man gern in Kauf nehmen möchte, kann man das tun. Natürlich können Sie eine Lungenentzündung auch ohne Antibiotika überleben. Aber ein grosser Teil wird eben auch versterben oder vielleicht schwere Schäden an der Lunge haben. Das ist, glaube ich, einfach eine Entscheidung gewesen, die die meisten individuell dann doch für sich treffen, dass sie lieber nicht versterben oder lieber keine schweren Organschäden davon tragen. Von daher ist diese Aussage ganz, ganz stark verkürzt.“

Leif-Erik Sander, der an der Berliner Charité eine Arbeitsgruppe zur Impfstoffentwicklung

 

Falsche Behauptungen

Eine jede Pandemie beendet sich von selbst, die läuft irgendwann aus.

Ja, das tut sie auch, das ist völlig richtig, spätestens wenn alle Menschen gestorben sind, gibt es sowieso keine Pandemie mehr. Natürlich hört die irgendwann auf, die Frage ist nur, wie viele Menschen sterben bis dahin und wie viele Menschen können wir bis dahin retten.

 

Symptomlose können niemanden anstecken. Doch!

Ob sich Menschen bei einer Infektion mit homöopathischen oder schulmedizinischen Heilmitteln behandeln lassen wollen, ist eine Entscheidung, die jede und jeder für sich selbst treffen kann. Bedenklich sind jedoch Aussagen, die Menschen dazu bringen, sich leichtsinnig zu verhalten und andere anzustecken. So wird im Newsticker der Hahnemann-Gesellschaft beispielsweise behauptet, dass symptomlose Menschen nicht ansteckend seien. Das ist schlichtweg eine Falschaussage.

 

Dass sich immer mehr Menschen komplementären und alternativen Methoden zuwenden hängt nach neuen Studien mit einem starken Hang zum Glauben an Verschwörungstheorien, der Verschwörungsmentalität, zusammen.

 

Eindeutiger Zusammenhang 

„Wir haben einen eindeutigen Zusammenhang gefunden“, sagt Pia Lamberty von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Je stärker die Verschwörungsmentalität einer Person ausgeprägt ist, desto mehr befürwortet diese Person alternative Verfahren und umso mehr lehnt sie konventionelle Heilmethoden wie Impfungen oder Antibiotika ab.“ Dies sollte bei der medizinischen Prävention und bei Interventionsprogrammen im Gesundheitswesen berücksichtigt werden.

 

Impfgegner und Impfbefürworter stehen sich geradezu ablehnend gegenüber

Eine Verschwörungsmentalität gilt unter Psychologen als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Diese Menschen mit einer starken Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben, denken, dass die Welt von verborgenen Mächten beherrscht wird, vermutlich weil sie selbst eine gewisse Machtlosigkeit empfinden. Auffallend ist schon seit längerer Zeit, dass besonders viele Verschwörungstheorien im Gesundheitsbereich kursieren, wie zum Beispiel über das Impfen. 

Leider ist es aktuell immer noch möglich, dass eine sehr geringe Zahl von Impfgegnerinnen und Impfgegnern z.B. über Facebook gezielt eine grosse Anzahl anderer Menschen verunsichern kann. Das zeigt einerseits eine Facebook-interne Studie (Folgen darauf), andererseits auch andere Untersuchungen (z.B. Milieu-Studie in Deutschland von KOMM.PASSION und Neurowissenschaftler Dr. Klaus Holthausen). Auch andere Plattformen verbreiten fleissig Verschwörungsmythen. Das Vorgehen dagegen zeigt den schmalen Grat zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz vor Desinformation. Die Impfung gegen Covid-19 ist ein grosser Lichtblick im Kampf gegen das Corona-Virus. Dennoch sind einige Menschen verunsichert wegen solcher Gerüchte über angebliche Nebenwirkungen. Häufig zu Unrecht. Wir tragen hier die Fakten zusammen, ungeschönt und mehrfachgeprüft. 

 

>> Lesen Sie im Faktencheck, was dran ist an den Befürchtungen der Impfgegner.

 

Aber auch auf anderen Gebieten ist die Alternativmedizin gefragt. Aktuellen Daten zufolge haben 26 Prozent der Europäer im Laufe von 12 Monaten zumindest einmal zu komplementären oder alternativen Mitteln gegriffen, wobei homöopathische und naturheilkundliche Medikamente am beliebtesten sind. Diese Beliebtheit ist besonders bemerkenswert, weil etwa die Homöopathie über Placeboeffekte hinaus keine messbare Wirkung hat.

 

Verschwörungsgerüchte sind leider nicht nur komisch

Verschwörungsmythen haben fast immer einen politischen Aspekt. Sie verunsichern und destabilisieren das Vertrauen in die Verantwortlichen.

Die Sozialwissenschaftlerin Nora Pösl, Ruhr-Universität Bochum, stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Glauben an sogenannte alternative Heilmethoden und dem Einstieg in unwissenschaftliche, simplifizierende Weltanschauungen. Nebenwirkungen von Behandlungen würden als absichtsvolles Handeln der Pharmaindustrie konstruiert.

 

Eine prinzipielle Wissenschaftsfeindlichkeit könne den Glauben an Fake-News und populistische Welterklärungsmodelle befördern, was wiederum anknüpfungsfähig an rechte Ideologien sei. Die Gemeinsamkeiten: einfache Erklärungen für komplexe Probleme, die auf einem Gut-Böse-Dualismus, einem Sündenbock und der Abgrenzung von wissenschaftlichen Methoden beruhen.

 

Verschwörungsmentalität beeinflusst Wahl medizinischer Verfahren

Vor diesem Hintergrund haben Pia Lamberty und Prof. Dr. Roland Imhoff vom Psychologischen Institut der JGU mehrere Studien durchgeführt, um den Zusammenhang  zwischen Verschwörungsmentalität und der Bevorzugung alternativer Heilmethoden zu untersuchen. Sie befragten ihre Probanden – 392 Studienteilnehmer in Deutschland und 204 in den USA – über die Nutzung von insgesamt 37 verschiedenen Verfahren von Aromatherapie und Bachblüten über Hypnose und Yoga bis zu Antibiotika und  Bluttransfusion. Die Teilnehmer sollten beispielsweise angeben, wie häufig sie die jeweilige Therapie nutzen und wie effektiv sie ihrer Meinung nach ist.

 

„In Deutschland fanden wir einen eindeutigen, unglaublich starken Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und Befürwortung alternativer Methoden“

Pia Lamberty, Psychologisches Institut der JGU 

 

Verschwörungsmentalität hat Einfluss auf grundlegende gesundheitliche Entscheidungen

Zwei weitere Studien untermauerten den Befund und zeigten zudem, dass die psychologische Brücke zwischen einer Verschwörungsmentalität als einer politischen Haltung und der Bevorzugung von Alternativmedizin in einem Misstrauen gegenüber Macht begründet liegt. „Alles, was mit Macht in Verbindung gebracht wird, wie zum Beispiel die Pharmaindustrie, wird von Verschwörungstheoretikern sehr skeptisch beurteilt“, erklärt Lamberty. In einer der Studien sollten die Teilnehmer über die Zulassung eines fiktiven pflanzlichen Medikaments gegen Ängste, Gastritis und leichte Depressionen entscheiden. Personen mit stark ausgeprägter Verschwörungsmentalität bewerteten das Medikament HTP 530 als positiver und wirksamer, wenn es von einer als machtlos geltenden Patientengruppe entwickelt wurde als von einem Pharmakonsortium.

 

„Das individuelle Verständnis einer Erkrankung und die Wahl der Behandlung kann also mehr von ideologiegeprägten Persönlichkeitsmerkmalen abhängen als von rationalen Überlegungen“

Beitrag von Pia Lamberty und Roland Imhoff für das Fachmagazin Social Psychology

 

Eine Verschwörungsmentalität kann beeinflussen, was Patienten für die eigentliche Ursache einer Erkrankung halten, was sie als Anfangssymptom und physiologische Reaktion ansehen und wen oder was sie für ihre Behandlung auswählen.

 

ABER: Nicht jeder, der zu Homöopathie greift, ist Verschwörungstheoretiker

Nicht jeder, der zu alternativen Heilmitteln greift, glaubt auch an Verschwörungstheorien. Nach den Studien zur Bedeutung von Verschwörungstheorien im Gesundheitsbereich untersucht Pia Lamberty derzeit im Rahmen ihrer Dissertation die Rolle von Verschwörungstheorien für Radikalisierungsprozesse. Sie arbeitet dazu für ein Jahr in Israel an der Ben-Gurion-Universität des Negev, unterstützt durch ein Minerva-Fellowship.

 

 

 

Quelle / komplette Studie: Powerful Pharma and Its Marginalized Alternatives?: Effects of Individual Differences in Conspiracy Mentality on Attitudes Toward Medical Approaches: Social Psychology: Vol 49, No 5 (hogrefe.com)


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Kommentare: 5
  • #1

    Helga Ruschka, Dr.med. (Freitag, 07 Mai 2021 17:55)

    Ihr als wissenschaftlich bezeichnete Artikel ist der Sache leider nicht dienlich, da er polemisch ist und auch Falschangaben enthält .
    Unter der Überschrift " Falsche Behauptungen" behauptet der Schreiber, dass " eine Pandemie erst dann endet, wenn spätestens alle Menschen gestorben sind". Da es bereits im Mittelalter auch in Mitteleuropa zahlreiche Epidemien gab, es logischerweise keine moderne Schulmedizin geben konnte, sind zwar durch den 30 jährigen Krieg verursachte Hungersnöte und mehrere Epidemie ganze Landstriche menschenleer geworden. Doch ist trotzdem nur ein Drittel der Bevölkerung an Pest und Colera verstorben. An der Universität Graz und Wien werden Homöopathie und andere Alternative Heilmethoden unterrichtet. Auch gibt es in Österreich zweijährige Fortbildungskurse in Homöopathie für Ärzte mit abgeschlossenen Studium . Sehr wohl werden Studien zur Wirksamkeit durchgeführt. Insgesamt trägt Ihr Artikel zur weiteren Spaltung und Verhärtung der beiden Fronten bei.

  • #2

    Udo Endruscheit (Mittwoch, 12 Mai 2021 12:34)

    Was soll es über die medizinwissenschaftliche Relevanz der Homöopathie aussagen, dass sie "an den Universitäten Graz und Wien unterrichtet wird" und dass es "Fortbildungskurse für Ärzte" in Homöopathie gibt? Gar nichts! Denn die Zeiten der eminenzbasierten, d.h. mit Autoritätsargumenten zu begründenden Medizin sind vorbei.
    An de MedUni Wien sind die Vorlesungen von Prof. Frass wegen "Unwissenschaftlichketi" 2018 aus dem Curriculum gestrichen und durch einen Kurs zur kritischen Auseinandersetzung mit unwissenschaftlich-unbegründeten "alternativen Methoden" ersetzt worden. Andere österreische Unis fordern dies auch und Linz hat es inzwischen ebenfalls umgesetzt. Und dass es homöopathische Ärztelobbys gibt, sagt weit mehr über die Ärzte aus, die dies praktizieren, als über eine Legitimation der Homöopathie. Noch deutlicher: Die Existenz der weltweit wissenschaftlich als spezifisch unwirksame Scheinmethode eingestuften Homöopathie in der ärztlichen Praxis ist ein Skandal, keine Errungenschaft, die in Österreich auch noch vom stellvertretenden Ärzteschaftspräsidenten aktiv unterstützt wird.
    Die wissenschaftliche Lage der Homöopathie aus den großen zusammenfassenden Arbeiten ist eindeutig: Es gibt keine belastbare Gesamtevidenz für die Homöopathie, es konnte bisher kein Krankheitsbild identifiziert werden, bei dem die Homöopathie von konkretem Nutzen gewesen wäre.

    Und was den Pandemie-Abschnitt bettrifft, so verdient die Unterscheidung zwischen der kritisierten Behauptung und der - hier ironisch eingefärbten - Antwort darauf Beachtung.

  • #3

    Susanne Aust (Mittwoch, 12 Mai 2021 12:36)

    @ Helga Ruschka

    Die Med-Uni Wien hat sich von "Scharlatanerie" distanziert, und das obwohl dort die Homöopathie nur von ÄrztInnen ausgeübt werden darf. Das war bereits 2018:

    https://www.derstandard.at/story/2000092345586/homoeopathie-polarisierende-potenzen

  • #4

    Kommentator (Mittwoch, 12 Mai 2021 12:37)

    Muss man sich nochmal auf der Zunge zergehen lassen:
    "Doch ist trotzdem nur ein Drittel der Bevölkerung an Pest und Colera verstorben."

  • #5

    Dr-Ing.. Norbert Aust (Mittwoch, 12 Mai 2021 12:48)

    Klar, Frau Huschka, Covid-19 wird völlig überbewertet: "Nur" 3,5 Millionen Corona-Tote sind ja noch nicht mal ein Prozent der Weltbevölkerung. Da haben wir ja noch Luft nach oben. Außerdem sollten Sie sich vielleicht hinsichtlich des Curriculums der MedUni Wien auf einen aktuelleren Stand bringen. Dort wurde nämlich bereits im Jahr 2019 die Homöopathie aus dem Studienangebot gestrichen.